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80 Prozent der Befragten konstatieren demnach eine „generelle Verrohung der Gesellschaft“.

© PNN/Ottmar Winter

Update

„Vertrauen auf neuem Tiefpunkt“: Viele Menschen halten deutschen Staat für überfordert

Bildung, Migration, Klima: Einer Umfrage zufolge traut nur noch etwa ein Viertel der Bürger Regierung und Behörden zu, die großen Herausforderungen zu meistern.

Stand:

Eine große Zahl der Menschen in Deutschland ist offenbar desillusioniert, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Unterrichtsausfall an den Schulen, bei der Flüchtlingsaufnahme überforderte Kommunen, ewige Wartezeiten für Termine bei Behörden – die Problemliste des deutschen Staates ist lang.

Und das hat Folgen für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in seine Handlungsfähigkeit.: Viele sehen den Staat als zunehmend überfordert an. Einer am Dienstag veröffentlichen Befragung für die Beamtengewerkschaft dbb zufolge gehen derzeit nur noch 27 Prozent davon aus, dass der Staat in der Lage ist, seine Aufgaben etwa in der Bildungs-, Flüchtlings- oder Klimapolitik zu erfüllen.

Das waren zwei Prozentpunkte weniger als im vergangenen Jahr. 69 Prozent sahen ihn als überfordert an – vor einem Jahr waren es 66 Prozent gewesen. Damit sei das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit ihres Staates „auf einen neuen Tiefpunkt gesunken“, erklärte der dbb-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach.

Es gibt jemanden im Kanzleramt, der hat gesagt, wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie. Das scheint sich bei den Bürgerinnen und Bürgern noch nicht so eingestellt zu haben.

Ulrich Silberbach, dbb-Bundesvorsitzender

Diese Zahlen seien „erschreckend“, so Silberbach – „weil wir natürlich in einer Zeit leben, wo wir merken, dass die Bürgerinnen und Bürger Orientierung brauchen, dass die Bürgerinnen und Bürger auch Führung brauchen“. Der Gewerkschafter konnte sich einen Seitenhieb auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht verkneifen: „Es gibt jemanden im Kanzleramt, der hat gesagt, wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie. Das scheint sich bei den Bürgerinnen und Bürgern noch nicht so eingestellt zu haben.“

Insgesamt betrachten die Befragten nach dbb-Angaben die Aufrechterhaltung der sozialen Gerechtigkeit, die Verbesserung der Infrastruktur und Klimaschutz als wichtigste staatliche Aufgaben.

Besonders schlecht ist das Ansehen des Staates in Ostdeutschland. Dort waren 77 Prozent der Befragten davon überzeugt, dass er hinsichtlich seiner Aufgaben und der bestehenden Probleme überfordert sei – im Westen waren es 68 Prozent. Die schlechteste Meinung haben AfD-Anhänger. Von ihnen sehen gerade einmal sechs Prozent den Staat in der Lage, seine Aufgaben zu erfüllen. Bei Anhängern von CDU und CSU sind es der Umfrage zufolge 22 Prozent, bei Anhängern der FDP 34, der SPD 46 und der Grünen 52 Prozent.

Bei der Frage, auf welchen Feldern der Staat überfordert sei, hat es eine signifikante Veränderung gegeben. Während 2022 – kurz nach dem Beginn des Ukraine-Krieges – mit 17 Prozent die Energieversorgung ganz oben stand, ist es jetzt mit 26 Prozent die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die Energieversorgung kommt nur noch auf 7 Prozent. Sehr oft genannt wurden auch die Schul- und Bildungspolitik (19 Prozent) sowie der Klima- und Umweltschutz (17 Prozent).

Silberbach zeigte sich alarmiert. „Besonders bedenklich“ sei „dabei die sich immer stärker abzeichnende Spaltung der Gesellschaft“, sagte der ddb-Bundeschef. „Die Gräben zwischen Ost und West, arm und reich, je nach Bildungsabschluss werden tiefer, und der gesellschaftliche Stresslevel steigt.“

Forsa-Chef Güllner sieht HInweise auf Brüche in der Gesellschaft

Auch Forsa-Chef Manfred Güllner sagte, die Zahlen enthielten Hinweise auf Brüche in der Gesellschaft. Dies zeige sich etwa daran, welche staatliche Aufgaben als sehr wichtig angesehen würden. Im Westen hätten 47 Prozent der Befragten Investitionen in den Klimaschutz genannt, im Osten nur 37 Prozent.

Die Entlastung der Bürger wegen der gestiegenen Preise vor allem für Energie sei im Osten für 50 Prozent der Bürger sehr wichtig, im Westen nur für 37 Prozent. Die Schaffung gleicher Lebensverhältnisse in Stadt und Land sähen im Osten 43 Prozent der Menschen als sehr wichtig an, im Westen nur 27 Prozent.

80 Prozent der Befragten konstatieren in der Forsa-Umfrage eine „generelle Verrohung der Gesellschaft“. In diesem Zusammenhang warnte Silberbach auch vor zunehmender Aggressivität gegenüber Mitarbeitenden des öffentlichen Diensts. 54 Prozent von ihnen seien bereits selbst schon einmal beschimpft, bedroht oder sogar angegriffen worden, erklärte er. Dies sei ein „völlig inakzeptabler Wert“.

Die Beschäftigten des öffentlichen Diensts zahlten dabei „die Zeche für den generellen Ansehensverlust des Staates“, führte Silberbach weiter aus. Dies betreffe auch längst nicht nur den Bereich von Polizei und Rettungsdiensten, sondern auch Schulen, Jobcenter oder Bürgerämter.

Die Politik müsse sich hinter die Mitarbeitenden des Staates stellen und sie „moralisch, materiell und organisatorisch angemessen“ unterstützen. „Wir erwarten von der Politik, dass sie die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ihre Arbeit machen lässt“, sagte der dbb-Chef. Dazu gehörten eine ausreichende Personalausstattung und eine leistungsgerechte Bezahlung, aber auch das Themenfeld Digitalisierung. Hier sei der Abbau der Bundesmittel von 377 auf 3,3 Millionen Euro das „vollkommen falsche Signal. (AFP, dpa)

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