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Politik: Ulla Schmidt: "Wir wollen den Versicherungen Gentests verbieten"

Ulla Schmidt (51), neue Gesundheitsministerin, will das System der gesetzlichen Krankenversicherung gründlich reformieren. Die SPD-Politikerin, die als stellvertretende Fraktionsvorsitzende maßgeblich an der Rentenreform von Walter Riester mitgewirkt hat, meint, dass es genügend Geld im Gesundheitswesen gibt.

Ulla Schmidt (51), neue Gesundheitsministerin, will das System der gesetzlichen Krankenversicherung gründlich reformieren. Die SPD-Politikerin, die als stellvertretende Fraktionsvorsitzende maßgeblich an der Rentenreform von Walter Riester mitgewirkt hat, meint, dass es genügend Geld im Gesundheitswesen gibt. Jetzt müsse geprüft werden, wohin das Geld fließt und wie es zu Gunsten einer besseren Versorgung der Patienten umgeleitet wird.

Sie haben in dieser Woche die Prognose abgegeben, dass die Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Jahr stabil bleiben. Ist das realistisch, wenn die Konjunktur sich weiter abschwächt?

Wir haben einen Zuwachs bei der Beschäftigung. Das ist ein Plus, weil es mehr Versicherte gibt. Das stabilisiert die Krankenversicherung. Aber es ist natürlich klar, dass es einzelne Kassen gibt, deren Situation sehr schwierig ist. Deswegen bringen wir in diesem Jahr auch eine Menge auf den Weg, zum Beispiel den neuen Finanzausgleich, der den Kassen eine langfristige Perspektive gibt.

Das heißt, Sie widersprechen ihrem Vorvorgänger Horst Seehofer von der CSU, der sagt, die Beiträge ließen sich nicht stabil halten?

Ich gehe davon aus, dass wir die Beiträge 2001 im Schnitt stabil halten können. Aber ich kann nicht verhindern, dass einzelne Kassen gezwungen sein könnten, ihre Beiträge anzuheben. Das muss jede Kasse aufgrund ihrer finanziellen Situation selbst entscheiden.

Auch noch im nächsten Jahr?

Jetzt spreche ich erst mal von diesem Jahr. Die Reformen, die wir in den kommenden Monaten auf den Weg bringen, geben auch für längere Zeit Planbarkeit und tragen dazu bei, die Beiträge stabil zu halten.

Die Bundesregierung macht die Stabilität der Beiträge zu ihrem zentralen Ziel. Ist das in der Gesundheitspolitik nicht problematisch? Richtgröße für das, was an Geld benötigt wird, müsste doch eher der Versorgungsbedarf sein?

Sie hätten recht, wenn wir bereits alle Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen ausgeschöpft hätten. Das haben wir aber nicht. Wir müssen auf die Beitragsstabilität achten, weil wir durch Neuorganisation Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen können und müssen. Im vergangenen Jahr hatte die gesetzliche Versicherung 261 Milliarden Mark Einnahmen. Das ist sehr viel Geld. Worauf es ankommt, ist zu sehen, wo geht dieses Geld hin und wie können wir steuernd so eingreifen, dass wir mit diesen Mitteln eine optimale Patientenversorgung sichern.

Wie hoch sind denn Ihrer Meinung nach die Wirtschaftlichkeitsreserven?

Auf Mark und Pfennig lässt sich das nicht sagen. Wir haben im vergangenen Jahr für Arzneimittel 37,5 Milliarden Mark ausgegeben. Das sind 4,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Da sind noch Reserven drin. Deswegen wollen wir auch noch in diesem Jahr gemeinsam mit den Kassen, mit der Pharmaindustrie zu einer Lösung bei den Arzneimittelfestbeträgen kommen. Je nachdem, wo wir uns einigen, gibt das zwischen 500 und 800 Millionen Mark Einsparvolumen. Das sind Reserven, die vorhanden sind. Horst Seehofer hat zu seinen Amtszeiten gesagt, dass rund 20 Milliarden Mark Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen sind. Ich weiß nicht, ob es 20, 15 oder zehn Milliarden Mark sind. Aber wir müssen alle Anstrengungen daran setzen, die notwendigen strukturellen Veränderungen anzugehen, denn es geht um die Beitragszahlungen der Versicherten. Wir brauchen keine neuen Einnahmequellen oder Beitragserhöhungen. Was im Topf der gesetzlichen Krankenversicherung ist, reicht in der Gesamtheit erst mal.

