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Trauer und Trost: Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern am Freitag in Christchurch.

© Edgar Su/Reuters

Trauer um Muslime in Neuseeland: Arderns Geste durchkreuzt die Strategie der Exklusion

Durch Anstand, Takt und Menschlichkeit erweist Neuseeland den Muslimen die Ehre - und durchkreuzt die Strategie des Terrors. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Ein Imam und ein Priester stehen Hand in Hand. Die Freitagsgebete an der Al-Nur-Moschee in Christchurch werden live im Fernsehen und Radio übertragen. Tausende Neuseeländer sind gekommen. Viele Frauen tragen als Zeichen der Solidarität ein Kopftuch. Dem Gebet folgen zwei Schweigeminuten, in weiten Teilen des Landes herrscht Stille. Wenige Tage zuvor hatte Premierministerin Jacinda Ardern die Parlamentssitzung mit der arabischen Friedensbotschaft „As-Salaam-Alaikum“ eröffnet. Sie kündigte an, den Namen des Attentäters niemals zu nennen. Auch sie trägt das Kopftuch.

Es ist möglich, sich von solchen Bildern nicht berühren zu lassen, sie als hilflose Gesten zu empfinden oder als Trauerkitsch zu denunzieren. Kein Verbrechen und kein Unglück werden je den Zynismus besiegen. Aber vielleicht zeigen gerade eiskaltherzige Abwehrreaktionen, wer sich durch Mitmenschlichkeit am stärksten herausgefordert fühlt. Es sind die Spalter, die Polarisierer, die Profiteure des Hasses, rechtsextreme Islamfeinde ebenso wie militante Islamisten. Brüder im Geiste, vereint im Kampf für Volk und Glaube, für Ethnie und Ideologie.

Beide Gruppen lehnen den Westen ab, die Emanzipation der Frau, die Ehe für alle, die Demokratie, den Liberalismus, den Individualismus. Sie wähnen sich in einer Endzeit, in der sich die einen gegen den „Untergang der weißen Rasse“ wehren müssen, gegen „Bevölkerungsaustausch“ und „Überfremdung“, während die anderen eine rigide Version des Koran propagieren, deren auch gewaltsam forcierte Ausbreitung gottgewollt sei. Und zwar in muslimischen wie nicht-muslimischen Ländern.

Der verheerendste islamfeindliche Terroranschlag

Beide Gruppen radikalisieren sich bevorzugt im Netz und verzichten auf klare Führungsstrukturen. Die Methoden ihrer Militanz kopieren sie voneinander. Islamistischer Terror hier, islamfeindlicher Terror, wie etwa durch den norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik, dort. In Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia steuerte ein weißer Rassist sein Auto in eine Menschenmenge, um so viele Gegendemonstranten wie möglich zu töten.

Und zuletzt Christchurch, der verheerendste islamfeindliche Terroranschlag, der je im Westen verübt worden war. In zwei Moscheen ermordete der Attentäter fünfzig Muslime, darunter ein dreijähriges Kind. Das Motiv der Islamfeindschaft wird allerdings selten so deutlich benannt. Das Attentat habe allgemein Menschen gegolten, heißt es, der Attentäter sei ein Rechtsextremist gewesen, ein Rassist.

Islamfeindschaft – in diesem Wort schwingen offenbar zu viele Ressentiments mit, von denen auch viele Rechtspopulisten nicht frei sind. Deshalb umschiffen es ausgerechnet jene, die sonst bei jeder Gelegenheit eine „klare Sprache“ anmahnen. Die Neuseeländer hingegen haben verstanden, wem der Terror gegolten hatte. Das belegen ihre beeindruckenden Reaktionen der Solidarität.

Über Momente der tiefsten Trauer legt sich Trost

Gesten sind wichtig in der Politik. Sie prägen sich oft sehr tief ein. Willy Brandts Kniefall in Warschau, die Weigerung von Rosa Parks, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen, der Besuch des damaligen US-Präsidenten George W. Bush, kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001, in einer Moschee im islamischen Zentrum in Washington D.C. „Das Gesicht des Terrors ist nicht das wahre Gesicht des Islam“, sagte er. „Der Islam ist eine friedliche Religion.“ Glaube und Fanatismus sind zweierlei.

Ebenso unmissverständlich positioniert sich nun Neuseelands Premierministerin Ardern. Jede ihrer Gesten signalisiert: Ich stehe an der Seite der muslimischen Opfer, der Islam gehört zu Neuseeland. „Danke für ihre Worte und für ihre Tränen“, sagte beim Freitagsgebet an der Al-Nur-Moschee der Imam. „Danke dafür, wie sie uns mit einem einfachen Tuch die Ehre erweisen.“

Solch demonstrative Inklusion durchkreuzt die Strategie der Exklusion. Islamfeinde behaupten, der Islam sei mit westlichen Werten unvereinbar, eine Integration von Muslimen daher unmöglich. Dasselbe behaupten Islamisten. Muslime würden diskriminiert, sagen sie, nur durch Abgrenzung von der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft könnten sie ihren Glauben praktizieren und ihre Identität bewahren.

Neuseeland durchbricht diese sich gegenseitig befeuernde apokalyptische Feindrhetorik. Über Momente der tiefsten Trauer legen sich Trost und menschlicher Anstand. Mit einem einfachen Tuch den Muslimen die Ehre erweisen: Es kann so einfach sein.

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