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Ukraine-Invasion Tag 267: 298-facher Mörder, Ultranationalist und Putinkritiker - wer ist Igor Girkin?
Russland und Ukraine verlängern Getreideabkommen, Hinweis auf Verbrechen in Cherson, Beteiligung ukrainischer Ermittler in Polen gestaltet sich schwierig. Der Überblick am Abend.
Stand:
Der Abschuss der Malaysia-Airlines-Maschine MH17 am 17. Juli 2014 über der Ukraine löste weltweit Entsetzen aus. Wobei weltweit nicht ganz stimmt, denn in Russland kursierten Verschwörungstheorien über die Tat. Der Verdacht von Experten und später der Ermittler fiel allerdings sehr schnell auf prorussische Kämpfer in der Ostukraine.
Am Donnerstag hat ein Gericht in Amsterdam das Urteil in Abwesenheit der drei Angeklagten verkündet: lebenslange Haft. Bei dem Kriegsverbrechen waren damals 298 Menschen getötet worden (mehr hier). Die fünf Richter sahen es als erwiesen an, dass die beiden verurteilten Russen und ein Ukrainer für den Einsatz der Luftabwehrrakete vom Typ Buk verantwortlich waren, mit der die Boeing abgeschossen wurde.
Der wichtigste Angeklagte war Igor Girkin, Kampfname „Strelkow“ („der Schütze“) – ein ehemaliger russischer Geheimdienstoberst, angeblich im Ruhestand, der damals die Separatisten-Milizen in der Ostukraine kommandierte und der heute offenbar wieder in der Ukraine ist, obwohl ihn Fotos zuletzt auch in Russland zeigten. Girkin ist Ultranationalist und kämpft für ein großrussisches Reich.
Girkin ist seit Kriegsbeginn im Februar zu einer Art Star in den sozialen Medien geworden, weil er die russische Kriegsführung explizit kritisiert. Aber nicht, weil er inzwischen geläutert und gegen den Feldzug ist, sondern weil Putin ihm zu lasch ist. Girkin fordert unter anderem eine Generalmobilmachung in Russland.
Girkin scheint zudem immer noch gut vernetzt in der russischen Armee. Immer wieder postet er Updates aus den Kampfgebieten, die meist recht verlässlich die Lage an der Front wiedergeben. Meist sind seine Einschätzungen des Kriegsverlaufs pessimistisch. Vor einigen Wochen machten Gerüchte die Runde, wonach er selbst an die Front geschickt worden sei und dass der russische Geheimdienst es auf ihn abgesehen habe. Bestätigt ist beides nicht.
Nun ist aber auch klar: Der Mann ist ein 298-facher Mörder. Aber vielleicht ist die Chance, dass er während des ukrainischen Vormarsches in Gefangenschaft gerät, gar nicht mehr so gering; jedenfalls, wenn man Girkins eigenen Einschätzungen über den Kriegsverlauf glaubt.
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
- Russland soll 150.000 Kinder aus dem Donbass gebracht haben: Die Ukraine schlägt wegen verschleppter Kinder Alarm. Moskau spricht dagegen von deren Evakuierung zur Erholung. Die UN sind bereits informiert. Mehr hier.
- Erneut Todesfall unter hochrangigen Militärs: Der Vize-Chef der russischen Marine-Schule, Vadim Boyko, war für die Arbeit mit neuen Wehrpflichtigen zuständig. Offizielle Stellen berichten von Selbstmord. In seinem Büro waren aber offenbar mehrere Schüsse gefallen. Mehr hier.
- Eine Beteiligung ukrainischer Spezialisten an den Ermittlungen zum Raketeneinschlag auf polnischem Staatsgebiet ist nach Aussage von Polens Präsident Andrzej Duda an die Vorschriften der internationalen Rechtshilfe gebunden. „Wenn Gäste aus der Ukraine die laufenden Ermittlungen anschauen möchten, dann wird es möglich sein, ihnen das zu zeigen, so wie es mir heute gezeigt wurde“, sagte Duda am Donnerstag nach einem Besuch an der Einschlagsstelle in dem Dorf Przewodow. „Aber wenn es um die aktive Teilnahme an den Ermittlungen geht, um den Zugang zu Dokumenten, zu Informationen, dann bedarf es schon spezifischer vertraglicher Grundlagen im Sinne des internationalen Rechts und internationaler Abkommen.“ Mehr in unserem Liveblog.
