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Politik: Teures Erbe

Bund und Länder schieben sich nach der Straßburger Entscheidung über die Bodenreform die Verantwortung zu

Von Matthias Schlegel

Als ob Ost-Länder und Bund nicht schon genug Rechnungen offen hätten – nun kommt eine weitere hinzu. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, dass die Enteignung von Bodenreform-Erben durch die Bundesrepublik rechtswidrig war, könnten hohe Entschädigungszahlungen anstehen. Wer aber soll zahlen? Der Bund, der 1992 das Gesetz gemacht hatte, das rund 70 000 Erbfälle der sowjetischen Bodenreform von 1945 bis 1949 in der DDR für unwirksam erklärte? Oder die neuen Bundesländer, an die das Land fiel, das die Erben abgeben mussten?

Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), sieht den Bund zumindest mit in der Pflicht. Um die juristischen Probleme einheitlich zu regeln, plädiert er für ein weiteres, nunmehr drittes Vermögensrechtsänderungsgesetz. Auch Till Backhaus, SPD-Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, wo die weitaus meisten Enteignungen stattfanden, will den Bund einbezogen wissen. Schließlich sei das Gesetz von 1992 eine „krasse Fehlentscheidung“ gewesen. Dagegen ist Gerald Thalheim, Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, der Meinung, dass Entschädigungen Sache der Länder seien.

Die magische Zahl von rund einer Milliarde Euro steht im Raum, um die es angeblich geht. So viel sollen die Grundstücke in etwa wert sein, um die nun wieder gestritten wird. Doch Rechtsanwältin Beate Grün aus Fürth, die in Straßburg zwei der insgesamt fünf Kläger vertreten hatte, warnt im Gespräch mit dem Tagesspiegel davor, darin nur finanzielle Entschädigungsleistungen zu sehen. Sie geht davon aus, dass jetzt zunächst Gespräche über eine gütliche Einigung zwischen den Erben und den Bundesländern geführt werden müssen, so wie es das Urteil von Straßburg verlangt. In zahlreichen Fällen würde dann einfach der Boden an die Betroffenen rückübertragen. Denn viele der eingezogenen Flächen sind ihrer Überzeugung nach von den Ländern noch gar nicht verkauft, weil bisher ein so genanntes Abwicklungsgesetz für diese speziellen Landverkäufe fehlte. Die finanzielle Entschädigung hält sie nur für die letzte Möglichkeit, wenn das Land nicht zurückgegeben werden kann.

Dennoch dürfte die neue Rechtslage zu einer – wie es der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere ausdrückte – „gigantischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Rechtsanwälte“ werden. Viele der Flächen waren vor dem Inkrafttreten des unseligen Gesetzes von 1992 von den Erben schon verkauft und von den jeweiligen Käufern auch gutgläubig erworben worden. Darauf stehen jetzt Wohnhäuser, daraus wurden Gewerbegebiete, darauf wächst die Ernte von LPG-Nachfolgebetrieben und so genannten Wiedereinrichtern. Den Erlös hatten die Erben nach dem 92er Gesetz an den Fiskus abzutreten, was manche von ihnen in den wirtschaftlichen Ruin trieb. In diesen Fällen müsste dieser Betrag an die Betroffenen zurückgezahlt werden. Im Falle des eingezogenen Grund und Bodens, der trotz unsicherer Rechtslage von den Ländern doch schon verkauft wurde, müssten vorzugsweise Entschädigungen gezahlt werden, weil man nun nicht die gutgläubigen neuen Eigentümer ihrerseits enteignen kann.

Andere Erben hatten die Flächen verpachtet. Als ihnen durch die Enteignung die Pachten verloren gingen, wurden manche von ihnen zu Sozialfällen. Rechtsanwältin Grün geht davon aus, dass es sich bei den enteigneten Immobilien zu 90 Prozent um landwirtschaftliche Flächen, zu fünf Prozent um Bauland und ebenfalls zu fünf Prozent um Gewerbeflächen handelt. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, rechnet nicht vor dem Jahr 2005 mit ersten Entschädigungszahlungen. Auf der Grünen Woche in Berlin begrüßte er die Straßburger Entscheidung und forderte die Politik auf, Entschädigungen zu leisten und auf einen Einspruch vor Gericht zu verzichten. Vielmehr sollten Bund und Länder jetzt zügig darangehen, gesetzliche Regelungen für die Rückübertragungen oder Entschädigungen zu schaffen. Der Bauernverband taxiert die durchschnittliche Entschädigungshöhe auf rund 400 Euro pro Hektar, wobei die Bodenpreise in den einzelnen Bundesländern stark schwanken.

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