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Ukraine-Invasion Tag 246: Mehr als 1000 Seiten russischer Dokumente zeigen, was zum Zusammenbruch im Osten führte
Uran-Transport aus Russland erreicht Deutschland, Strommangel in Kiew verschärft sich, deutsche Marine testet Laserkanonen gegen Drohnen. Der Überblick am Abend.
Stand:
Balaklija in der Region Charkiw war entscheidend für die ukrainische Offensive im Nordosten des Landes, die am 6. September begann und bis heute anhält. Die Stadt, die vor dem Krieg rund 30.000 Einwohner zählte, war seit der Erorberung im März ein wichtiger Truppenstützpunkt der Russen und sollte den Vormarsch nach Westen absichern.
Nach mehreren Tagen schwerer Kämpfe fiel die Stadt am 8. September wieder an Kiews Truppen und machte den Weg für die ukrainischen Einheiten nach Osten frei.
In einem der Stützpunkte in der Stadt (Foto unten), der auch von russischen Kommandeuren als Einsatzzentrum genutzt wurde, fanden Reporter der Nachrichtenagentur Reuters nach der Befreiung tausende Blätter an Aufzeichnungen. Mehr als 1000 Seiten aus dem Fundus haben die Reuters-Journalisten ausgewertet, darunter auch ein Notizbuch eines anonymen Soldaten.

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Es lohnt sich, ihren ausführlichen und extrem eindrücklichen Bericht im Original (unter diesem Link) zu lesen, gibt er doch einen detaillierten Einblick in die Lage der russischen Truppen an der Front. Hier nur die wichtigsten Punkte aus dem Bericht:
- Die russischen Soldaten hatten Schwierigkeiten, Drohnen zur Überwachung einzusetzen: Weil die Technik nicht funktionierte und die Soldaten dafür nicht ausgebildet waren. Mehrere Drohnen waren auch kaputt, Nachschub kam keiner.
- Die in der Stadt stationierten Truppen waren ausgezehrt und schlecht motiviert. Zwei der Einheiten besaßen gerade noch 20 Prozent ihrer ursprünglichen Kampfstärke. Verlieren Einheiten zu viele Soldaten, werden sie ineffektiv, weil das Zusammenspiel der verschiedenen Waffengattungen nicht mehr funktioniert.
- In den Dokumenten ist auch die Rede von einem „Befragungszentrum“, in dem Zivilisten gefoltert wurden. Zudem wurden in dem Stützpunkt laut Augen- und Ohrenzeugen ukrainische Veteranen misshandelt und in einer nahegelegen Polizeistation Frauen vergewaltigt, wie die Reuters-Journalisten durch Befragungen vor Ort herausfanden.
- Der Lohn von russischen Unteroffizieren ist mit umgerechnet 3200 Dollar monatlich angegeben. Der von Unteroffizieren der selbsternannten Separatisten aus Luhansk mit 1200 Dollar. In den Reihen der Separatisten waren zahlreiche verurteilte Kriminelle.
- Der russische Geheimdienst wusste, dass die Ukraine Ende Juli Himars in die Gegend verlegen würde. Die Raketenwerfer waren erst einige Wochen vorher aus den USA geliefert worden. Dem Geheimdienst war auch bekannt, dass die Ukrainer die Positionen einiger russischer Kommandoposten in der Gegend kannten. Drei Tage später starben die ersten zwölf Soldaten durch Himars-Beschuss. Der Beschuss hielt in den Wochen darauf an.
- Im Sommer, als sich die ersten ukrainischen Angriffe nahe der Stadt verstärkten, ging den Besatzern nach und nach das Gerät und die Munition aus. Die Ukraine griff zu diesem Zeitpunkt vermehrt die Nachschublinien und Depots der Russen in der Ostukraine an.
- Als die Großoffensive der Ukrainer Anfang September startete, hatten die russischen Truppen in Balaklija dem Artilleriefeuer der Ukrainer nichts mehr entgegenzusetzen. Der Kommandostützpunkt, in dem Reuters die Dokumente fand, wurde von Himars-Beschuss weitgehend zerstört. Viele der Soldaten flohen, wurden verwundet oder getötet.

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Die wichtigsten Nachrichten des Tages:
- Angeblicher Beweis für „schmutzige Bombe“: Kreml zeigt 12 Jahre altes Foto aus Slowenien, um Vorwürfe gegen Kiew zu belegen. Mehr hier.
- Nach Explosionen im September: Bundesregierung glaubt nicht an Verfügbarkeit von zweiter Nord Stream 2-Röhre. Mehr hier.
