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Ein Mann hält ein Kind fest am Arm.

© dpa/Annette Riedl

„Unglaubliche Dimension“: Zahl der Missbrauchsopfer bleibt auf hohem Niveau – Dobrindt kündigt Maßnahmen an

Nach wie vor ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die Opfer von Missbrauch werden, hoch: 16.354 Fälle registrierten die Behörden im vergangenen Jahr. Sorgen bereiten ihnen vor allem Gefahren aus dem Netz.

Stand:

Die Zahl der Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bleibt auf einem hohen Niveau. Wie aus dem am Donnerstag in Berlin vorgestellten Lagebild des Bundeskriminalamts (BKA) hervorgeht, wurden im vergangenen Jahr 16.354 Fälle des Missbrauchs von Kindern und 1.191 Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Jugendliche registriert. Die Zahl ist damit gegenüber dem Vorjahr leicht gesunken.

Der Eindruck, die Taten gingen zurück, trüge aber, sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Die Zahlen seien „zu hoch“, schon weil von einem großen Dunkelfeld ausgegangen werden müsse. Die Zahlen zeichnen nach seinen Worten kein vollständiges Bild.

Er sprach von einer „unglaublichen Dimension“, oft würden die Opfer über längere Zeit wiederholt von den Tätern missbraucht. Die Zahlen bilden zudem nur die erfassten Straftaten ab.

Alexander Dobrindt (CSU, r) Bundesinnenminister, und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes.

© dpa/Sebastian Gollnow

Auch BKA-Präsident Holger Münch sagte, die Zahlen seien „wirklich keine Entwarnung“. Jeder einzelne Fall bedeute schweres Leid für die Betroffenen, sagte er. Die allermeisten Tatverdächtigen – rund 95 Prozent – sind nach seinen Worten Männer.

Cybergrooming und Livestreaming nehmen stark zu

Dobrindt sagte, dass in dem Straftatenbereich insbesondere das sogenannte Cybergrooming und Livestreaming stark zunehme. Bei letzterem beauftragten Täter den Angaben zufolge meist im Ausland sexuellen Missbrauch von Kindern, den sie live im Internet verfolgen. Täter aus Deutschland stünden bei diesem Phänomen an zweiter Stelle, sagte Dobrindt.

Der Innenminister bekräftigte das Vorhaben der Koalition, die Speicherung von IP-Adressen zu ermöglichen, um die Verfolgung dieser Taten zu verbessern. Er setze insgesamt auf einen „Dreiklang“: „Taten aufklären, beenden und für die Zukunft vermeiden“, sagte er.

Opfer überwiegend weiblich

Beim sexuellen Missbrauch von Kindern waren knapp drei Viertel der Opfer Mädchen – nämlich 13.365 von 18.085. Allerdings ist ihr Anteil im Vergleich zum vergangenen Jahr von 75,6 Prozent auf 73,9 Prozent leicht zurückgegangen. Es gab dagegen gut 200 Jungen mehr unter den Opfern – ihre Zahl stieg von 4514 auf 4720.

Auch bei den Jugendlichen ist der Anteil der Mädchen bei den Opfern von sexuellem Missbrauch deutlich höher als der der Jungen. Von den 1259 Opfern waren 938 weiblich und 321 männlich. Auch hier ist der Anteil der Jungen leicht gestiegen.

Ein Drittel der Tatverdächtigen minderjährig

Auch die Tatverdächtigen sind oft jung: Beim sexuellen Kindesmissbrauch war ein knappes Drittel der Verdächtigen unter 18 Jahren alt. 12,1 Prozent oder 1498 Verdächtige waren sogar nicht mal 14 Jahre und damit selbst nicht strafmündig. Bei Kinder- und Jugendpornografie lag der Anteil Minderjährige bei rund 40 Prozent. Diese Zahlen dürften die politische Diskussion um die Folgen von Handy- und Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen anheizen.

Über den noch höheren Anteil minderjähriger Tatverdächtiger bei Kinder- und Jugendpornografie zeigte sich BKA-Chef Münch besorgt. Häufig würden Inhalte „unbedacht über Chats und Messengerdienste an Gleichaltrige“ weitergeleitet, sagte Münch.

Die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Kerstin Claus, warnte vor den Gefahren des Internets für Minderjährige. „Im Netz explodiert das Risiko sexueller Gewalt“, sagte sie. „Noch nie war es für Täter so leicht, Opfer zu erreichen.“ Claus plädierte für besseren Schutz etwa bei Smartphones und Tablets. „Mobile Endgeräte dürfen nicht länger Tatwerkzeuge sein“, sagte sie.

Minister Dobrindt kündigte schärfere Maßnahmen bei der Strafverfolgung an. „In den nächsten Wochen“ werde sich die Bundesregierung über die Vorratsdatenspeicherung einigen. 

Werden künftig IP-Adressen gespeichert?

Münch befürwortete diesen Vorstoß einer dreimonatigen Speicherung von IP-Adressen. „Das wird unsere Ermittlungserfolge nochmals deutlich steigern“, sagte er. Dobrindt kritisierte, dass deutsche Ermittler häufig auf Hinweise ausländischer Behörden angewiesen seien. Er hält zudem die Verschlüsselungstechnologien etwa in Whatsapp-Chats für falsch.

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) plädierte für „Aufklärung, Prävention und eine effektive Strafverfolgung“ bei der Bekämpfung von Sexualstraftaten gegen Kinder und Jugendliche. Die Bundesregierung wolle Polizei und Justiz stärken, erklärte sie.

Der Deutsche Richterbund sieht in den Zahlen „einen klaren Handlungsauftrag an die schwarz-rote Koalition“. Die befristete Speicherung für IP-Adressen sei überfällig, betonte Geschäftsführer Sven Rebehn. (dpa/AFP/epd)

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