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Das Internet nutzen viele für Hasskommentare.

© imago/ Ralph Peters

Verrohte Debattenkultur: "Die Hauptursache liegt in einem Gefühl der Bedrohung"

Aufgeheizte Stimmung, Hasstiraden im Netz - warum spaltet gerade die Flüchtlingsdebatte die Gesellschaft? Der Sozialpsychologe Frank Asbrock gibt Antworten zur Gemütslage der Deutschen.

Herr Professor Asbrock, als Sozialpsychologe sind Sie Spezialist für Gemütszustände großer Gruppen. Wie würden Sie die Gefühlslage der Deutschen im Sommer 2018 beschreiben? 

In Deutschland herrscht eine sehr aufgeheizte Stimmung. Die Gesellschaft ist gespalten, die Menschen haben immer größere Schwierigkeit, miteinander zu reden. Das gilt vor allem, wenn es um Flüchtlinge geht, um Migration und Rassismus. Wir erleben eine Verrohung der Diskussionskultur. Viele wollen andere Meinungen nicht mehr hören, sondern lehnen sie von vornherein ab. Das ist besorgniserregend. Denn so können gesellschaftliche Aufgaben und Probleme nicht gelöst werden.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung ?

Die Hauptursache liegt in einem Gefühl der Bedrohung, das viele Menschen haben. Wenn sich etwas Vertrautes ändert, dann löst das bei Menschen Bedrohungsgefühle aus. Das können Abstiegsängste sein. Oder Angst vor den Konflikten auf der Welt, die immer näherkommen, vom Terrorismus zum Beispiel. Verstärkt hat sich das allgemeine Bedrohungsgefühl im Sommer 2015 mit der Flüchtlingszuwanderung. Viele glaubten damals: Die kommen hierher und nehmen uns etwas weg. Es geht häufig um die Furcht, etwas zu verlieren.

Und diese Ängste schlagen sich dann zum Beispiel in fremdenfeindlichen Hass-Tiraden im Netz nieder?

Ja, das ist für viele eine Form, mit Bedrohung und Angst umzugehen. Gegen das Gefühl der Bedrohung wollen Menschen etwas unternehmen. Sie schreiben dann Kommentare gegen Flüchtlinge bei Facebook oder demonstrieren gegen eine Asylunterkunft.

Was haben sie davon?

Sie fühlen sich dann besser.

Warum? 

Wir alle werden ja von psychologischen Grundmotive angetrieben. Eines dieser Grundmotive ist, dass wir einen positiven Selbstwert anstreben. Um es salopp zu sagen: Menschen tun andauernd Dinge, um sich gut zu fühlen. So ist das auch, wenn wir uns bedroht fühlen. Dann neigen Menschen zu bestimmten Handlungen, die darauf abzielen, Kontrolle zurück zu erlangen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Handlung wirklich etwas nützt. Wichtig ist erst mal das gute Gefühl, selbst etwas getan, also Kontrolle erlangt zu haben.

Wie wichtig ist Kontrolle?

Sie ist von zentraler Bedeutung für unsere Gefühlswelt. Man kann das in Experimenten zeigen: Das Gefühl, eine Situation nicht mehr kontrollieren zu können, lässt uns die Eigengruppe bevorzugen – und die anderen abwerten. In der Sozialpsychologie nennt man das “gruppenbasierte Kontrolle“. Gemeint ist, dass ich mich in einer gefühlten Bedrohungssituation an der eigenen Gruppe orientierte, sie als besser und höherwertiger einschätze als die anderen und so das Gefühl von Kontrolle wiedererlange. Zum Beispiel: die Deutschen gegen die Geflüchteten. 

Die Gruppe stiftet Halt und Identität?

Ja, wir Menschen identifizieren uns stark mit dem, was uns ähnlich zu uns erscheint. Das ist ein zentraler Teil des Selbst. Dabei definieren wir unsere Gruppe immer im Kontrast zu einer anderen. Ich kann Deutscher sein, Chemnitzer oder Fan einer bestimmten Fußballmannschaft. Wenn Flüchtlinge ins Land kommen, dann betonen jene, die sich von der Zuwanderung bedroht fühlen, ihre deutsche Identität – im Kontrast zu den Flüchtlingen

Welche Rolle spielen Grenzen, spielt Abgrenzung dabei?

Identität hat viel mit Grenzen zu tun. Die Wahrnehmung von Abgrenzung ist wichtig für unsere Gruppenidentität. Deswegen ist es auch so schwierig, so etwas wie ein Weltbürgertum zu etablieren: Es mangelt an Fremdgruppen, von denen man sich abgrenzen kann. Menschen suchen sich eher kleinere Gruppen zur Identifikation.

