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Junge Belarussen demonstrieren für mehr Freiheit in ihrem Land.

© Sergei Gapon/AFP

Flucht vor Lukaschenko und der Armee: Warum junge Belarussen nicht in den Krieg ziehen wollen

Reserveoffizier Piotr A. und seine Frau Krystina haben sich aus Belarus abgesetzt. Sie fürchten, dass Diktator Lukaschenko Soldaten in die Ukraine schickt.

Von Eric Matt

Stand:

Der Krieg in der Ukraine dauert nun schon vier Wochen an. Seitdem gibt es Tausende Tote und Millionen Flüchtlinge. Jedoch fliehen nicht nur Menschen aus dem Kriegsgebiet, sondern auch aus Nachbarländern. So wie Krystina A.*, die nun nach 22 Tagen auf der Flucht vorerst in Sicherheit ist.

Mit ihrem Ehemann Piotr verließ sie von heute auf morgen Belarus: Nur mit Handy, Reisepass und den Kleidern am Leib flohen sie aus ihrer Heimatstadt Minsk. „Wir wollten einfach weg, so schnell wie möglich“, sagt Krystina im Videotelefonat mit dem Tagesspiegel. Wohin es gehen sollte? Das wussten sie selbst nicht. Es gab nur ein Ziel: aus Belarus rauszukommen.

Piotr ist Reserveoffizier, ihn würde es als Erstes treffen, falls sich Machthaber Lukaschenko mit eigenen Truppen an der russischen Invasion beteiligen sollte. Laut dem ukrainischen Militärgeheimdienst könnte dies bald soweit sein. Für das Paar aber stand fest: „Wir möchten nicht gegen unsere ukrainischen Freunde kämpfen.“

Drei Tage nach Kriegsbeginn steigen sie in den Flieger

Daher blieb nur die Flucht. Dabei durchquerte das Paar mehrere Länder, wurde von Einheimischen angefeindet und von der Grenzpolizei bedrängt. Schließlich gelangten sie nach Georgien, von wo sich Krystina nun meldet. Die blonde Belarussin sitzt vor einer schwarzen Wand, es wirkt düster. Wie es ihr geht? „Ich weiß es nicht. Ich bin niedergeschlagen, aber auch in Panik.“

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Am 27. Februar, drei Tage nach Kriegsbeginn, eilten sie zum Flughafen in Minsk und stiegen in den nächstbesten Flieger nach St. Petersburg. Dort waren sie eine Woche, fühlten sich akzeptiert. „Wir sitzen doch alle im selben Boot. Ich habe viele weinende Frauen gesehen“, erzählt Krystina. Schnell aber sei es dort auch nicht mehr sicher gewesen – zu groß war die räumliche und politische Nähe zu Belarus. Daher mussten Alternativen her.

Lukaschenko herrscht mit harter Hand.

© Alexander Zemlianichenko Jr/AP/dpa

In den Schengen-Raum, also zum Beispiel nach Deutschland, einzureisen, war keine Option. Im Gegensatz zu ukrainischen Flüchtlingen brauchen Belarussen ein Visum, dafür aber war keine Zeit. Ohne Visumpflicht würden wohl noch deutlich mehr Belarussen in die EU fliehen, meint Astrid Sahm von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Doch nicht nur daran liege es, ein weiteres Hindernis sei, dass der Flugverkehr Richtung Westen nach der erzwungenen Landung einer Ryanair-Maschine im Mai 2021 nahezu stillstehe. Über Landwege sei es nicht einfacher. „Für manche bleibt nur der illegale Weg über Sumpfgebiete mit Routenführern“, so die Belarus-Expertin. Für Krystina und Piotr kam das nicht infrage, weshalb die Wahl letztlich auf Usbekistan fiel.

In Tiflis hat Krystina das Gefühl, nicht willkommen zu sein

Um von St. Petersburg nach Taschkent zu kommen, mussten sie die letzten Erinnerungen zurücklassen: Die russische Grenzpolizei beschlagnahmte Handys, kontrollierte Soziale Medien, begutachtete Nachrichten und durchstöberte Fotos. Am Ende wurde alles gelöscht. „Sie checkten selbst unsere Likes auf Instagram und Videos auf YouTube“, erzählt Krystina.

Während sie spricht, schaut sie immer wieder fragend zu Piotr. Es scheint, als müsste sie sich versichern, was sie sagen darf – und was nicht. Piotr ist nicht zu sehen und nicht zu hören. All die Tage, in denen Krystina mit dem Tagesspiegel in Kontakt ist, möchte er sich nicht äußern. Weil sein Englisch zu schlecht sei, sagt sie. Vielleicht aber liegt es auch daran, dass die Angst zu groß ist, etwas Falsches zu sagen und doch noch gefunden zu werden.

Als Krystina endlich im Flieger nach Usbekistan saß, sei sie „unglaublich glücklich und frei“ gewesen. In Taschkent angekommen, wurde aber schnell klar, dass sie aus finanziellen Gründen nicht bleiben konnten. Der zentralasiatische Staat sei zu teuer, eine dauerhafte Wohnung unbezahlbar. Daher stiegen sie ein drittes Mal in den Flieger.

Krystina und Piotr sind ans Schwarze Meer geflohen und wollen unerkannt bleiben.

© Privat

Es ging weiter nach Tiflis, der Hauptstadt Georgiens. Dort hatte Krystina das Gefühl, als russischsprechende Person nicht willkommen zu sein, was sie durch den Kaukasuskrieg 2008 auch verstehe. „Wegen unserer Nationalität wollte uns niemand eine Wohnung vermieten“, erzählt die Belarussin. Noch schlimmer habe es einen Bekannten erwischt, als er im Café mit einem Messer bedroht worden sei.

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In Tiflis konnten sie also nicht bleiben. Daher zogen sie weiter nach Batumi am Schwarzen Meer, wo nun erstmal Ruhe einzukehren scheint. Sie fanden dort eine Wohnung und trafen „großartige Georgier“. Hoffnung macht auch der Fensterblick: An den Nachbarhäusern hängen neben blau-gelben ukrainischen auch Flaggen mit rot-weißen Streifen – die belarussischen Protestfarben. In Belarus selbst ist die Farbkombination verboten.

„Ich träume von einem demokratischen Belarus“

Wer es dennoch trägt, dem drohen Geld- und Freiheitsstrafen. Wenn Krystina früher mit ihrem weißen Auto fuhr, zog sie daher keinen roten Pullover an. Auch jetzt noch – Tausende Kilometer entfernt – wählt sie ihre Worte bedacht. Alexander Lukaschenko nennt sie stets „unseren Präsidenten“ – anstatt Diktator oder Autokrat. „Es gibt Begriffe, die man meiden sollte. Vielleicht hören sie ja unser Handy ab“, erklärt Krystina und schaut verunsichert zu ihrem Ehemann.

Was sie sich von ihrer Zukunft erhofft? „Ich lebe von Tag zu Tag. Aber ich träume von einem demokratischen Belarus und einem Ende des Krieges.“ Ein Zurück gibt es erst mal nicht, denn als Fahnenflüchtigem droht Piotr in seinem Heimatland das Gefängnis. Vorerst aber sind sie in Sicherheit – zumindest bis Juni, denn dann müssen sie ihre Wohnung verlassen. *Die Namen wurden geändert

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