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Ukraine-Invasion Tag 257: Offenheit für Friedensgespräche – Washington wünscht sich andere Rhetorik von Selenskyj
Weitere Luftabwehrsysteme in der Ukraine eingetroffen, Wagner-Chef gibt Einmischung in US-Wahlen zu, russische Verluste im Donbass. Der Überblick am Abend.
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Putin würde gerne, Selenskyj nicht. Das ist der Eindruck, der sich gerade verfestigt, wenn es um Friedensverhandlungen geht. Der Kreml deutete mehrmals in den vergangenen Wochen an, zu Gesprächen bereit zu sein. Kein Wunder, läuft es doch militärisch schlecht für Moskau. Wenn Putin die Front jetzt einfrieren könnte, würde er deutliche Geländegewinne verbuchen. Wie viel davon in ein paar Monaten noch übrig ist, ist aktuell völlig unklar.
Das ist wiederum das Kalkül der Ukraine und ihres Präsidenten Selenskyj. Warum jetzt verhandeln, wenn die Besatzer gerade zurückgedrängt werden, viele ihrer Einheiten sich in Auflösung befinden? Hinzu kommt die Frage: Was bringen Verhandlungen mit einem wie Putin, bei dem Verträge nur dazu da sind, bei nächstbester Gelegenheit gebrochen zu werden? Deshalb lautet Selenskyjs Vorgabe: Mit Putin sprechen wir nicht, erst mit seinem Nachfolger.
Den USA kommt diese Unbedingtheit alles andere als gelegen. Wie die „Washington Post“ berichtet (Quelle hier), drängt die US-Regierung Selenskyj dazu, in Hinblick auf Friedensverhandlungen seine Rhetorik anzupassen. Die Betonung liegt auf Rhetorik, nicht seine Haltung. Er solle in seinen Aussagen Verhandlungen mit Putin nicht mehr kategorisch ausschließen. Denn Washington fürchtet, dass Selenskyjs Verweigerungshaltung bei den US-Verbündeten in Europa zu Frustration führt. „Ukraine-Müdigkeit ist ein reales Problem bei einigen unserer Partner“, zitiert die Zeitung einen ungenannten US-Offiziellen.
Die Biden-Administration setzt also auf „good will“ von Selenskyj; auch aus Furcht, bald einsamer bei der Unterstützung Kiews dazustehen. Auch die morgigen Midterm-Wahlen in den USA dürften dabei eine Rolle spielen. Falls die Republikaner die Mehrheit im Kongress holen, könnten die Ukraine-Hilfen bald auch in den USA schwerer durchzusetzen sein.
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
- Der US-Sicherheitsberater Jake Sullivan - oben im Foto mit Präsident Selenskyj - verhandelte offenbar mit Putin-Vertrauten wegen der Gefahr einer nuklearen Eskalation. Moskau bestätigte den Kontakt nicht, dementierte aber auch nicht. Mehr hier.
- Der britische Geheimdienst schätzt, dass Russland den Verlust von Flugzeugen nicht ausgleichen kann. Auch die Ausbildung von Piloten dauere zu lang. Die Lufthoheit werde Russland in der Ukraine deshalb auf absehbare Zeit nicht mehr erobern. Mehr hier.
- Der russische Geschäftsmann und Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat eine Einmischung in US-Wahlen zugegeben und erklärt, dies auch künftig zu tun. „Wir haben uns eingemischt, wir mischen uns ein und wir werden uns weiterhin einmischen. Sorgfältig, genau, chirurgisch und auf unsere eigene Weise, da wir wissen, wie es geht“, schrieb Prigoschin am Montag in einem Eintrag in dem Online-Netzwerk VKontakte, dem russischen Äquivalent zu Facebook. „Während unserer punktgenauen Operationen werden wir beide Nieren und die Leber auf einmal entfernen“, fügte er hinzu ohne die Äußerung zu erläutern. Mehr in unserem Liveblog.
- Die Ukraine wirft russischen Truppen vor, verlassene Häuser in Cherson zu plündern, wo sich beide Seiten auf eine womöglich entscheidende Schlacht vorbereiten. Zudem würden Soldaten in Zivilkleidung Häuser besetzen, um ihre Stellungen für Straßenkämpfe zu verstärken, wie Regierung und Militär mitteilen.
- Die Ukraine hat nach eigenen Angaben weitere Luftabwehrsysteme von westlichen Staaten erhalten. Die Luftabwehrsysteme Nasams und Aspide würden die ukrainische Armee „erheblich verstärken und unseren Luftraum sicherer machen“, erklärte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow am Montag in Online-Netzwerken. Er bedankte sich bei „unseren Partnern - Norwegen, Spanien und den USA“. Auch andere Länder haben bereits Luftabwehrsysteme an die Ukraine geliefert. Deutschland unterstützt Kiew mit dem Luftabwehrsystem vom Typ Iris-T.
- Menschenrechtler warnen vor dem Hungertod vieler Ukrainer angesichts der fortgesetzten Raketenangriffe Russlands auf die Infrastruktur. „Sobald die Temperaturen unter null sinken, werden viele Menschen sterben, wenn Hilfe ausbleibt“, erklärte die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) am Montag in Frankfurt.
- Die Ukraine hat angesichts der Folgen des russischen Angriffskriegs in der Liefersaison 2022/23 bisher fast ein Drittel Getreide weniger exportiert. Das Exportvolumen fiel nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums binnen Jahresfrist um 30,7 Prozent auf rund 14,3 Millionen Tonnen von 20,6 Millionen Tonnen zu diesem Zeitpunkt in der Vorsaison.
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