Politik: „Unschuldsvermutung wurde außer Kraft gesetzt“
FDP-Innenpolitiker Max Stadler über den Fall Kurnaz und die Vernehmung von Außenminister Steinmeier
Stand:
Herr Stadler, ist nach der Vernehmung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am kommenden Donnerstag die Spannung raus aus dem Fall Kurnaz?
Keineswegs. Der Fall zeigt, wie Bundesregierung und Sicherheitsbehörden bei der Terrorabwehr rechtsstaatliche Ansprüche aufgegeben haben. Terrorabwehr ist notwendig, aber sie darf nicht zu Lasten des Rechtsstaats gehen. Deshalb müssen wir Lehren für die Zukunft ziehen.
Welche Vorwürfe machen Sie Steinmeier?
Ob dem früheren Kanzleramtschef Vorwürfe zu machen sind, kann ich erst nach Ende der Zeugenaussagen beurteilen. Es geht auch um weitergehende Fragen, etwa: Wie verhält sich unser Staat gegenüber Inländern ohne deutschen Pass? Herr Kurnaz ist türkischer Staatsbürger, hat aber sein ganzes Leben in Bremen verbracht. Es entspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes, dass der Staat auch für solche Bürger verantwortlich ist. Wenn Herr Steinmeier am Donnerstag wieder erklärt, die Bundesregierung habe für Kurnaz als türkischen Staatsbürger keine Beistandspflicht gehabt, wäre das ein Skandal.
Wie wollen Sie die Lage von Inländern ohne deutschen Pass verbessern?
Das Bundesinnenministerium wollte das Aufenthaltsrecht für Herrn Kurnaz für ungültig erklären, nur weil er sechs Monate außer Landes war – hilflos und ohne Kontakt zur Heimat. Das kann unmöglich richtig sein. Wir haben im Bundestag den Antrag eingebracht, dass im Fall unverschuldeten Fernbleibens das Aufenthaltsrecht nicht nach sechs Monaten automatisch erlischt.
Wieso überzeugt Sie die Einschätzung von Sicherheitsbehörden nicht, die Kurnaz als Sicherheitsrisiko einstuften?
Die Staatsanwaltschaft Bremen hat ein Strafverfahren gegen Herrn Kurnaz eingestellt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte ihn nicht aus Guantanamo geholt und ihm die Einreise nach Deutschland gestattet, wenn er die innere Sicherheit gefährdet hätte. Eine Richterin in den USA hat seine Einstufung als „feindlichen Kämpfer“ als völlig abwegig bezeichnet. Der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Thomas Oppermann, behauptet trotzdem, es sei klar, dass Herr Kurnaz in Afghanistan bei den Taliban kämpfen wollte. Das ist infam.
Haben nicht deutsche Gerichte Ausweisungen für rechtens erklärt aufgrund geringerer Indizien für Terrorsympathien, als sie bei Kurnaz vorlagen?
Diese Frage führt zu einem wichtigen Punkt. Das Erschreckende am Fall Kurnaz ist, welch geringes Beweismaß den Verantwortlichen genügte, um Entscheidungen zu treffen, die tief in das Leben von Menschen eingreifen. Die Unschuldsvermutung wird in Zeiten der Terrorismusbekämpfung völlig außer Kraft gesetzt.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie für die transatlantische Zusammenarbeit bei der Terrorabwehr?
Das Bundeskriminalamt hat den Amerikanern Verdachtsmomente gegen Kurnaz übermittelt. Wenig später wurde er von Afghanistan nach Guantanamo gebracht. Es muss künftig garantiert sein, dass die Weitergabe von Informationen zur Terrorabwehr an Bedingungen geknüpft wird, etwa an Rechtsstaatsgarantien oder Konsultationspflichten für den Fall, dass der Verdächtige festgenommen wird. Der Sicherheitsaspekt darf nie wieder so absolut gesetzt werden, wie das im Fall Kurnaz geschehen ist.
Die Fragen stellte Hans Monath.
Max Stadler (58) ist der führende Innenpolitiker der FDP-Fraktion im Bundestag und Obmann seiner Partei im BND-Untersuchungsausschuss. Der frühere Richter sitzt seit 1994 im Parlament.
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