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Anthony Fauci spricht mit US-Präsident Trump im Rosengarten des Weißen Hauses.

© REUTERS/Al Drago

Update

Trump befürchtet 100.000 Coronavirus-Tote: Die Kehrtwende des US-Präsidenten

Eigentlich wollte der US-Präsident schon über Lockerungen der Einschränkungen in der Coronakrise reden. Doch drastische Zahlen bringen Trump zum Einlenken.

Anthony Fauci ist kein Mann, der zu Übertreibungen oder wilden Spekulationen neigt. Auch darum hören alle immer ganz genau zu, wenn Amerikas oberster Immunologe eine Prognose über die Entwicklung der Coronavirus-Epidemie abgibt. Am Sonntag klingt diese Prognose dramatisch: Die USA müssten sich auf „Millionen“ Coronavirus-Infizierte und möglicherweise 100.000 bis 200.000 Todesfälle einstellen, sagt der Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten in der CNN-Sendung „State of the Union“.

Fauci fügt aber auch hinzu, dass er wenig von Prognosen halte, da man leicht falsch liegen und die Leute in die Irre führen könne. „Schauen Sie sich einfach die Daten an (...) und sorgen Sie sich nicht um diese Worst-Case- und Best-Case-Szenarien“, sagt er.

„Wir haben ein ernsthaftes Problem in New York, wir haben ein ernsthaftes Problem in New Orleans, und wir werden ernsthafte Probleme in anderen Gebieten entwickeln.“ Darum müssten die strengen Schutzmaßnahmen weiter in Kraft bleiben.

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Vor zwei Wochen hat Fauci sich bei einer Anhörung im US-Repräsentantenhaus noch geweigert, konkrete Zahlen zu nennen. „Ich kann Ihnen keine realistische Zahl geben, bis wir bewerten können, wie unsere Reaktion auf die Krise wirkt“, sagte er auf die drängenden Fragen der Abgeordneten, wie viele Amerikaner denn an diesem neuen Virus sterben könnten. „Wenn wir selbstgefällig sind und keine aggressiven Eindämmungs- und Vorbeugemaßnahmen ergreifen, werden die Zahlen extrem steigen und viele, viele Millionen Menschen betreffen.“ Warum also nennt er jetzt doch konkrete Zahlen?

„Das Virus bestimmt den Zeitplan“

Fauci, der seit Jahrzehnten als einer der renommiertesten Experten für Infektionskrankheiten in den USA gilt, wirbt unermüdlich dafür, dass Schutzmaßnahmen wie der geforderte Verzicht auf soziale Kontakte eingehalten werden. Und er betont, dass die Krise länger dauern wird, als viele vermuten. 

Vor allem für ältere Menschen ist das Coronavirus gefährlich.
Vor allem für ältere Menschen ist das Coronavirus gefährlich.

© Kena Betancur/AFP

Bei den Pressekonferenzen der Coronavirus-Task-Force von Präsident Donald Trump und bei TV-Interviews betont der 79-Jährige immer wieder: „Das Virus bestimmt den Zeitplan.“ Man könne versuchen, den Zeitplan durch vorbeugende Maßnahmen zu beeinflussen. Aber letzten Endes liege alles am Virus.

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Angesichts von Trumps umstrittenen Aussagen vor wenigen Tagen, dass eine Lockerung der teilweise rigiden Ausgangsbeschränkungen möglicherweise schon an Ostern vorstellbar sei, hat Fauci mehrfach betont, dass es für solche Ankündigungen zu früh sei. Erst müsse sich der Anstieg der Kurve, die die Zahl der Infizierten zeigt, abflachen. 

Man könne zwar ein bestimmtes Datum ins Auge fassen, müsse aber flexibel bleiben, die Lage ständig neu bewerten und eben auch, ob die eigenen Pläne realistisch seien. Fauci sagt, er würde eine Aufhebung der Schutzmaßnahmen in weniger betroffenen Gegenden nur unterstützen, wenn dort deutlich mehr Tests durchgeführt werden könnten. Daran hakt es aber noch.

Am Sonntagabend kommt überraschend die Kehrtwende Trumps

Faucis Worst-Case-Szenario wird auch von anderen Experten geteilt. So geht ein Modell von Forschern an der Universität Washington, das mit einem Höhepunkt der Krise in den USA Mitte April rechnet, von mindestens 38.000 und maximal 162.000 Toten insgesamt aus.

Trump kündigte dennoch an, die Ausgangsbeschränkungen in der kommenden Woche überprüfen zu wollen. An diesem Montag endet eine von Washington vorgegebene 15-Tages-Frist, in der die Amerikaner aufgefordert waren, soziale Kontakte zu meiden und zuhause zu bleiben, um so die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. 

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Da die Wirtschaft wie überall auf der Welt extrem unter den Maßnahmen leidet und die Zahl der Arbeitslosen zuletzt massiv gestiegen ist, ist der Präsident zunehmend unruhig geworden und hat angedeutet, dass das Land eventuell schon bald zur Normalität zurückkehren könne. Eine Einschätzung, die heftig kritisiert wurde.

[Aktuelle Entwicklungen der Coronavirus-Pandemie weltweit können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]

Aber dann kommt es doch anders - die dramatischen Prognosen hinterlassen offenbar auch beim Präsidenten ihre Spuren. Am Sonntagabend vollzieht Trump erneut eine Kehrtwende: Beim täglichen Briefing, das wegen des schönen Wetters kurzfristig in den Rosengarten verlegt worden ist, sagt Trump auf einmal, er befürchte, dass die Coronavirus-Krise in den USA 100.000 Menschen das Leben kosten könnte. 

