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Wachsendes Zinsrisiko ist eine Herausforderung für Bundeskanzler Olaf Scholz und seinen Finanzminister Christian Lindner.

© Imago/Political-Moments

Wachsendes Zinsrisiko im Bundesetat: Wenn Staatsverschuldung wieder teurer wird

Die Ampel-Koalition will 2023 die Rekordsumme von 539 Milliarden Euro am Kreditmarkt aufnehmen. Höhere Zinsen bedeuten, dass zügig die Ausgaben dafür steigen.

Das Spiel mit den Zinsprognosen ähnelt ein wenig dem Zupfen am Gänseblümchen: Die Zinsen steigen, die Zinsen steigen nicht. Es betrifft Leute, die bauen, die investieren, die sparen oder anlegen wollen. Und es ist wichtig für den Bundesfinanzminister.

Denn die Ampel-Koalition will in diesem Jahr zur Krisenbewältigung so viele neue Schulden aufnehmen wie keine Bundesregierung zuvor. Auf 539 Milliarden Euro beläuft sich das geplante Volumen, für neue Schulden und die Refinanzierung auslaufender Kredite. Da wird der Zins, der geboten werden muss, ebenfalls eine Milliardenfrage. Der Ausblick auf das neue Jahr verheißt momentan aber vor allem eines: Unwägbarkeit.

Im November noch schien es so, als ob sich das Problem des massiv steigenden Zinses entspannen würde. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe – ein gängiger Indikator für Zinserwartungen an den Märkten – fiel drastisch von fast 2,5 auf nur noch 1,8 Prozent. So brachte die Finanzagentur des Bundes, die das staatliche Kreditgeschäft managt, ihre Anleihen bis Mitte Dezember wieder relativ günstig unter die Abnehmer.

Doch dann kamen Mitte Dezember Jerome Powell und Christine Lagarde – und es ging wieder in die andere Richtung. Die Chefs der US-Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank machten deutlich, dass sie Inflation als eine hartnäckigere und langfristigere Sache betrachten als viele Marktteilnehmer es sich offenkundig ausgemalt hatten. Und dauerhaft höhere Inflation bedeutet höhere Zinsen.

Zwar sinken die Inflationsraten nun langsam. Am Dienstag meldete das Statistische Bundesamt einen relativ deutlichen Rückgang in Deutschland auf 8,6 Prozent. Aber das sind immer noch Rekordwerte für die Nachkriegszeit. Derzeit sieht es auf beiden Seiten des Atlantiks so aus, als ob die Inflation zurückgekommen ist, um zu bleiben.

Aktuell liegt die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe bei etwa 2,32 Prozent, andere Bundesanleihen liegen teils drunter, teils drüber. Auch die Geldmarktinstrumente mit kurzen Laufzeiten liegen in diesem Bereich. Die stärker als erwartet gesunkene Inflationsrate im Dezember brachte hier aber kaum Entspannung – noch zu Wochenbeginn lag die Rendite bei 2,50 Prozent. Bei der ersten Anleihenauktion im neuen Jahr musste der Bund für eine so genannte Schatzanweisung sogar 2,58 Prozent akzeptieren.

2,58
Prozent musste der Bund zuletzt an Zins bieten.

Der EZB-Leitzins wurde Mitte Dezember auf 2,0 Prozent erhöht. Dass die Anleiherenditen darüber liegen (in anderen Euro-Staaten noch weit mehr als in Deutschland), deutet darauf hin, dass an den Märkten mit noch höheren Zinsen gerechnet wird. Doch wie weit wird die EZB gehen? Wie hoch wird die Inflation 2023 bleiben? Die Prognosen liegen teils weit auseinander.

Die auf Rentenpapiere spezialisierte Fondsfirma Bantleon etwa rechnet mit stark sinkender Inflation im Lauf des Jahres 2023 (bis hinunter auf zwei Prozent zum Jahresende), begleitet von einem stärkeren Wirtschaftsabschwung. Daher werde die EZB nach einer Zinserhöhung auf drei Prozent bis März den Leitzins schnell wieder nach unten korrigieren, meint Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann. Die Renditeerwartung für zehnjährige Bundesanleihen liegt demnach bei nur noch 1,0 Prozent für das Jahresende.

