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Neuwahlen: Vertrauensfrage bis zum 1. Juli

Bundeskanzler Gerhard Schröder wird spätestens bis zum 1. Juli im Bundestag die Vertrauenfrage stellen, um vorzeitige Wahlen im Herbst herbeizuführen. Das kündigte SPD-Chef Franz Müntefering nach einer Präsidiumssitzung an.

Berlin (23.05.2005, 18:43 Uhr) - Der Termin für die vorgezogene Bundestagswahl könnte damit rechnerisch Mitte September sein. Das ergibt sich aus den verfassungsrechtlichen Fristen. Im SPD-Präsidium, aber auch bei der CDU wurden nach Informationen der Agentur dpa der 11. oder 18. September für realistisch gehalten.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering wollen dem SPD-Präsidium bereits am Dienstag einen konkreten Vorschlag für das geplante Verfahren zur vorzeitigen Auflösung des Bundestags vorlegen.

Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) trafen sich am Montag, um über die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine vorzeitige Auflösung des Bundestages zu beraten. Die Unterredung im Bundespräsidialamt dauerte gut 20 Minuten, teilte ein Sprecher des Bundespräsidenten mit. Beide Gesprächspartner hätten Vertaulichkeit vereinbart.

Köhler hält sich in der Frage einer vorzeitigen Auflösung des Bundestages vor einer Neuwahl noch bedeckt. «Der Bundespräsident wird eine sorgfältige Prüfung der Lage vornehmen, sobald dies nach den Umständen erforderlich sein wird», sagte Präsidentensprecher Martin Kothé am Montag.

Nach dem Grundgesetz gibt es für eine Auflösung des Bundestags nur zwei Möglichkeiten: Der Kanzler tritt zurück, und es gibt keine Mehrheit für einen Nachfolger; der Kanzler verliert eine Vertrauensabstimmung und bittet den Bundespräsidenten um Auflösung des Bundestages. Dafür hatte das Bundesverfassungsgericht 1983 allerdings enge Grenzen gezogen, um einen politisch-taktischen Umgang mit der Vertrauensfrage zu verhindern.

Politisch sind sich jetzt alle Fraktionen einig, dass eine vorgezogene Wahl zum Bundestag nach der Niederlage von Rot-Grün bei der NRW-Wahl am Sonntag angestrebt werden soll. CDU-Vize Christian Wulff wäre auch zu einer entsprechenden Verfassungsänderung bereit. «Ich hätte keine Bedenken, ein Selbstauflösungsrecht mit Zweidrittel- Mehrheit im Grundgesetz zu verankern», sagte der niedersächsische Ministerpräsident dem Magazin «Focus».

Führende Sozialdemokraten stellten sich hinter die Strategie von Schröder und Müntefering. Die Parteilinke Heidemarie Wieczorek-Zeul sprach von einem «absolut konsequenten» Vorgehen. Der rheinland- pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck bezeichnete eine vorzeitige Neuwahl als «vernünftig und notwendig».

SPD-Linke wie Andrea Nahles oder Juso-Chef Björn Böhning sprachen sich für einen Kurswechsel in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aus. Fraktionsvize Michael Müller sagte im ZDF: «Wir brauchen ein inhaltliches Thema, das eine Kontroverse zur Opposition deutlich macht. Und das ist aus meiner Sicht die Fortsetzung der Kapitalismuskritik.» In der Chemnitzer «Freien Presse» forderte er Änderungen bei einzelnen Punkten der Hartz-Reformen.

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sieht in der Neuwahl eine Chance für Rot-Grün. «Diese ganze rot-grüne Kombination muss sich schon neu aufstellen, wenn sie erfolgreich sein will», sagte er im ZDF. Seine Co-Vorsitzende Claudia Roth begrüßte den Plan für eine Neuwahl und kündigte einen klaren Richtungswahlkampf an: «Wir werden deutlich machen, was sozialökologische Erneuerung heißt.»

Die CDU hatte am Sonntag nach 39 Jahren SPD-Vorherrschaft die Macht im größten Bundesland NRW und damit die letzte rot-grüne Bastion erobert. CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers kann in einer Koalition mit der FDP mit klarer Mehrheit an Rhein und Ruhr regieren. Unter dem Eindruck des CDU-Triumphs trat Schröder schon zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale die Flucht nach vorn an und kündigte an, er wolle noch im Herbst bei einer vorgezogenen Wahl über die Bundesregierung entscheiden lassen.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, sagte, die Entscheidung für eine Neuwahl sei konsequent. «Deutschland kann sich quälende Diskussionen bis Ende nächsten Jahres nicht leisten.» DGB-Chef Michael Sommer sagte, der Deutsche Gewerkschaftsbund sei «parteipolitisch neutral» und werde deshalb «alle Parteien mit seinen Anforderungen an eine sozial gerechte Reformpolitik konfrontieren». (tso)

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