
© BMVI
Radpolitik stärkt das Fahrrad zu Lasten des Autos: Was an Scheuers geplantem „Systemwechsel“ tieftraurig ist
Die Politik nimmt Fahrräder nicht ernst genug. Das zeigt sich auch im Bund. Die Groko hat dem Radverkehr wenig gebracht. Ein Kommentar.

Stand:
Man wird am Ende der Legislaturperiode nicht behaupten können, sie sei spurlos am Fahrradwesen vorübergegangen. Denn das hieße zunächst, vergessen zu haben, dass das Bundesverkehrsministerium im März 2019 mit Heidi Klums GNTM- Nachwuchsmodels spektakulär Werbung fürs Fahrradhelmtragen gemacht hat. „Looks like shit, but saves my life“, war der coole Kampagnenslogan, aber weil die Models halbnackt posierten, fand Twitter das sexistisch – und schon ging’s mehr um Hotpants als um Helme.
Dauerhafter dürfte der Streit sein, den der neue „Nationale Radverkehrsplan“ enthält, der vergangene Woche beschlossen wurde, und den Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer an diesem Dienstag beim zweitägigen digitalen Nationalen Radverkehrskongress in Hamburg nochmal vorstellen wird. Der soll nämlich einen „Systemwechsel“ bringen – zu Lasten des Autos.
Das soll nicht mehr automatisch mehr Platz bekommen, und das Fahrrad soll künftig beim Straßenbau von Beginn an mitgedacht werden und nicht am Ende der Baumaßnahme die Zentimeter abbekommen, die noch übrig sind. Der Fahrradclub ADFC sah in einer ersten Reaktion bereits eine „kleine Revolution“ im Anmarsch – aber „klein“ ist ja auch relativ. Wie klein die Revolution am Ende ist, wird sich ohnehin erst erweisen, wenn Andreas Scheuer höchstwahrscheinlicherweise kein Bundesverkehrsminister mehr ist.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Dass es aber im Jahr 2021 überhaupt als progressive Neuheit verkauft werden kann, dass man neue Radwege beim Straßenbau künftig mitdenken will, ist ein Umstand von höchster Traurigkeit. Das wirft ein Schlaglicht auf die relative Blindheit der Politik, was diesen Verkehrssektor angeht, und auf eine große Ignoranz gegenüber den Wünschen der Millionen Menschen – Tendenz gerade im Coronajahr rapide wachsend –, die Tag für Tag auf dem Rad unterwegs sind.
Sie haben Angst vor Autos, Bussen, Lkw
Immer wieder ergeben Umfragen, dass es vor allem Sicherheitsbedenken sind, die Menschen von noch mehr Radnutzung abhalten. Und Sicherheitsbedenken meint die Angst vor Autos, Bussen, Lkws. Gehört wurde das nicht.
Auch Umweltprobleme und Klimarettungsbewegungen konnten dem Fahrradverkehr bisher nicht zu dem Status verhelfen, den er verdient: den eines wichtigen und unbedingt ernstzunehmenden Bausteins für eine nachhaltige, also zukunftsfähige Verkehrspolitik. Da konnten andere Länder x-mal vormachen, wie man den Lebensalltag fahrradfreundlich umgestaltet, hierzulande hat das Auto Vorrang, verblieb das Fahrradfahren im Status Hobby – und wenn man mal an Radwege dachte, dann an Ausflugsrouten. Was die Große Koalition bisher an Impulsen nicht gesetzt hat, wird auf den letzten Metern vor der Bundestagswahl auch kein angekündigter „Systemwechsel“ mehr bringen. Aber wenn mit Scheuer nun ein Autofan aufs Rad kommt, ist das vielleicht die eigentliche Nachricht.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: