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Der Spitzenkandidat der Thüringer AfD, Björn Höcke, mit den Bundesparteichefs Alexander Gauland und Jörg Meuthen.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Ostgefühl, Abstiegsangst – und Rechtsradikalismus: Warum sich in Thüringen so viele Wähler für die AfD entschieden

Fast jeder Vierte in Thüringen hat AfD gewählt, bei den unter 60-Jährigen ist sie stärkste Kraft. Wer die AfD-Wähler sind und was sie bewegt – eine Analyse.

Erst Sachsen, jetzt Thüringen: In beiden Bundesländern ist die AfD bei den Wählern unter 60 Jahren stärkste Kraft geworden. Fast jeder vierte Jungwähler stimmte in Thüringen für die Partei, in den Altersgruppen zwischen 30 und 44 Jahren kommt sie sogar auf 29 Prozent. Dass die Linkspartei die Landtagswahl gewinnen konnte, hat sie den älteren Wählern zu verdanken. Auch Sachsens CDU und Brandenburgs SPD hatten bei den Wahlen im September ihren Spitzenplatz nur wegen der Unterstützung der über 60-Jährigen halten können.

Wer sind die Wähler der AfD?
Die AfD konnte in Thüringen in fast allen Wahlkreisen Ergebnisse von über 20 Prozent erzielen. Nur in Weimar, Jena, Erfurt sowie in Suhl blieb die Partei unter diesem Wert. Doch selbst im Wahlkreis Jena I, wo die AfD die geringste Unterstützung hatte, erreichte sie mit 11,8 Prozent immer noch ein zweistelliges Ergebnis. In allen Wahlkreisen außerhalb dieser Städte erzielte sie Stimmenanteile von mehr als 20 Prozent. Besonders stark ist die AfD im Südosten Thüringens. Im Wahlkreis Gera II kam sie auf 29,8 Prozent.

Wie bei früheren Landtagswahlen stimmten deutlich mehr Männer als Frauen für die AfD. Von den Männern unter 30 Jahren unterstützten 30 Prozent die Partei, deren Spitzenkandidat Björn Höcke Führungsfigur des völkischen und nationalistischen „Flügels“ ist. Ein ähnliches Phänomen sei früher bei der NPD, der DVU oder den Republikanern zu beobachten gewesen, sagt Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen. Allerdings sei die AfD auch bei den Männern mittleren Alters sehr stark. Unter den männlichen Wählern zwischen 30 und 44 Jahren holte die Partei 34 Prozent. Bei Personen mit niedrigerer Schulbildung ist die AfD ebenfalls stark vertreten. An der Landtagswahl 2014 hatte mehr als ein Drittel der AfD-Wähler gar nicht teilgenommen.

Warum konnte die AfD in Thüringen punkten?
Im Thüringer Wahlkampf hat die AfD eine „Wende 2.0“ gefordert, mit der die Friedliche Revolution von 1989 vollendet werden solle. Zugleich wetterte Höcke gegen „Denk- und Sprechverbote“, die es angeblich im heutigen Deutschland ebenso gebe wie damals in der DDR. Doch auf die Frage, welche Partei sich am ehesten um die Probleme der Ostdeutschen kümmere, nannten deutlich mehr Thüringer die Linkspartei.

Um das Wahlergebnis zu erklären, reicht also nicht der Hinweis darauf, dass die AfD sich als Partei der Ostdeutschen zu profilieren versuchte. „Die Beweggründe dafür, dass sich Wähler in Thüringen für die AfD entschieden haben, sind ausgesprochen vielschichtig“, sagt Jung. Die einen hätten das Gefühl, Ostdeutsche würden als Bürger zweiter Klasse behandelt.

Ein anderer Teil der AfD-Wähler habe dagegen ein „geschlossen rechtsradikales Weltbild“ mit starken ausländerfeindlichen Ansichten. Selbst von den Wählern der Partei gaben elf Prozent an, rechtsextremes Gedankengut sei in der AfD weit verbreitet – das hielt sie allerdings nicht davon ab, für die Partei zu stimmen. Dagegen erhielt die rechtsextreme NPD in Thüringen nur noch 0,5 Prozent, vor fünf Jahren waren es 3,6 Prozent. „Die AfD hat bei dieser Wahl den NPD-Anteil marginalisiert“, sagt Jung.

Bei anderen AfD-Wählern wiederum hätten ökonomische Gründe eine größere Rolle gespielt. Jung nennt insbesondere berufstätige Männer zwischen 50 und 60 Jahren, denen es zwar nicht schlecht gehe, die aber der Ansicht seien, dass ihnen eigentlich mehr zustünde. „Sie haben Angst, dass ihr bisher erreichter Wohlstand in Zukunft gefährdet ist – durch Modernisierung, Globalisierung und Zuwanderung.“

Was bedeutet das Wahlergebnis für das politische Gefüge in Ostdeutschland?
In allen fünf ostdeutschen Landesparlamenten hat die AfD nun mehr als ein Fünftel der Sitze. Und dass sie bei den unter 60-Jährigen stärkste Kraft ist, war nicht nur in Thüringen, sondern auch in anderen Teilen Ostdeutschlands zu beobachten. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke erklärte seine Partei bereits zur „jungen vitalen Volkspartei des Ostens“.

Zeichnet sich also jetzt bereits ab, dass die AfD im Osten mittelfristig überall stärkste Kraft werden wird? Ist im ostdeutschen Parteiensystem etwas ins Kippen geraten? Wahlforscher Jung rät hier von voreiligen Schlussfolgerungen ab. „Im Osten ist die Bindung an Parteien extrem gering, deswegen sind die Ausschläge bei Wahlen dort so viel höher als im Westen“, betont der Chef der Forschungsgruppe Wahlen. „Die Situation kann sich ganz schnell wieder ändern.“

Welche Folgen hat das Ergebnis für Höcke und seinen völkischen „Flügel“?
Aus der Wahl gehen Höcke und sein völkischer „Flügel“ gestärkt hervor. Schon am Sonntag erklärte Parteichef Alexander Gauland, Höcke sei „die Mitte der Partei“. Auf Nachfrage bekräftigte er am Montag, „dass Björn Höcke mitten in der Partei steht“. In der AfD hatte es in der Vergangenheit Kritik an Höcke gegeben, zahlreiche Funktionäre wandten sich gegen den von ihm zelebrierten Personenkult.

Zugleich verteidigte Gauland den Thüringer Spitzenkandidaten gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus: „Es ist natürlich völliger Unsinn, dass Herr Höcke ein Faschist ist.“ Die Reden des Thüringer Landesvorsitzenden erinnern nach Auffassung von Experten an Auftritte der NPD, außerdem verwendet er immer wieder Anleihen aus der Sprache des Nationalsozialismus.

Auch in Sachsen und Brandenburg ist der „Flügel“ stark. Nach den drei Wahlsiegen könnten die Völkischen nun mehr Einfluss innerhalb der Partei bekommen und sie damit weiter nach rechts verschieben. Bei ihrem Bundesparteitag Ende November wählt die AfD einen neuen Vorstand. Höcke ließ am Montag weiter offen, ob er antreten will. Er forderte aber, die erfolgreichen ostdeutschen Landesverbände stärker zu berücksichtigen. Der Unterstützung Gaulands kann er sich sicher sein: Es sei in jeder Partei so, dass Landesverbände, die einen Wahlsieg eingefahren hätten, im Vorstand „gewisse Ansprüche“ stellten, sagte der Parteichef.

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