Haben Sie Lust, jemanden kennenzulernen, der Fragen ganz anders beantwortet als Sie? Dann machen Sie mit bei „Deutschland spricht”. Mehr Infos zu der Aktion auch hier:

Professor für Sozialpsychologie Frank Asbrock.
Professor für Sozialpsychologie Frank Asbrock.

© Frank Asbrock

Bringen Identitätsfragen, wie etwa Genderthemen, die Emotionen deshalb so schnell zum Kochen?

Wir haben von unserer Identität meist ganz bestimmte, feste Vorstellungen. Wir sind zum Beispiel mit der Vorstellung aufgewachsen, dass es zwei Geschlechter gibt. Jetzt wird das hinterfragt und zwar in der Öffentlichkeit – von einer Minderheit noch dazu. So etwas löst bei der Mehrheit ein Unwohlsein aus, weil sich die Dinge verändern. Das Gefühl dahinter ist: was ich als normal kenne, ein entscheidender Teil meiner Identität, wird plötzlich in Frage gestellt und dadurch bedroht.

Da sind wir also wieder beim Gefühl der Bedrohung.

So ist es. Gerade Fragen der Geschlechtsidentität lösen extreme Emotionen aus. Ich sehe das auch in der Diskussion mit Studierenden über Genderfragen, nehme bei einigen Unsicherheit wahr: Was ich denke, wird als falsch dargestellt. Mein Bild von der Welt soll auf einmal nicht mehr richtig sein. Dadurch fühlen sie sich angegriffen und das kann zu starken emotionalen Ausschlägen führen.

Kann das Gefühl der Bedrohung auch erklären, warum der Fall des ehemaligen Nationalspielers Mesut Özil so stark polarisiert?

Ja, Özil fordert die Weltsicht vieler Menschen heraus und wird deshalb als Bedrohung wahrgenommen. Wer ein Bild von Deutschland als ein Land hat, in dem alle weiß sind und deutsche Namen haben, für den stellt Özil als deutscher Nationalspieler mit türkischen Wurzeln dieses Weltbild in Frage.

Und Angela Merkel? Warum ist sie für manche zur Hassfigur geworden?

Ich finde es extrem, wie stark der Hass auf Merkel ist, was sie an Aggressionen auslöst. Ich denke, bei vielen Menschen steckt eine Enttäuschung dahinter. Sie haben andere Erwartungen an die CDU gehabt, zum Beispiel, dass sie für einen starken Staat sorgt. Die CDU hat mit ihrer Grenzpolitik im Jahr 2015 diese Erwartungen enttäuscht – und Merkel ist nun mal das Aushängespiel der Partei. Als Menschen neigen wir dazu, persönlich zu attribuieren. Gemeint ist damit, dass wir in einer Person die Verantwortung für Handlungen sehen, weniger in den Umständen. Für den Kurs der Bundesregierung oder auch der Union sind viele Menschen verantwortlich, nicht nur Merkel, ihr wird aber die Veränderung angelastet, die vielen Menschen Angst macht.

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Zeigen die Eliten zu wenig Empathie mit denen, die sich bedroht fühlen? 

Soweit würde ich nicht gehen. Es ist aber auch nicht hilfreich, wenn Menschen in hohem Ton eine Politik befürworten, die sie selbst kaum betrifft. Wenn Flüchtlinge sich zum Beispiel um Jobs im einfachen Arbeitssektor bemühen, dann betrifft das die Hochgebildeten nicht. Oder wenn man dort wohnt, wo keine Geflüchteten leben, dann nimmt man vielleicht Probleme im täglichen Zusammenleben einfach nicht wahr. Und natürlich gibt es konkrete Probleme, wenn Menschen zusammenkommen, die sich nicht kennen. Das kann man nicht weg reden. Deswegen finde ich es problematisch, wenn die aus den wohlhabenden Vierteln einfachen sagen: „Das wird schon alles gut gehen“.

Was lösen solche Aussagen und Appelle aus? 

Menschen fühlen sich dann nicht ernst genommen. Sie gehen auf Distanz zu den Eliten und neigen zu Parteien, die vorgeben, sogenannte volksnahe Antworten zu geben. Das spaltet weiter.

Wie lassen sich die gesellschaftlichen Gräben denn überbrücken?

Ich bin Kontaktforscher. Zum zwischenmenschlichen Kontakt gehören für mich Augenhöhe und gegenseitiger Respekt, nicht nur zwischen ethnischen Gruppen, sondern auch zwischen Menschen, die unterschiedliche Auffassungen haben. Man muss sich gegenseitig ernst nehmen. Ausgrenzung löst keine Probleme. Ich kenne keinen Konflikt, der sich durch Ausgrenzung der anderen entschärfen ließe.

Frank Asbrock ist Professor für Sozialpsychologie an der TU Chemnitz und forscht zu sozialen Hierarchien, Vorurteilen und politischer Psychologie.

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