- Deutsche Marine schießt Drohne mit Laserwaffe vom Himmel: Der Test wurde bereits im August durchgeführt und am Donnerstag als Erfolg gewertet. Es sei ein wichtiger Schritt in Richtung einsatzfähiger Laserwaffen, sagen die Rüstungsunternehmen. Mehr hier.
- Wegen neuer Schäden in der Energieversorgung drohen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew noch drastischere Stromabschaltungen. In der Nacht seien bei einem russischen Angriff auf eine Anlage im Umland „ernsthafte Schäden“ entstanden, teilte der Stromversorger Yasno mit. Dadurch fehle für die Millionen-Metropole etwa ein Drittel der notwendigen Leistung. „Es könnte passieren, dass halb Kiew ohne Licht dasitzt“, hieß es. Mehr in unserem Liveblog.
- Die ukrainische Armee habe ihre Kräfte an der Grenze zu Belarus verstärkt, teilt der Generalstab mit. Zwar gebe es gegenwärtig keine Anzeichen für einen Angriff aus Belarus, erklärt der führende ukrainische Militär Olexij Hromow. Es gebe aber Drohungen.
- Das Rote Kreuz hat immer noch keinen Zugang zu allen Kriegsgefangenen, die seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine festgenommen worden sind. „Wir teilen die Frustration darüber, dass wir noch nicht zu allen Kriegsgefangenen Zugang erhalten haben“, teilte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) am Donnerstag in Genf mit.
- Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU geht gegen Dutzende Geistliche vor, weil sie Russland beim Angriff auf die Ukraine unterstützt haben sollen. Seit Kriegsbeginn habe der SBU Strafverfahren gegen 33 Geistliche eingeleitet, sagte dessen Chef Wassyl Maljuk am Donnerstag der Nachrichtenagentur Interfax Ukraine. Darunter seien „klassische Agenten, die detaillierte Informationen sammeln“ und „banale Feuerspäher“.
- Russland droht mit dem Abschuss kommerzieller westlicher Satelliten, wenn diese im Ukraine-Krieg genutzt werden. Sie seien dann legitime Ziele für Russland, sagte ein hochrangiger Beamter des russischen Außenministeriums bei den Vereinten Nationen (UN). Konstantin Woronzow, stellvertretender Direktor der Abteilung für Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle des Ministeriums, warf den USA und ihren Verbündeten vor, den Weltraum zu nutzen, um die westliche Vorherrschaft durchzusetzen.
- Berlin plant derzeit keine Städtepartnerschaft mit der ukrainischen Hauptstadt, will die Kontakte zu Kiew aber ausbauen. Das teilte die Senatskanzlei der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) habe zuletzt Ende September in Prag ein ausführliches Gespräch mit ihrem Amtskollegen Vitali Klitschko anlässlich des Berliner Beitritts zum „Pakt der Freien Städte“ geführt.
- Ein Kraftwerk in Sewastopol auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim ist nach Behördenangaben von einer Drohne angegriffen worden. Das teilte Stadtchef Michail Raswoschaejew am Donnerstag mit. Bei dem Angriff in der Nacht sei ein Transformator in Brand gesetzt worden, der zu der Zeit aber nicht am Netz gewesen sei. Niemand sei verletzt worden, Auswirkungen auf die Stromversorgung der Hafenstadt gebe es nicht.
- Die Vereinten Nationen hoffen auf eine baldige Erneuerung des Abkommens für Getreide-Exporte zwischen der Ukraine und Russland. „Wir wollen das jetzt umgehend erneuert sehen“, sagte der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Mittwoch. Er sei „noch relativ optimistisch, dass wir das hinbekommen werden“. fügte er hinzu. Das im Juli nach Vermittlungen der Türkei und der UNO unterzeichnete Abkommen läuft am 19. November aus.
- Ältere Menschen sind nach Beobachtung des Historikers Frank Biess stärker von der Angst vor einem Atomkrieg zwischen der Nato und Russland betroffen als jüngere. Vor allem jüngere Menschen in Deutschland befürworteten aus moralischer Empörung über den Angriffskrieg die Unterstützung für die Ukraine, sagte Biess. Sie sähen die Eskalationsgefahr nicht so sehr. Aber für die älteren Menschen handele es sich um die Rückkehr eines Szenarios, mit dem sie groß geworden seien - die Kalte-Kriegs-Angst und die Angst vor dem Atomkrieg.
- Inmitten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Ende September ein Uran-Transport aus Russland die Brennelementefabrik in Lingen im Emsland erreicht. Das geht aus im Internet veröffentlichten Daten des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) hervor. Demnach wurde angereichertes Uranhexafluorid am 28. und 29. September nach Lingen transportiert.
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