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Syrische Jungen spielen auf dem Dach einer Unterkunft im Flüchtlingslager Barra nordöstlich der libanesischen Hauptstadt Beirut.

© Marwan Naamani/dpa

UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock: „Die Not in Syrien war nie so groß wie jetzt“

Ein Interview über das Elend in dem Konfliktland - und notwendige Hilfen in Höhe von zehn Milliarden Dollar.

Seit Beginn des Syrien-Konflikts im März 2011 wurden Hunderttausende Menschen getötet, weite Teile des Landes sind verwüstet. Innerhalb Syriens befinden sich 6,7 Millionen Menschen auf der Flucht. In Ländern der Region wie der Türkei und dem Libanon harren 5,6 Millionen syrische Flüchtlinge aus. Die Syrer leiden unter Armut, Hunger und Krankheiten. Wir sprachen über das Elend der Menschen in dem Konfliktland mit dem britischen UN-Untergeneralsekretär Mark Lowcock, der seit 2017 die humanitäre Nothilfe der Vereinten Nationen leitet.

Herr Lowcock, wie viele Menschen in Syrien und der Region brauchen Hilfe?

Insgesamt benötigen rund 24 Millionen Menschen in Syrien und der Region Unterstützung, das sind vier Millionen Kinder, Frauen und Männer mehr als noch vor einem Jahr. Niemals seit Beginn des Syrien-Konflikts vor zehn Jahren waren so viele Menschen auf Hilfe angewiesen. Das Elend wächst in dramatischer Weise. Heute leiden die Menschen nicht mehr so stark unter der Gewalt, aber sie hungern und sind von Krankheiten wie Covid-19 befallen. Neun von zehn Menschen in Syrien fristen ein Leben unterhalb der Armutsgrenze. Die syrischen Flüchtlinge in der Region dürfen oft nicht arbeiten oder es gibt keine Arbeit.

Was brauchen die Menschen am dringendsten?

Die Menschen brauchen die wesentlichen Güter, um zu überleben: Lebensmittel, Wasser, sanitäre Einrichtungen, Medikamente, Unterkünfte. Die Kinder brauchen Schulunterricht.

Wie viel Geld veranschlagen Sie für die humanitäre Hilfe in und um Syrien?

Wir kalkulieren für das Jahr 2021 einen Betrag von mehr als zehn Milliarden US-Dollar, um die humanitäre Hilfe zu finanzieren. Davon sollen 4,2 Milliarden US-Dollar den Menschen in Syrien zugutekommen. Rund 5,8 Milliarden US-Dollar sind bestimmt für die syrischen Flüchtlinge in der Region und die Menschen, die ihnen helfen.

UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock.
UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock.

© Fabrice Coffrini/AFP

Sind Sie zuversichtlich, dass die Geberländer auf der Syrien-Konferenz die benötigte Summe bereitstellen?

Da müssen wir abwarten, es wird auf jeden Fall sehr schwierig. Im vergangenen Jahr brauchten wir neun Milliarden US-Dollar. Die Geber überwiesen uns 5,5 Milliarden US-Dollar.

Auf welche Länder setzen sie besonders?

Die Europäische Union, die USA und Deutschland werden sicherlich einen ordentlichen finanziellen Beitrag leisten, um die Not der Menschen in Syrien und der Region zu lindern. Zumal auf die Hilfe der Deutschen können wir uns verlassen. Besorgt bin ich allerdings über Großbritannien. Die britische Regierung hat drastisch bei der humanitären Hilfe für das Ausland gekürzt. Zudem bin ich besorgt über die nachlassende Spendenbereitschaft einiger arabischer Länder.

Hat Syrien unter Assad jemals Hilfe für die Millionen geflohenen Syrer angeboten?

Nein.

Wie wollen Sie die Geber in der Corona-Krise überzeugen, Gelder für die Syrer bereitzustellen?

Hilfe für die Syrer ist in unser aller Interesse. Im Jahr 2014 erhielten die UN und ihre Partner keine ausreichenden finanziellen Mittel, um die syrischen Flüchtlinge zu versorgen. Ein Jahr später, 2015, erlebten wir den großen Exodus der Syrer nach Europa. Verzweifelte Menschen ergreifen verzweifelte Maßnahmen.

Jan Dirk Herbermann

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