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Ein ukrainischer Soldat überprüft die von russischen Soldaten ausgehobenen Schützengräben.

© Foto: Leo Correa/dpa

Ukraine-Invasion Tag 238: Black Box Cherson – Warum kaum etwas über die Lage an der Front bekannt ist

Putins Mobilisierungschef tot aufgefunden, Berlusconis Flirt mit dem Kremlherrscher, Sanktionen gegen den Iran. Der Überblick am Abend.

In überraschender Offenheit hat Putins neuer General für die Ukraine am Dienstagabend die Situation im besetzten Süden des Landes beschrieben (siehe Karte unten). „Schwierig“ sei die Lage, „schwierige Entscheidungen“ könnten nötig sein, sagte Sergej Surowikin in abgehackten Sätzen im Fernsehen. Dabei schaute er sichtlich angestrengt neben die Kamera, vielleicht auf einen Teleprompter. Um dann noch einmal zu sagen, so dass es auch tatsächlich jeder Zuschauer verstand: „Ich wiederhole - heute ist es bereits ziemlich schwierig.“ 

Wenn ein als „General Armageddon“ bekannter Militär so spricht, muss es tatsächlich ernst sein. Zur Erinnerung: Putin hatte Surowikin nach scharfer Kritik der Ultranationalisten an der angeblich zu „weichen“ Kriegsführung des russischen Verteidigungsministeriums berufen (hier lesen Sie ein Porträt über ihn). 

Die Dramatik der Worte Surowikins wurde heute von Meldungen unterstrichen, dass sich die russische Regionalverwaltung aus der Stadt Cherson auf das sicherere linke Ufer des Dnjepr zurückzieht. Zudem sollen bis zu 60.000 Zivilisten aus der Region Cherson „evakuiert“ werden. Putin verhängte zudem das Kriegsrecht in den annektierten Gebieten. 

Aber wie ernst ist die Situation wirklich für die Russen in Cherson? Das ist völlig unklar. Denn die ukrainische Militärführung rief kürzlich eine Nachrichtensperre in Zusammenhang mit der andauernden Offensive im Süden aus. Ähnliches hatte sie schon vor einigen Wochen getan, als die Offensive startete: Keine Berichte von der Front, keine Fotos und Videos der Soldaten sollten in den sozialen Netzwerken landen. Das klappte damals weitgehend und funktioniert auch jetzt wieder. Die Folge: Die Situation in Cherson ist eine Blackbox. Von russischer Seite hieß es heute, dass Angriffe entlang des Flusses Dnjepr abgewehrt wurden. Das ist auch das, was auf russischen Telegram-Kanälen kursiert. Dort ist allerdings auch von einer punktuellen Übermacht der ukrainischen Streitkräfte zu lesen.

Sicher ist: Den russischen Truppen dürfte langsam die Munition und die Verpflegung in Cherson ausgehen; darauf deuten auch abgehörte Telefonate von russischen Soldaten an der Front hin. Vor ein paar Tagen hieß es aus Kiew, dass die russischen Verluste sechs Mal höher als die der Ukrainer seien. Wenn das Verhältnis sich noch ungünstiger für Moskau entwickle, stünden die Truppen vor dem Zusammenbruch. Vielleicht ist es das, was Surowikin als „schwierig“ bezeichnet. 