Sie haben gerade die Einsparreserven bei den Arzneimitteln angesprochen. War ihre Erklärung, auf den Kollektivregress der Ärzte bei Überschreitung der Budgets zu verzichten, da nicht das falsche Signal? Es wurden doch prompt die Rufe nach mehr Geld laut.

Sie hätten Recht, wenn die Steuerung über den Kollektivregress gegriffen hätte. 1999 hatten wir 1,6 Milliarden Mark an zusätzlichen Ausgaben. Die Steuerung hat also nicht gewirkt, mit dem Ergebnis, dass manche Ärzte ihren Patienten ab Oktober einfach notwendige Medikamente nicht mehr verschrieben haben. Andere haben sich gesagt, warum soll ich mich dran halten, wenn ich sowieso haften muss. Vor allem aber ist es schwierig für die Krankenkassen, den Regress wirklich durchzusetzen. Das ist bis jetzt noch nie erfolgt. Was wir jetzt gemeinsam mit den Ärzten und den Kassen erarbeiten, soll dem einzelnen Arzt über Richtgrößen mehr individuelle Verantwortung für wirtschaftliches Handeln geben.

Auf Sanktionen wollen Sie also verzichten?

Nein, natürlich nicht. Wenn jemand sich nicht daran hält, muss er selbstverständlich individuell haften. Die geplanten Richtgrößen beziehen sich auf das, was ein Arzt braucht. Wenn er sein Budget überschreitet, muss geprüft werden, ob das medizinisch begründet war. Dann wäre die Budgetüberschreitung gerechtfertigt, denn die Menschen sollen das bekommen, was sie brauchen, um gesund zu werden - aber zum wirtschaftlich günstigsten Preis. Und wenn jemand sagt, das interessiert mich nicht, ich verschreibe, was ich will, dann muss er individuell zur Verantwortung gezogen werden.

Warum schließen Sie Veränderungen auf der Einnahmeseite kategorisch aus? Es gab doch Überlegungen, neben Arbeitseinkommen zum Beispiel auch Einnahmen aus Vermietung in die Versicherungspflicht zu nehmen?

Alles zu seiner Zeit. Jetzt aber geht es darum, die Strukturen zu verändern. Das gelingt nur, wenn wir ein engeres Finanzkorsett haben. Dann ist man gezwungen, darüber nachzudenken, über effizientere Strukturen Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen und die Versorgung zu verbessern. Wenn jetzt darüber debattiert wird, wie die Einnahmen erhöht werden können, stünden sofort alle bei mir auf der Matte und würden mir sagen, wo sie das Geld ausgeben könnten.

Aber die große Gesundheitsreform kommt erst nach der Wahl 2002?

Es geht darum, das Gesundheitswesen auch über den Wahltag hinaus kontinuierlich fortzuentwickeln. Dafür müssen erst mal die Grundlagen gelegt werden. Deswegen führe ich im Moment auch mit jeder Gruppe im Gesundheitswesen Gespräche. Jeder hat da ja so seine Vorstellungen. Das Problem ist, dass die nicht immer alle übereinander passen. Ich sehe aber auch, dass es Schnittmengen gibt und dass die Erkenntnis wächst, dass etwas passieren muss. Wir haben in Deutschland mit die höchsten Ausgaben für Gesundheit, sind in der Qualität aber gerade mal mittelmäßig. Wenn wir die Gespräche abgeschlossen haben, werden wir uns zusammensetzen und dann im Dialog nach Lösungswegen suchen.

Jetzt müssen Sie erst mal den Finanzausgleich zwischen den Kassen neu regeln. Wie soll das aussehen?

Der Finanzausgleich zwischen den Kassen soll künftig auch berücksichtigen, wie viele chronisch Kranke von einer Kasse versorgt werden. Das muss ein Indiz dafür sein, wohin Geld fließt. Stellen Sie sich mal vor, eine Kasse in Berlin würde ein optimales Programm für Diabetiker machen. Alle Diabetiker würden dann schnell in diese Kasse wechseln, und die könnte dieses Programm bald nicht mehr bieten, weil sie entweder die Beiträge erhöhen oder die Leistungen einschränken müsste. Eine Kasse, die solche Programme entwickelt, wird derzeit eher bestraft. Das wollen wir ändern und den Risikostrukturausgleich verbessern. Die Kassen wissen, dass nicht alles schon im nächsten Jahr gelöst sein kann, aber wir haben eine Perspektive bis 2007, wo Schritt für Schritt umgesteuert wird.