Wenn es gelinge, die Todeszahl durch die getroffenen Eindämmungsmaßnahmen auf 100.000 zu begrenzen, „dann haben wir alle zusammen einen guten Job gemacht“, sagt er und fügt an: „Das ist eine furchtbare Zahl.“ 

Darum würden die Richtlinien zur sozialen Distanzierung zunächst bis zum 30. April weiter gelten. Er erwarte, dass die Zahl der Todesfälle zu Ostern - also in zwei Wochen - ihren Höhepunkt erreichen werde. Danach werde diese Zahl „hoffentlich sehr substanziell“ sinken. Seine neue Ankündigung: „Wir können erwarten, dass wir bis zum 1. Juni auf dem Weg der Besserung sein werden.“

Ehrgeizig oder leichtfertig?

Zur Begründung seiner Kehrtwende verweist der Präsident auf eine Studie des Imperial College in London, die von 2,2 Millionen Toten in den USA ausgeht - wenn keine Maßnahmen zur Eindämmung des Virus getroffen werden. Allerdings wurde diese Studie bereits am 16. März veröffentlicht, warum er erst jetzt daraus Konsequenzen zieht, erklärt Trump nicht. Er sagt nur lapidar, seine Erwähnung von Ostern sei eben „ehrgeizig“ gewesen.

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Ehrgeizig - oder eher leichtfertig? Wie sehr sich die Krise in den vergangenen Tagen zugespitzt hat, als sich die Zahl der Toten innerhalb von 24 Stunden verdoppelte, dürfte auch Trump nicht entgangen sein. Mit fast 140.000 bestätigten Fällen und mehr als 2400 Toten (Stand Sonntagabend) sind die USA inzwischen zum Epizentrum der Coronavirus-Pandemie geworden. 

Vor allem in New York mit der Millionenmetropole New York City, in angrenzenden Bundesstaaten wie New Jersey und Connecticut sowie im Südstaat Louisiana hat sich die Lage dramatisch verschärft. Die Gouverneure warnen davor, dass ihre Gesundheitssysteme schon in wenigen Tagen überlastet seien, und fordern mehr Unterstützung aus Washington.

Der Bürgermeister von New York City fühlt sich „wie in Kriegszeiten“

56 Prozent aller neuen Infektionen würden in New York festgestellt, sagt Fauci. Immer dramatischer klingen die Berichte vor allem aus New York City. Bürgermeister Bill de Blasio vergleicht die gefühlte Lage in seiner Stadt am Sonntag mit „Kriegszeiten“. Diese Krise werde noch lange anhalten, sagt auch er. Die Ärzte und Pfleger könnten im jetzigen Tempo nicht über Wochen weiterarbeiten und bräuchten Unterstützung. Er könne den reibungslosen Betrieb der Krankenhäuser nur für eine Woche garantieren.

Für Entlastung soll jetzt das Lazarettschiff „Comfort“ mit seinen 1000 Betten sorgen, das sich am Samstag vom Bundesstaat Virginia aus auf den Weg nach New York machte. Trump war persönlich beim Auslaufen dabei. „Ihr habt die unerschütterliche Unterstützung der gesamten Nation, der gesamten Regierung und des gesamten amerikanischen Volkes“, sagte er da an die New Yorker gerichtet.

Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Verwirrung stiftete der Präsident aber zunächst einmal mehr, als er am Samstag über die Möglichkeit spekulierte, die Bewegungsfreiheit für Menschen in New York, New Jersey und Connecticut drastisch einzuschränken, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. „Einige Leute würden New York gerne unter Quarantäne gestellt sehen, weil es ein Hotspot ist“, sagte Trump. Zuvor hatte er aber offenbar weder mit seinen Experten, noch mit den Gouverneuren der betroffenen Staaten gesprochen.

Trumps verwirrt mit Spekulationen über eine Quarantäne

New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo stellte sofort die Frage, ob eine solche durch Washington angeordnete Maßnahme rechtlich überhaupt möglich sei. „Das würde eine Kriegserklärung an die Staaten sein“, sagte Cuomo. Der Gouverneur von Connecticut, Ned Lamont, warnte auf Twitter, Verwirrung führe nur zu Panik.

Nachdem er sich dann doch beraten hatte, gab der Präsident dann am Samstagabend selbst Entwarnung: „Eine Quarantäne wird nicht notwendig sein“, twitterte Trump. Stattdessen veröffentlichte die Gesundheitsbehörde CDC einen Reisehinweis. 

Die mehr als 30 Millionen Einwohner von New York, New Jersey und Connecticut werden dazu angehalten, in den kommenden 14 Tagen auf nicht notwendige inländische Reisen zu verzichten. Dies gelte nicht für Beschäftigte beispielsweise im Gesundheitswesen, bei Finanzdienstleistern oder in der Lebensmittelindustrien.

Aber diese Aufforderung, auf unnötige Reisen zu verzichten, gilt eigentlich ohnehin schon - und zwar für das ganze Land. Tief blicken lassen einmal mehr „Dr. Faucis“ Äußerungen zu diesem Thema: Er habe mit dem Präsidenten „sehr intensive Gespräche“ über eine mögliche Quarantäne geführt, danach habe der davon Abstand genommen. Es sei wichtig, nichts durchzusetzen, was möglicherweise „größere Schwierigkeiten“ schaffen würde. Wichtig sei der Verzicht auf unnötige Reisen. „Was wir nicht wollen, sind Menschen, die aus diesem Gebiet in andere Gebiete des Landes reisen und versehentlich und unbeabsichtigt andere Personen infizieren.“

Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Fauci seinen Einfluss auf seine ganz eigene Art ausübt. Genau so versteht er ja auch seine Aufgabe: Schon Ronald Reagan, der ihn 1984 an die Spitze des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten berief, musste er erst davon überzeugen, wie gefährlich HIV ist.

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