EZB könnte Leitzins auf mehr als drei Prozent heben

Andere Analysen deuten jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Die Deutsche Bank etwa geht mittlerweile von einem anhaltenden Inflationsdruck aus, mit Raten von bis zu 8,0 Prozent bis in den Sommer hinein und immer noch 4,5 Prozent am Jahresende. Bis März erwarten die Analysten der Bank eine Leitzinserhöhung auf 3,25 Prozent. Die Commerzbank geht von drei Prozent aus, aber mindestens bis Ende 2023. Der Konsens scheint derzeit auf moderate Zinserhöhungen hinauszulaufen, die aber von längerer Dauer sein könnten.

Für die längerfristige Entwicklung bei den Zinsen ist allerdings – zumindest in der Euro-Zone – nicht nur die Gesamtinflation relevant, sondern auch die so genannte Kerninflation. An der orientieren sich die Notenbanken ebenfalls. Der Waren- und Dienstleistungskorb zur Kerninflationsberechnung enthält weder die Preise für Energie noch die für Lebensmittel, die besonders schwankungsanfällig sind und derzeit auch für die hohe Gesamtinflation sorgen.

Sowohl die Fed als auch die EZB gehen mittlerweile aber davon aus, dass gerade die Kerninflation länger auf einem hohen Wert bleiben wird – jedenfalls deutlich über der Zweiprozentmarke, dem langfristigen Inflationsziel der Notenbanken.

Deutlich höhere Zinsausgaben

Und hier kommt nun die Ampel-Koalition ins Spiel. Die Rekordverschuldung von 539 Milliarden Euro in diesem Jahr bedeutet zwar nicht, dass im Bundeshaushalt sofort auch deutlich höhere Zinsausgaben eingeplant werden müssen. Aber von 2024 an muss Finanzminister Christian Lindner (FDP) das einkalkulieren – was er in einem Brief an die anderen Ressorts zu Wochenbeginn auch schon mal angedeutet hat, um seine Forderung nach mehr Haushaltsdisziplin zu fundieren. Die Bundesregierung geht demnach davon aus, „dass die Inflationsraten auch in den nächsten Jahren substantiell über dem Ziel der EZB von zwei Prozent bleiben werden“. Und damit auch die Zinsen.

Etatrisiko ab 2024

Der größte Brocken bei der Neuverschuldung in diesem und im kommenden Jahr ist die Finanzierung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die Energiepreisbremsen und andere Stützungsmaßnahmen bezahlt werden. Von den vorgesehenen 200 Milliarden Euro sind gut 30 Milliarden schon verausgabt. 170 Milliarden müssen im Lauf des Jahres und Anfang 2024 noch am Kapitalmarkt eingenommen werden. Nach der ab 2023 wieder geltenden Schuldenbremse darf Lindner zudem 45 Milliarden Euro regulär an neuen Krediten aufnehmen. Der Rest, also etwa 320 Milliarden Euro, dient der Ablösung auslaufender Anleihen.

Der immense Finanzierungsbedarf bedeutet ein erhebliches Etatrisiko in den kommenden Jahren, zumal die Gesamtverschuldung des Bundes sich nun der Zwei-Billionen-Marke nähert. Muss der Bund im Lauf des Jahres im Schnitt 2,5 Prozent Zins für die geplanten Kredite in Höhe von 539 Milliarden Euro bieten, macht das eine jährliche zusätzliche Zinslast im Etat von 13,5 Milliarden Euro aus.

Zudem hat sich der Bund in den vergangenen Jahren zunehmend kurzfristig verschuldet, weshalb er nun relativ zügig alte Anleihen refinanzieren muss. Der Anteil der Anleihen aus der Nullzinsphase wird somit schnell kleiner werden.

So wächst die Zinslast schon in wenigen Jahren deutlich an. Bei einer Gesamtverschuldung von zwei Billionen Euro und einem durchschnittlichen Zinssatz von 2,5 Prozent in den kommenden Jahren müsste Lindner in der Finanzplanung schon bald 50 Milliarden Euro an Zinsausgaben einkalkulieren. Zum Vergleich: Am Ende der Nullzinsphase lag die Zinslast im Bundesetat 2021 bei 2,6 Milliarden Euro. Zwar verringert sich die Last dann ab 2028 – allerdings nur, weil eine Zusatzbelastung hinzukommt: Denn die Notlagenkredite wegen der Pandemie und der Energiekrise im Zuge des Ukrainekriegs (mehrere hundert Milliarden Euro) müssen schrittweise getilgt werden. Das macht pro Jahr eine zweistellige Milliardensumme aus.

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