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SPD: Vorwahlen wären eine Revolution
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel plädiert für Vorwahlen zur Kür des SPD-Kanzlerkandidaten, doch dies kann nur funktionieren, wenn er die Verhältnisse in der Partei insgesamt auf den Kopf stellt.
Stand:
Die Idee hat Charme. Der SPD-Kanzlerkandidat soll nach Vorstellung von SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht mehr von Parteigremien bestimmt werden, sondern in einer Vorwahl nach amerikanischem oder französischem Vorbild. Nicht mehr nur SPD-Mitglieder sollen dann abstimmen, sondern auch „Sympathisanten, Wähler und Wahlhelfer“.
Manches spricht dafür, der Idee eine Chance zu geben. Die Parteien entfernen sich schließlich immer mehr von den Wählern, die traditionellen Parteienbindungen sind erodiert, die alten politischen Milieus, die die SPD aber auch die CDU einst stark gemacht haben, existieren nicht mehr. Bei der SPD noch von einer Volkspartei zu sprechen, fällt schwer. Nicht nur wegen der 23 Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl. Gleichzeitig sind die Interessen der Bevölkerung mittlerweile so heterogen. Einzelne Parteien gelingt es längst nicht mehr, alle wichtigen gesellschaftlichen Interessen im Blick zu haben. Nicht zufällig sind im Bundestag mittlerweile sechs Parteien vertreten. Trotzdem: Die SPD muss, wenn sie im Bund wieder regierungsfähig werden will, mehr Wähler mobilisieren, als jene traditionellen Anhänger der Partei, für die die Rente mit 67 ein Identitätsthema ist.
Die SPD ist nicht mehr Volkspartei
Die SPD muss also etwas tun. Was spricht also dagegen, die Wähler jenseits der formalen Entscheidungswege in die Willensbildung der Partei einzubeziehen. Vor allem bei so wichtigen Dingen, wie der Kandidatenfrage. So könnte die SPD signalisieren, dass sie sich wieder in die Gesellschaft öffnet und ihre Nabelschau beendet.
Dass dieser Weg einerseits erfolgreich anderseits problematisch sein kann, hat Gerhard Schröder bewiesen. Er wurde zwar nicht in Vorwahlen zum SPD-Kanzlerkandidaten gekürt. Aber dieser ahnte früh, dass seine Partei ihn nie aus innerem Antrieb zum Kanzlerkandidaten küren würde. Dazu hatte sich Schröder schon als Nachwuchspolitiker zu sehr von den Debatten und den Weltsichten der SPD entfernt. In der Urwahl, bei der nur die Parteimitglieder abstimmen durften, unterlag er 1994 folgerichtig gegen den treuen aber spröden Genossen Rudolf Scharping. Schröder wählte deshalb einen anderen Weg. Als Ministerpräsident stilisierte er die niedersächsische Landtagswahl im Januar 1998 quasi zu einem Plebiszit über seine Kanzlerkandidatur. Mit Erfolg, er konnte damals nicht nur zulegen, sondern sogar die absolute Mehrheit erringen. Seinem innerparteilichen Rivalen, dem damaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine blieb nichts anderes übrig, als Schröder den Vortritt zu lassen.
Schröders populistisches Gespür trug ihn schließlich bis ins Kanzleramt, er erfand die „neue Mitte“ und entdeckte den „dritten Weg“, doch mit der SPD wurde er nicht warm. Selbst als Schröder schließlich Vorsitzender wurde, änderte sich dies nicht. In der Debatte um die Agenda 2010 wandten sich relevante Teile der Partei von ihrem Kanzler ab und stürzte ihn faktisch. Schröders Modernisierungskurs missfiel der Partei, zugleich entwickelte dieser wenig Ehrgeiz, die SPD mitzunehmen. Allerdings war das Verhältnis zwischen der SPD und ihren Kanzlern schön früher ein schwieriges. Geliebt und verehrt wurden auch Willy Brandt und Helmut Schmidt vom Apparat der Partei erst, als diese nicht mehr im Amt waren.
Vorwahlen kämen einer innerparteilichen Revolution gleich
So scheint es anderseits schwer vorstellbar, dass sich ausgerechnet die SPD für die Idee ihres Parteichefs erwärmen kann. Diese würde ja noch mehr als Schröder die Öffnung der Partei erzwingen. Die Genossen müssten sich damit arrangieren, dass potentielle Kanzlerkandidaten nicht in erster Linie das Parteiprogramm im Blick haben, sondern vor allem auch gesellschaftliche Stimmungen jenseits der Sozialdemokratie.
Vorwahlen, an denen sich auch Nicht-Mitglieder beteiligen können, kämen in der SPD also einer innerparteilichen Revolution gleich. Schließlich ist die deutsche Sozialdemokratie nicht nur stolz ihre fast 150 Geschichte. Sie war zudem seit jeher eine verschworene Kampfgemeinschaft, eine Partei, die von festen Grundüberzeugungen sowie Ritualen zusammengehalten wird. Ihre Politiker rekrutierte sie von der Kommune bis zur Spitze aus der Tiefe ihrer Organisation. Mehrfach in ihrer Geschichte hat dieser Zusammenhalt der Partei das Überleben gesichert und auch in der Bundesrepublik manche Krise durchstehen lassen.
Dies macht die SPD stark, erschwert aber zugleich ihre Fähigkeit zum Wandel. Auch wenn in der modernen Mediengesellschaft längst andere Regeln herrschen und der Einfluss der Parteibasis schwindet, kann die SPD sich nicht so einfach von ihrer Vergangenheit lösen. Als Legende lebt diese in den eigenen Reihen fort. Mehr als in jeder anderen Partei ist die Mitgliedschaft in der SPD deshalb ein Bekenntnis. Da fällt es besonders schwer, Nicht-Mitgliedern gleichberechtigt in Auswahl des sozialdemokratischen Spitzenpersonals einzubinden. Zumal es je wenig Sinn macht, nur bei der Kür des Kanzlerkandidaten Vorwahlen einzuführen. Meint es die SPD mit einer solchen Öffnung ernst, müsste sie auch bei der Suche nach geeigneten Bürgermeistern, Bundestagsabgeordneten oder Ministerpräsidenten Nicht-Mitglieder in die Kandidatenauswahl einbeziehen.
Sigmar Gabriel weiß, dass eine solch Idee in den eigenen Reihen umstritten ist. Natürlich werde es Diskussionen geben, sagt er. Es lohnt um der Perspektiven der SPD Willen, diese zu führen. Allerdings kann das Experiment Vorwahlen nur gelingen, wenn es dem Vorsitzenden gelingt, die Verhältnisse in der Partei insgesamt auf den Kopf zu stellen.
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