Was passiert in der Übergangszeit bis 2007?

Wir denken an einen Risikopool als Übergangslösung. In einem wissenschaftlichen Gutachten für mein Ministerium wird vorgeschlagen, dass alle Fälle ab mehr als 20 000 Mark daraus bezahlt werden. Das erscheint mir etwas niedrig. Wir prüfen jetzt, wie die Wirkung wäre, wenn man die Grenze bei 30 000 oder bei 50 000 Mark zieht. Wenn wir dann neben dem neuen Finanzausgleich auch das Datentransparenzgesetz für das Gesundheitswesen haben, wird auch die Datenlage übersichtlicher, auf deren Grundlage wir handeln können.

Bei der Reform des Gesundheitswesens wird viel über mehr Wettbewerb gesprochen. Es ist dabei aber nie davon die Rede, auf der Seite der Anbieter, zum Beispiel der Ärzte, mehr Wettbewerb einzuführen. Das Gesundheitssystem wird aber durch die Anbieter gesteuert, nicht durch die Nachfrager.

Aber darüber lässt die Selbstverwaltung nicht mit sich reden.

Weil es die Betroffenen nicht wollen, muss es ja nicht falsch sein. Warum sollen die Kassen nicht direkt Verträge mit Ärzten abschließen?

Das könnten die heute schon, allerdings nur im Einvernehmen mit der Ärzteschaft. Mit der Gesundheitsreform 2000 haben wir Möglichkeiten eröffnet, auch für Vereinbarungen der Kassen mit Krankenhäusern. Aber sie nutzen es viel zu wenig. Die Kassenärztlichen Vereinigungen wollen auch nicht, dass es hier eine Öffnung gibt.

Ein Sprung zu einem anderen Thema: Gentechnik. Wo unterscheiden Sie sich da von Ihrer grünen Vorgängerin Andrea Fischer, die einen eher restriktiven Kurs verfolgte?

In einem einzigen Punkt. Ich bin der Auffassung, wir stehen erst am Anfang der Debatte. Und ich gehe in eine Debatte nicht mit einem fertigen Gesetz. Das, was wir gesetzlich regeln wollen, muss am Ende der Debatte stehen und fraktionsübergreifend organisiert werden. Auch ich will nicht, dass Leben hergestellt wird, um es zu Forschungszwecken wieder zu vernichten. Bevor wir an Embryonen forschen, sollten wir uns auf die Forschung an adulten Stammzellen konzentrieren. Den notwendigen parteiübergreifenden Konsens zu finden, braucht Zeit. Aktuellen Handlungsbedarf sehe ich nur in einem Punkt: bei den Gentests. Da müssen wir schnell agieren, weil sonst Fakten geschaffen werden, die man hinterher nicht mehr rückgängig machen kann.

Was schwebt Ihnen da vor?

Gentests sollen möglich sein, aber sie müssen verschreibungspflichtig sein. Ärztliche Kontrolle und ärztliche Beratung müssen gewährleistet bleiben. Außerdem muss sichergestellt sein, dass kein Dritter Zugang zu diesen Daten bekommt. Das bereitet Justizministerin Herta Däubler-Gmelin für die Versicherungswirtschaft vor und Sozialminister Walter Riester für das Arbeitsrecht. Auch kein Arbeitgeber darf verlangen, die Ergebnisse eines Gentests zu bekommen, den ein Mitarbeiter gemacht hat.

Das heißt, Sie wollen Versicherungen grundsätzlich verbieten, Gentests bei ihren Tarifen zu nutzen?

Ja, das wollen wir verbieten. Die Bundesregierung prüft derzeit ein mögliches Verbot. Stellen Sie sich mal vor, jeder der einen Gentest vorweisen kann, in dem kein Risiko erwähnt ist, kommt für wenig Geld in eine Versicherung, und die anderen kommen nirgendwo mehr rein. Ich bin da für ein striktes Verbot. Gentests ja, aber wirklich nur individuell und nur mit ärztlicher Begleitung. Wenn wir das nicht machen, bekommen wir ein Ausleseverfahren, das wir nicht mehr stoppen können. Deshalb will ich schnell handeln und ein Gesetz möglichst noch in dieser Legislaturperiode.

Sie haben in dieser Woche die Prognose abgegeben

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