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Instytutska Straße in Kiew: Gedenken an die „Himmlischen Hundert“, die bei den Maidan-Demonstrationen im Februar 2014 ihr Leben verloren.

© Valentyn Ogirenko/Reuters

Ukraine: Die Enttäuschten vom Maidan

Fünf Jahre nach den Protesten in Kiew fühlt sich die junge Generation von den alten Politikern betrogen. Reformen kommen nur schleppend voran.

Auf dem Hauptplatz von Kiew weht ein kalter Wind. Der erste Schnee ist schon gefallen. Passanten gehen ihren Geschäften nach, Touristen fotografieren sich vor dem Denkmal, dass den Gründern Kiews gewidmet ist. Alltag auf dem Maidan Nesaleschnosti, dem Platz der Unabhängigkeit.

Vor fünf Jahren, am 21. November 2013, sammelten sich hier die ersten Menschen und demonstrierten gegen die Korruption und die Nicht-Unterzeichnung des Abkommens mit der Europäischen Union durch den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch.

Den ganzen Winter protestierten Hunderttausende trotz Minusgraden und exzessiver Gewalt durch die polizeiliche Spezialeinheit Berkut. Am 18. Februar 2014 kam es zu gewaltvollen Eskalationen, 100 Menschen starben durch Heckenschützen. Den „Himmlischen Hundert“ wurde auf der Instytutska Straße in der Nähe des Platzes ein Denkmal gesetzt.

Nach einem Friedensabkommen am 21. Februar 2014 floh Janukowitsch noch in der Nacht. Die pro-europäischen Demonstranten des „Euromaidan“ hatten gesiegt.

Tage des Aufruhrs. Demonstranten lassen den Maidan in Rauchschwaden verschwinden. In der Ukraine begann eine neue Zeitrechnung. Auch für Hromadske TV war die Zeit prägend. Der Sender ging an den Start und wurde zum Sprachrohr des Euromaidan.
Tage des Aufruhrs. Demonstranten lassen den Maidan in Rauchschwaden verschwinden. In der Ukraine begann eine neue Zeitrechnung. Auch für Hromadske TV war die Zeit prägend. Der Sender ging an den Start und wurde zum Sprachrohr des Euromaidan.

© dpa

Präsident Poroschenko hat die Wähler enttäuscht

Haben sie ihr Ziel erreicht? „Die Erwartungen an Petro Poroschenko waren sehr hoch“, sagt der 37-jährige Abgeordnete Mustafa Najem. Er war Journalist und hatte über sein Facebook-Profil zu den ersten Protesten auf dem Maidan aufgerufen. Petro Poroschenko, Schokoladenfabrikant, ist nach der Revolution zum Präsidenten aufgestiegen. Seit vier Jahren sitzt auch Najem im Parlament, im „Block Petro Poroschenko“ ist er Teil der Gruppe der „Eurooptimisten“.

Najems Fazit ist bitter: Poroshenkos Politik habe die Generation Euromaidan enttäuscht. „Er hat uns die Hoffnung auf Veränderung genommen.“ Nicht nur seit der Revolution sind fünf Jahre vergangen, auch der Krieg in der Ostukraine und der Konflikt um die Halbinsel Krim dauert schon so lange an. Viele Reformen, im Bereich Antikorruption oder die Erneuerung des Wahlrechts, die schon lange fällig wären, kämen nur schleppend voran, weil sich die Politik auf den Konflikt mit Russland konzentriert.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko.

© Reuters

Das erste Jahr nach dem Maidan sei das „goldene Zeitalter für die Zivilgesellschaft“ gewesen, sagt Najem, doch dann habe Poroschenko Unterstützung verloren und sich auf eine Kooperation mit Oligarchen eingelassen. Der Präsident versprach, sein Schokoladenimperium zu verkaufen, doch jetzt leuchten wieder Weihnachtsdekorationen vor den Süßwarenläden der Marke „Roshen“ in den Straßen Kiews. Im Ranking von Transparency International belegt die Ukraine Platz 130 von 180.

Der Kampf gegen Korruption ist gefährlich

Anschläge auf Antikorruptions-Aktivisten schaffen ein Klima der Angst. Anfang November starb die Politikerin und Aktivistin Kateryna Gandsjuk an den Folgen eines Säureanschlags. Sie hatte in der südukrainischen Stadt Cherson Korruptionsfälle öffentlich gemacht.

Vitali Schabunin weiß, dass die Bedrohung, die Gandsjuk erleben musste, kein Einzelfall war. Zahlreiche Aktivisten wurden in den letzten Jahren Opfer von Angriffen. Schabunin ist 33 Jahre alt und Mitgründer des „Anti Corruption Action Center“ (AntAC). Im Juli wurde ihm selber ätzende Flüssigkeit ins Gesicht geschüttet.

Er hat sich erholt und bleibt engagiert, keine Spur von Angst. „In Kiew sind die Aktivisten sicherer als in der Region“, sagt er. Es sei viel schwieriger, Korruption im Lokalen zu bekämpfen – in der Hauptstadt sei das öffentliche Interesse größer. Die Angriffe sind für ihn ein Zeichen dafür, dass die Arbeit der Aktivisten und engagierten Politiker wirkt.

Aktivisten fordern Antikorruptionsgericht

AntAC begleitet den Reformprozess. Die Organisation bestätigt, dass Korruptionsfälle bei öffentlichen Auftragsvergaben zurückgegangen seien, seitdem eine einsehbare digitale Plattform dafür geschaffen wurde.

Das Nationale Antikorruptionsbüro, 2014 auf Aufforderung des Internationalen Währungsfonds (IWF) etabliert, wird von Aktivisten ebenfalls als Erfolg gesehen. Doch kommen solche Fälle selten vor Gericht – der auf Antikorruption spezialisierte Staatsanwalt steht in der Kritik, unsauber zu arbeiten.

Die Aktivisten hoffen deshalb auf die Einrichtung eines Antikorruptionsgerichts. Der Zeitdruck ist hoch: Es soll noch vor Ende des Jahres eingerichtet werden. Im Gegenzug versprechen Europäische Union und IWF weitere Finanzspritzen.

Noch immer die alten Gesichter im Präsidentschaftswahlkampf

Ein wichtiges Datum für Schabunin und seine Mitstreiter sind die Präsidentschaftswahlen am 31. März nächsten Jahres. Der Wahlkampf bringt wieder Aufschwung in die Themen, die die ehemaligen Demonstranten vom Maidan als noch nicht abgeschlossen sehen: Transparente Wahlen, weniger Korruption und eine Stärkung der Zivilgesellschaft.

Bisher stehen sich zwei Kandidaten gegenüber, die für die Aktivisten nicht den neuen Wind, sondern die Politik repräsentieren, die in der Ukraine schon seit zwanzig Jahren herrscht: Neben Petro Poroschenko ist das Julia Timoschenko, die als Ministerpräsidentin auf die „Orangene Revolution“ von 2004 folgte.

„Wir brauchen einen Wandel“, sagt Mustafa Najem. Julia Timoschenko war schon in der Politik, als er noch die Schulbank drückte.

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