- Russland hat empört auf den Ausschluss des russischen Paralympics-Verbandes (NPC) aus dem Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) reagiert. Die Entscheidung Deutschlands, der russischen Delegation Einreisevisa für die Generalversammlung des IPC am Mittwoch in Berlin zu verweigern, sei „Ausdruck eines unfairen Wettbewerbs“, sagte der stellvertretende Sprecher des russischen Außenministeriums, Iwan Netschajew, am Donnerstag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Tass.
- Russland bleibt trotz vieler Gegenbeweise bei der Darstellung, nur Infrastrukturobjekte mit einem „direkten oder indirekten Bezug“ zum militärischen Potenzial der Ukraine mit Raketen anzugreifen. Die Folgen des Beschusses, den Ausfall von Strom und Heizung, habe sich die Ukraine selbst zuzuschreiben, weil sie nicht verhandeln wolle, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag in Moskau. Die „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine werde daher fortgesetzt, „und ihre Ziele müssen erreicht werden“, sagte er russischen Nachrichtenagenturen zufolge.
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat einen Austausch aller Kriegsgefangenen mit Russland zur Bedingung für die Wiederinbetriebnahme einer wichtigen Chemie-Pipeline gemacht. Bei einem Wirtschaftsforum äußerte er sich am Donnerstag zur Zukunft der Ammoniak-Leitung von Togliatti an der Wolga in Russland nach Odessa in der Ukraine. Die mehr als 2400 Kilometer lange Leitung liegt seit Kriegsbeginn am 24. Februar still.
- Die Ukraine bekommt weitere Hilfsgüter wie Nahrungsmittel, Medizin und Stromgeneratoren aus der Europäischen Union. Diesen Monat koordiniere die EU-Kommission mehr als 1800 Tonnen an Notfallhilfen, teilte die Brüsseler Behörde am Donnerstag mit.
- Russland hat nach Angaben der internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL) in der Ukraine mindestens sieben verschiedene Arten der international geächtete Landminen eingesetzt. Es war das einzige Land neben Myanmar, das zwischen Mitte 2021 und Oktober 2022 auf solche Waffen zurückgegriffen hat, wie es im jährlichen Bericht Landminen-Monitor hieß.
- US-Präsident Joe Biden widerspricht dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj, der bislang davon ausgeht, dass es sich bei dem Raketeneinschlag in Polen um ein russisches und nicht um ein ukrainisches Geschoss handelt. Das entspreche nicht den Hinweisen, sagt Biden in Washington zu Reportern nach seiner Rückkehr vom G20-Gipfel in Indonesien.
- Russland hat nach ukrainischen Angaben erneut Städte in der Ukraine angegriffen. Zwei Marschflugkörper seien über Kiew abgeschossen worden, erklärten Beamte aus der ukrainischen Hauptstadt am Donnerstag. Behörden in der Stadt Dnipro und der Schwarzmeerstadt Odessa meldeten zudem russische Angriffe auf die örtliche Infrastruktur.
- Das Getreide-Ausfuhrabkommen zwischen der Ukraine und Russland wird nach ukrainischen Angaben um 120 Tage verlängert. Das teilte der ukrainische Infrastrukturminister am Donnerstag auf Twitter mit, ohne Details zu nennen. Auch Russland hat die Verlängerung mittlerweile bestätigt.
- Nach dem Ende der russischen Besatzung in Cherson hat die ukrainische Polizei dort wie in anderen befreiten Gebieten Hinweise auf mutmaßliche Verbrechen gefunden. An elf Orten seien Menschen gefangengehalten worden seien, sagte Innenminister Denys Monastyrskyj am Mittwochabend im ukrainischen Fernsehen. An vier dieser Orte gebe es Hinweise, dass Gefangene gefoltert worden seien. Ermittler sicherten dort Beweise und befragten Zeugen. Auch Leichen würden exhumiert.
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