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Zwei vermeintliche Meisterstrategen unter sich: Russlands Präsident Putin und sein Verteidigungsminister Shoigu.

© IMAGO/ITAR-TASS

Ukraine-Invasion Tag 177: Wie der Krieg begann und welche Fehler Putin machte

Sorge um besetztes AKW bleibt groß, Angriffe nahe Belgorod und Kiew kritisiert Kubicki. Der Überblick am Abend.

Am nächsten Mittwoch ist es ein halbes Jahr her, dass Russland die Ukraine überfiel. Ein großer Krieg, mitten in Europa. Bis zu diesem 24. Februar hatte das kaum jemand in der EU für möglich gehalten. In den USA schon

Das zeigt jetzt eine aufwendige Recherche der „Washington Post“ (hier zu finden). In mehreren ausführlichen Artikeln hat die US-Zeitung die Monate vor dem Krieg rekonstruiert; wie viel die Amerikaner schon im Oktober 2021 über die Invasionspläne wussten (eigentlich alles, bis auf den genauen Kriegsbeginn), wie der russische Geheimdienst sich die Operation vorstellte (von der Ukraine sollte nur ein kleiner Teil ganz im Westen als unabhängiges Land bestehen bleiben), wie schwer es für die Amerikaner letztlich war, die Ukraine und den Westen zu überzeugen, dass ein furchtbarer Krieg bevorsteht.

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Interessanterweise rechneten auch die Ukrainer mit einem Überfall, wie kürzlich der Oberst der Reserve Sergiy Grabskyi in einem Podcast erzählte (Quelle hier). Allerdings sehr viel später im Jahr und lokal auf den Donbass begrenzt. Eine breit angelegte Invasion hielten die Militärs in Kiew für ein zu verrücktes Unterfangen. Aber genau das hatte Putin im Kopf. 

Putin hat sich, so jedenfalls legen es die Recherchen der „Washington Post“ nahe, aber nicht nur im Verteidigungswillen der Ukrainer getäuscht, den sein Geheimdienst als nicht sonderlich ausgeprägt einordnete. Der Kremlherrscher hat sich auch bei der Reaktion des Westens verschätzt. Salopp gesagt: Ein bisschen Aufregung und Sanktionen würde es im Westen geben, so das Kalkül in Moskau, aber nichts, was Russland sonderlich schaden würde. Allein weil die Energieabhängigkeit Europas von Russland so groß war. Dass der Westen über Monate für viele Milliarden Euro beziehungsweise Dollar modernstes Kriegsgerät in die Ukraine schickt, hatte er wohl nicht auf der Rechnung. 

Und so entwickelte sich der Krieg bis zu dem Punkt, an dem er heute ist: Bis auf einen Flecken im Donbass hat die Ukraine den russischen Vormarsch gestoppt und geht nun zum Gegenangriff über. Das allein ist historisch: Ein kleines, wirtschaftlich schwaches Land trotzt einem großen, mächtigen Gegner. Eher als historische Bücher über die Zaren als Inspiration für seine Invasion zu lesen, hätte Putin vielleicht die modernen Kriege studieren sollen. Durchhaltewille und eine exzellente Strategie führten da häufig zum Sieg - nicht die wirtschaftliche Größe und die Anzahl der Panzer. 

DIE WICHTIGSTEN NACHRICHTEN DES TAGES IM ÜBERBLICK

  • Zur Verbesserung der Gasversorgung hat sich FDP-Vize Wolfgang Kubicki in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland für die Öffnung der Ostseepipeline Nord Stream 2 ausgesprochen – und dafür viel Kritik geerntet, auch aus Kiew. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Im russischen Grenzgebiet zur Ukraine ist Angaben örtlicher Behörden zufolge ein Munitionsdepot in Flammen aufgegangen. Wie der Gouverneur der Region Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, mitteilte, fing das Lager nahe der 50 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernten Ortschaft Timonowo Feuer. Die Details dazu finden Sie hier.
  • Die Kreishandwerkerschaft Halle-Saalekreis in Sachsen-Anhalt hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, alle Sanktionen gegen Russland zu stoppen. In einem Offenen Brief fordern sie zudem Verhandlungen zur Beendigung des Krieges gegen die Ukraine. Mehr dazu erfahren Sie hier.
  • Die Explosionen auf dem Krim-Stützpunkt Saki haben nach Einschätzung eines Insiders der russischen Schwarzmeer-Flotte stark zugesetzt. Mehr als die Hälfte der zur Flotte gehörenden Kampfjets seien nicht mehr einsatzbereit, sagt der westliche Behördenvertreter. Mehr dazu in unserem Newsblog.
  • Die ehemalige Gazprom-Tochter Gazprom Germania braucht nach einem Bericht des „Spiegel“ möglicherweise mehr Geld der öffentlichen Hand. Das Unternehmen werde möglicherweise nicht mit einem Darlehen der staatlichen Förderbank KfW über 9,8 Milliarden Euro auskommen.
  • Rund einen Tag nach schweren russischen Raketenangriffen auf die ostukrainische Metropole Charkiw ist die Zahl der Toten Angaben aus Kiew zufolge auf 21 gestiegen. Zugleich seien neun weitere Menschen aus den Trümmern eines Wohnheimes gerettet worden, teilte der ukrainische Zivilschutzdienst bei Telegram mit. 
  • Die Ukraine fürchtet, dass Russland das größte Atomkraftwerk des Landes vom nationalen Stromnetz trennen will. Es gebe Hinweise darauf, dass russische Truppen das Abschalten der noch betriebenen Reaktoren im AKW Saporischschja vorbereiteten, teilte der staatliche Energieversorger Energoatom am Freitag mit.
  • Die Bundesregierung blockiert laut einem Bericht der „Welt“ seit Monaten Bitten der Ukraine um weitere Waffenlieferungen. Diese seien in den vergangenen zehn Wochen wiederholt durch ukrainische Diplomaten im Bundesverteidigungsministerium vorgebracht worden, hieß es. 
  • Das russische Militär versucht offenbar, mit regelmäßigen Angriffen auf Charkiw die ukrainischen Streitkräfte an der Front im Nordosten zu binden. So solle verhindert werden, dass die Ukraine mehr Truppen zu Gegenangriffen in anderen Regionen einsetzen könne, teilt das britische Verteidigungsministerium mit. 
  • Russlands Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping werden im November am G20-Gipfel auf Bali teilnehmen. Dies bestätigte der indonesische Präsident Joko Widodo gegenüber Bloomberg News. 

HINTERGRUND UND ANALYSE

1. Von der Filmemacherin zur Minensucherin im Donbass: Die Frauen an der ukrainischen Frontlinie

Zehn Prozent der ukrainischen Armee sind weiblich. Was treibt diese Frauen an? Sechs Soldatinnen erzählen, was sie zum Militär zog – und was sie dort erleben.

2. Todesangst im Atomkraftwerk Saporischja: Putin plant angeblich gezielte Reaktorkatastrophe

Die „New York Times“ sieht Indizien für eine Operation unter falscher Flagge. Moskau möchte dann Kiew die Schuld für die Verstrahlung geben. Eine Analyse. 

3. Kniefall vor dem starken Mann: Die schöngeredete Vergewaltigung

Wie Neurechte, Pazifisten und Nationalisten auf die russische Ukraine-Invasion blicken. Ein Gastbeitrag.

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