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Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Putin verhängt Kriegszustand in annektierten Gebieten: Mit dem Dekret können Bewohner zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gezwungen oder an Reisen gehindert werden, auch das Abhören von Telefonaten ist möglich. Mehr hier. 
  • Russischer Mobilisierungschef tot aufgefunden: Roman Malyk gehörte zu den engen Vertrauten Putins. Die Umstände seines Todes sind ungeklärt. Mehr hier. 
  • „20 Flaschen Wodka und einen süßen Brief geschickt“: Der russische Präsident zähle ihn zu einem „seiner fünf echten Freunde“, erzählt Berlusconi in einem heimlich aufgenommenen Audio-Mitschnitt. Es ist nicht die einzige brisante Aussage. Mehr hier.
  • Die Ukraine hat weitere russische Raketenangriffe auf zentrale Regionen des Landes gemeldet. Beschossen worden sei am Mittwochmittag unter anderem das Gebiet Winnyzja, teilten die Behörden mit. Details zu Schäden und Opfern gab es zunächst nicht. Auch in Kiew waren Explosionsgeräusche zu hören, wie eine dpa-Reporterin in der Hauptstadt berichtete. Mehr in unserem Newsblog.
  • Die EU-Staaten werfen dem Iran eine Unterstützung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor und haben deshalb neue Sanktionen gegen das Land auf den Weg gebracht.
  • Das Europäische Parlament hat den diesjährigen Sacharow-Preis für Demokratie und Menschenrechte an das ukrainische Volk verliehen. Das ukrainische Volk, vertreten durch seinen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und weitere gewählte Vertreter sowie die Zivilgesellschaft, erhalte den Preis für seine derzeitigen Kämpfe und Leiden, sagte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Mittwoch in Straßburg. 
  • Der Iran hat Ausbilder auf die von Russland besetzte Krim geschickt, um die russische Armee bei dem Einsatz der iranischen Kamikaze-Drohnen zu unterstützen. Das berichtet die New York Times unter Berufung auf ehemalige und gegenwärtige Beamte der US-Regierung.In den vergangenen Tagen kam es in der ganzen Ukraine zu Angriffen mit sogenannten Kamikaze-Drohnen iranischer Bauweise.
  • Die Söldnergruppe Wagner arbeitet eigenen Angaben zufolge an einer befestigten Verteidigungslinie in der ostukrainischen Region Luhansk. „Eine Befestigungsanlage wird entlang der Kontaktlinie gebaut“, erklärte der Kreml-nahe Gründer der Gruppe, Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin, am Mittwoch auf den Online-Kanälen seiner Firma Concord. Es handele sich um eine „mehrstufige und geschichtete Verteidigung“, fügte er hinzu, ohne Details zu nennen.
  • Nach vor allem in Russland heftig kritisierten Äußerungen ist der ukrainische Botschafter in der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Kasachstan entlassen worden. Petro Wrublewskyj sei von seinem Amt entlassen, teilte das ukrainische Präsidialamt mit, wie Medien am Mittwoch berichteten. Ein expliziter Grund wurde in dem Dekret nicht genannt.
  • Finnland soll an der Grenze zum großen Nachbarn Russland einen mehr als 130 Kilometer langen Zaun bekommen. Alle im Parlament vertretenen Parteien hätten dafür ihre Unterstützung ausgesprochen, teilte Ministerpräsidentin Sanna Marin nach einem Treffen der Parteispitzen am Dienstagabend in Helsinki mit.
  • Nach Einschätzung britischer Geheimdienste sind Moskaus Probleme an der Front in der Ukraine zum Teil auf einen Mangel an kompetentem Führungspersonal zurückzuführen. Die Armee habe immer weniger fähige Nachwuchsoffiziere, die neue Rekruten anleiten und führen könnten, hieß es am Mittwoch im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Dies verschlechtere wohl die Moral und den Zusammenhalt in den russischen Truppen.
  • Ein Mitarbeiter des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja, der nach ukrainischen Angaben vor einer Woche von Russland entführt wurde, ist wieder frei. Der Vize-Generaldirektor für Personalwesen, Waleri Martynjuk, sei freigelassen worden, teilte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) am Dienstagabend mit, ohne nähere Angaben zu dem Fall zu machen.
  • Zwei US-Kampfjets haben in der Nähe des US-Bundesstaates Alaska zwei russische Bomber abgefangen. Die beiden russischen Flugzeuge des Typs Tu-95 seien in die sogenannte Luftverteidigungsidentifikationszone Alaskas geflogen, teilte das nordamerikanische Luftverteidigungskommando Norad am Dienstag mit.

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