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Der russische Präsident Wladimir Putin.

© AFP

Ukraine-Konflikt und Nord Stream 2: Die Russlandpolitik der Bundesregierung ist bestenfalls naiv

Der Westen muss Putin den Preis einer Eskalation vor Augen führen. Doch ausgerechnet Deutschland macht dabei einen Strich durch die Rechnung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Selbst erfahrene Kreml-Astrologen müssen in diesen Tagen passen. Ob Wladimir Putin wirklich einen groß angelegten Einmarsch in der Ukraine plant und was die Absichten des russischen Präsidenten sind, darüber ist offenbar nicht einmal die recht überschaubare Machtelite in Moskau informiert. Wer zum Teufel wisse das schon, antwortete der bekannte Politologe Fjodor Lukjanow, sonst nie um eine Antwort verlegen, auf eine entsprechende Frage der „New York Times“.

Die Gespräche zwischen den USA und Russland in dieser Woche in Genf kamen erwartungsgemäß zu keinen echten Ergebnissen. Washington bot Verhandlungen über die Ausgestaltung von Militärübungen sowie über Abrüstung an. Doch der Kreml hatte im Vorfeld deutlich gemacht, dass er eine endgültige Absage an einen künftigen Nato-Beitritt der Ukraine als entscheidende Forderung betrachtet. In dieser Frage kann aber das transatlantische Bündnis nicht nachgeben, weil sie das Selbstverständnis der Allianz berührt.

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Das weiß auch Putin, der in den kommenden Tagen entscheiden muss, ob er sich auf langwierige Verhandlungen mit den Amerikanern über aus seiner Sicht eher nebensächliche Themen einlässt – oder ob er den Weg einer weiteren militärischen Eskalation einschlägt.

Nur keine voreiligen Schlüsse

Im Westen wiederum täte man gut daran, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen oder Szenarien auszuschließen, nur weil diese nach westlicher Logik völlig übertrieben und unrealistisch erscheinen. Auch die Annexion der Krim hielten vor acht Jahren nicht wenige westlichen Experten und Politiker noch für ausgeschlossen, als schon Soldaten in Uniformen ohne Hoheitszeichen strategisch wichtige Gebäude auf der ukrainischen Halbinsel umstellt hatten. Warnende Stimmen vor allem aus dem Osten Europas wurden damals nicht gehört. Ein Krieg in der Ukraine droht auch nicht erst jetzt, er hat schon 2014 begonnen. Seitdem starben dort mindestens 14000 Menschen.

[Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus, welche möglichen Szenarien es im Ukraine-Konflikt gibt.]

Der auch von der neuen Bundesregierung in diesen Tagen gern zitierte Satz, der Ukraine-Konflikt könne nicht militärisch gelöst werden, hat wenig mit Diplomatie und viel mit Wunschdenken zu tun. Denn für Putin sind militärische Lösungen seit Jahren eine zentrale Option zur Durchsetzung seines Machtanspruchs – von Georgien über die Ukraine und den Krieg in Syrien bis hin zum Einsatz von Söldnern in mehreren afrikanischen Staaten. Für den Westen heißt das in der jetzigen Situation: auf das Beste hoffen und sich zugleich auf das Schlimmste vorbereiten. Dazu gehört vor allem, dem Kreml den Preis einer weiteren Eskalation vor Augen zu führen.

Darauf ist die Europäische Union allerdings denkbar schlecht vorbereitet. Während die Europäer sich darüber beklagen, dass sie bei den amerikanisch-russischen Verhandlungen nicht mit am Tisch sitzen, wären sie derzeit kaum in der Lage, selbst Gespräche zu führen. Was ihnen fehlt, ist Geschlossenheit in der Russland-Politik – und das liegt vor allem an Deutschland. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die umstrittene Gasleitung Nord Stream 2 ein „privatwirtschaftliches Projekt“ und zeigte damit, dass er die Pipeline nicht einmal dann zur Disposition stellen will, wenn der Kreml sich für eine militärische Eskalation entscheiden sollte.

Das Erbe Gerhard Schröders wirkt weiter

Damit fällt die neue Bundesregierung noch hinter das zurück, was ihre Vorgänger längst zusicherten. Auch der neue SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert forderte ausgerechnet in diesen Tagen ein Ende der Debatte um Nord Stream 2 und offenbarte auf diese Weise nebenbei, wie stark das Erbe Gerhard Schröders in der Partei selbst dort fortwirkt, wo man es eher nicht vermutet.

Es ist bestenfalls naiv, eine der schärfsten Sanktionsmöglichkeiten gegen den Kreml ohne Grund aus dem Spiel zu nehmen. Solche Äußerungen senden ein fatales Signal Richtung Moskau: Im Ernstfall würden die Deutschen Nord Stream 2 nicht stoppen, sondern wohl wieder nur beide Seiten zur Deeskalation aufrufen.

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