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Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) spricht am Dienstag zur Eröffnung im Bundestag in Berlin.

© dpa

Bundestag: "Verrückte Situation"

Das Ringen um Regeln und Aufmerksamkeit beherrschte am Dienstag die erste reguläre Sitzung des Bundestags.

Es sind außergewöhnliche Zeiten, da kann auch der Bundestagspräsident nicht gleich zur Tagesordnung übergehen. Wolfgang Schäuble nutzt also die erste reguläre Sitzung des Bundestags für eine Mahnung an die Abgeordneten. „Mit der Wahl hat das Volk entschieden, damit müssen wir als Gewählte nun verantwortlich umgehen“, sagt der CDU-Mann. Der Wählerauftrag sei eben auch, Mehrheiten zu bilden, die zu einer handlungsfähigen Regierung führen. Ein gewissenhafter Umgang mit diesem Auftrag könne auch einschließen, dass Parteien „nach reiflicher Überlegung“ zum Schluss kämen, sich nicht auf ein Bündnis mit anderen einlassen zu wollen. „Aber auch das muss schlüssig erklärt werden, damit nicht der Eindruck entsteht, man wolle sich der Verantwortung entziehen“, sagt Schäuble.

Von den Parteien fordert er Kompromisse ein. Diese erforderten auch die Bereitschaft, in Teilen vom eigenen Wahlprogramm abzuweichen. „Das ist kein Umfallen, auch keine Profilschwäche“, sagt Schäuble. Eine „Einigung durch gegenseitiges Nachgeben“ erfordere übrigens Mut, mahnte er.

Ob dieser letzte Satz insbesondere Christian Lindner gelten soll, lässt Schäuble offen. Es ist gerade mal 34 Stunden her, dass der FDP-Chef die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition abgebrochen hat. Seitdem hat auch die SPD bekräftigt, dass sie für eine große Koalition nicht zur Verfügung stehe. Das sei schon eine „verrückte Situation“, sagt eine Abgeordnete, die den Parlamentsbetrieb schon länger kennt.

Vorwurf des Aufmerksamkeitsdefizits

Noch am Sonntagabend saßen die Verhandler von CDU, CSU, Grünen und FDP in der Landesvertretung Baden-Württemberg zusammen, um bis Weihnachten eine gemeinsame Regierung zu bilden. Und nun trifft man sich im Plenarsaal wieder – und keiner weiß so recht, wie es weitergehen soll. Auch Bundestagspräsident Schäuble sieht die Politik vor einer „Bewährungsprobe“, doch von einer „Staatskrise“ will er ausdrücklich nicht sprechen. Derzeit gebe es schließlich eine geschäftsführende Regierung, das sei die verfassungsgemäße und „angemessene Übergangslösung“. Das Parlament sei handlungsfähig, sagte Schäuble.

Zu den Besonderheiten dieses Parlamentstages gehört auch, dass der Bundestag einen Beschluss fasst, von dem die Abgeordneten wissen, dass er sich eigentlich schon fast wieder überholt hat: Ein Hauptausschuss soll eingerichtet werden und vorübergehend die Rolle der regulären Ausschüsse übernehmen. Ein Provisorium, das für den Fall gedacht war, dass die Regierungsbildung absehbar abgeschlossen würde. „Seit Sonntag ist vieles anders“, sagt Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD- Bundestagsfraktion. Nun müsse unverzüglich darüber diskutiert werden, auch andere Ausschüsse einzusetzen. Schneider hält das, ebenso wie viele seiner Kollegen in den anderen Fraktionen, für notwendig, weil nicht absehbar ist, wann eine neue Regierung stehen könnte.

Schneider belässt es nicht bei der Geschäftsordnung, er nutzt die Gelegenheit für einen Seitenhieb auf die politische Konkurrenz: „Die SPD-Minister machen sich nicht vom Acker oder ergreifen die Flucht“, sagt er an die Adresse der FDP. „Sie wollen keine Verantwortung übernehmen“, schimpft er. Das will deren Fraktionsmanager Marco Buschmann nicht auf sich sitzen lassen. Er wirft Schneider ein „Aufmerksamkeitsdefizit- Syndrom“ vor. Die SPD habe sich schon direkt nach der Bundestagswahl mit ihrer Absage ans Regieren aus der Verantwortung gestohlen. Jan Korte von der Linkspartei wiederum findet das nun wiederum den „Gag der Woche“, dass die FDP anderen vorwerfe, ein Aufmerksamkeitsdefizit zu haben.

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