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Der angeklagte frühere NPD-Politiker Maik Schneider und sein Verteidiger Oliver Milke (l.).

© Bernd Settnik/dpa

Überlastete Staatsanwälte: Entlassen, weil die Justiz zu langsam ist

Immer wieder kommen Angeklagte mit teils schwersten Delikten aus der Untersuchungshaft frei, weil die Verfahren viel zu lange dauern.

In Berlin mussten im Jahr 2018 insgesamt 13 Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil die Ermittlungen, Verfahren und Prozesse zu lange gedauert haben. Gegen die Personen wurde etwa ermittelt wegen Bandendiebstahls, schweren Raubes, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern oder bewaffneten Drogenhandels. Über die Untersuchungshaft entscheidet ein Richter, es muss neben dem dringenden Tatverdacht ein Haftgrund vorliegen, etwa Fluchtgefahr oder Verdunklungsgefahr.

Bei sieben der Freilassungen stellte das Kammergericht unnötige Verzögerungen bei der Staatsanwaltschaft fest. Die Untersuchungshaft darf maximal sechs Monate dauern und muss danach besonders begründet werden. Zudem muss zügig ermittelt und prozessiert werden, da die Untersuchungshaft ein massiver Grundrechtseingriff gegen die noch nicht Verurteilten ist.

Kommt die Justiz dem sogenannten Beschleunigungsgebot nicht nach, darf das nicht zulasten der Untersuchungshäftlinge gehen. Der Freiheitsanspruch gewinnt gegenüber der Strafverfolgung an Bedeutung, je länger die Untersuchungshaft dauert. Berlins überlastete Justiz ist dabei kein Einzelfall. Einige Beispiele:

Am 3. Juli 2019 beschließt das Landgericht Cottbus mitten im laufenden Mordprozess: Der angeklagte Syrer wird nach zwei Jahren und vier Monate aus der Untersuchungshaft entlassen – weil ein Ende des seit Oktober 2017 laufenden Prozesses nicht absehbar ist, auch wegen unvollständiger Akten und Ermittlungspannen bei der Spurensicherung. Ende 2016 soll er im Alter von 17 Jahren eine 82-Jährige in ihrer Cottbuser Wohnung gefesselt, mit einer Tüte über dem Kopf ermordet und ihr Geld gestohlen haben – Raubmord. Jetzt muss sich der Syrer täglich bei der Polizei melden.

Am 11. März 2019 entscheidet das Kammergericht Berlin, einen 38-Jährigen aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Gegen ihn wird wegen sexuellen Missbrauchs ermittelt, er soll zwei Kinder misshandelt und Kinderpornos besessen haben. Nach der Festnahme im August 2018 wird im Oktober Anklage erhoben. Erster Prozesstermin: 20. März. Für das Kammergericht ist das eine rechtswidrige Verzögerung. Der Grund: Überlastung, zu viele Haftsachen auf einmal im Gericht.

Am 3. Januar 2019 befindet das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG): Der Neonazi Maik Schneider kommt aus der Untersuchungshaft frei. Gegen ihn läuft der Revisionsprozess wegen eines Brandanschlags auf eine Sporthalle in Nauen 2015, die als Flüchtlingsunterkunft vorgesehen war. Das OLG sieht vermeidbare Verfahrensverzögerungen durch die Justiz. Der Ex-NPD-Politiker fordert nun eine Entschädigung für seine Untersuchungshaft.

Am 6. Dezember 2018 muss auf Anordnung des OLG ein verurteilter Mörder aus Potsdam nach einem Jahr und neun Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen werden – wegen unverhältnismäßig langer Verfahrensdauer. Das Mordurteil erging bereits im Februar 2018 am Landgericht Potsdam. Der Mann hat demnach seine Frau durch eine Unfallfahrt getötet. Weil er vor den Bundesgerichtshof zog, wurde das Urteil zunächst nicht rechtskräftig. Erst am 10. Januar bestätigt der BGH den Schuldspruch. Der Mann muss nach einem Monat Freiheit hinter Gittern, versteckt sich aber, wird per Haftbefehl gesucht und doch noch geschnappt.

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