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ARCHIV - 15.06.2023, Berlin: Jens Spahn (CDU), Bundestagsabgeordneter, spricht im Bundestag. (zu dpa «Spahn fordert Beschränkung der Flüchtlingszahlen») Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Kay Nietfeld

Union pocht weiter auf Asylwende: Spahn erhöht mit harten Worten den Druck

An diesem Mittwoch will die Ampelregierung ein Gesetzespaket für schnellere Abschiebungen beschließen. Der Union aber reicht das nicht, sie will mit drastischen Maßnahmen die Zuzugszahlen begrenzen - und der Kanzler könnte bald auf sie zugehen.

Hat Jens Spahn für einen neuen Höhepunkt flüchtlingsfeindlicher Rhetorik gesorgt, die die aktuelle Migrationsdebatte begleitet? Oder hat der CDU-Vize nur ausgesprochen, worauf eine Begrenzung der Zuzugszahlen in der Praxis hinausläuft? Jedenfalls sagte Spahn jetzt in einem Interview mit dem Portal „Pioneer“, für ihn sei klar, dass die EU-Außengrenze in einigen Jahren geschlossen werde für irreguläre Einreisen. Die Frage sei nur, ob die demokratische Mitte dies organisiere oder, falls nicht, extreme Kräfte, die dann zum Zug kämen. Daher müssten „irreguläre Migrationsbewegungen“, so der Unionspolitiker weiter, im Zweifel „mit physischer Gewalt“ aufgehalten werden.

In der Ampelkoalition, deren Chef die Union zu einem großen migrationspolitischen Konsens eingeladen hat, kommt das nicht gut an. „Herrn Spahn schwebt offensichtlich eher eine Koalition mit Frau von Storch vor, die an der Grenze schießen lassen wollte“, sagte der amtierende Innenausschuss-Vorsitzende Lars Castellucci dem Tagesspiegel mit Hinweis auf die AfD-Politikerin Beatrix von Storch, die sich 2016 entsprechend geäußert hatte. „Ich appelliere an Anstand und Vernunft“, so Castellucci weiter: „Die Menschen erwarten jetzt Zusammenarbeit, dazu hat Kanzler Olaf Scholz die Hand gereicht. Der Überbietungswettbewerb muss enden.“

Herrn Spahn schwebt offensichtlich eher eine Koalition mit Frau von Storch vor, die an der Grenze schießen lassen wollte.

Lars Castellucci (SPD), amtierender Innenausschuss-Vorsitzender

Im Umfeld Spahns wird nach dem Interview darauf verwiesen, dass auch Zäune a den Außengrenzen eine Art physischer Gewalt darstellten, der sich auf europäischer Ebene auch Scholz nicht widersetzt hat. An Flughäfen gelte ebenso der Grundsatz, dass Menschen an der Einreise gehindert werden können. Unmittelbare körperliche Gewalt gegen Flüchtlinge habe Spahn keineswegs gefordert.

Union will vor allem weniger Zuzug

In der Union gibt es dennoch ebenfalls einige, die Spahns Wortwahl nicht als hilfreich empfinden, sie wollen sich aber im Sinne der Geschlossenheit nicht äußern. So bekommt der Stellvertreter von Friedrich Merz öffentlich Zustimmung. Schließlich will die Partei zum Kabinettsbeschluss über ein „Rückführungspaket“ an diesem Mittwoch darauf hinweisen, dass es mit mehr Abschiebungen nicht getan ist und zumindest ein Teil der 26 Maßnahmen hinzukommen muss, die Merz dem Kanzler beim Migrationsgipfel im Kanzleramt vor knapp zwei Wochen mit auf den Weg gegeben hat.

„Spahn hat vollkommen recht, wenn er darauf hinweist, dass wir allein über Rückführungen das Problem nicht lösen“, sagte Thorsten Frei, Parlamentsgeschäftsführer der Unionsfraktion, dem Tagesspiegel: „Selbst wenn wir die Anzahl der Rückführungen auf 25.000 pro Jahr verdoppeln könnten, stehen dem immer noch rund 300.000 Ausreisepflichtige entgegen.“ Wenn das mittel- und langfristige Ziel sei, nur noch Kontingente von Flüchtlingen aufzunehmen, gehöre dazu „auch ein robuster Schutz der Außengrenze“. Spahn treffe. so Frei weiter, „ins Schwarze, wenn er einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik anmahnt“.

Werden Regierungschef Olaf Scholz (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) in der Migrationspolitik gemeinsame Sache machen? Diese Frage ist noch nicht beantwortet.
Werden Regierungschef Olaf Scholz (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) in der Migrationspolitik gemeinsame Sache machen? Diese Frage ist noch nicht beantwortet.

© Imago/Political-Moments

Den macht die Union zur Voraussetzung für ihre Zustimmung zu einem breit getragenen Gesetzespaket im Bundestag. In Merz’ Forderungskatalog ist daher auch von „Zurückweisungen“ durch die Bundespolizei die Rede - in diesem Sinne wird nun auch Spahns Aussage eingeordnet. „Wir müssen den Missbrauch unseres sehr weitgehenden Asylrechts verhindern“, so Alexander Throm, der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion: „Dazu braucht es auch Zurückweisungen an den Grenzen.“

„Merz bekommt eine Antwort von Scholz“

Als Beispiel nennt er, dass derzeit über Polen vermehrt Flüchtlinge kommen, die über Russland und Belarus nach Europa eingereist sind und „zur Destabilisierung Europas und vor allem Deutschlands missbraucht werden“ - obwohl sie zuvor „seit Jahren in Sicherheit“ gelebt hätten, etwa in der Türkei“. Dabei sollten Deutschlands Nachbarn in der Theorie solche Durchreisen verhindern, so Throm: „Solange dies nicht funktioniert, braucht es die Möglichkeit von Zurückweisungen.“ Das sogenannte „Durchwinken“ hat auch Scholz schon kritisiert. Frei fordert im Sinne des Merz-Papiers daher konkrete „Verwaltungsvereinbarungen“, um das geltende Recht der sogenannten Dublin-Verordnung in die Praxis umzusetzen.

Noch aber hat die Union keine Rückmeldung des Kanzlers. Eine Vermutung geht dahin, dass sich Scholz allein auf die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern vor der Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November konzentrieren könnte, auf die die Union über die von ihr geführten Landesregierungen freilich ebenfalls einzuwirken versucht.

Nach Informationen des Tagesspiegel kann Merz jedoch demnächst mit Post aus dem Kanzleramt rechnen, in dem Scholz auf den Vorschlag eingehen könnte, in einer gemeinsamen Verhandlungsgruppe von Regierung und Opposition über Möglichkeiten zur Begrenzung der illegalen Migration zu verhandeln. So war am Dienstag aus Regierungskreisen, zu hören, „dass es eine Antwort des Bundeskanzlers auf den Brief von Friedrich Merz geben wird“. Der Kanzler begrüße es, dass sein Vorschlag eines Deutschland-Paktes so konstruktiv aufgegriffen werde.

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