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Lebendige Erinnerung: Schon kurz nach seiner Ernennung ehrte Griechenlands Premier Tsipras jene Hunderte von den Widerstandskämpfern, die die deutschen Besatzer in Athen erschossen.

© Alkis Konstantinidis/Reuters

Griechenland und Deutschlands Schulden: Was Athen fordern kann

Deutschland will nicht zahlen und hält alle Forderungen aus Kriegszeiten für beglichen. Das sieht nicht nur die neue Athener Regierung anders.

Für die deutsche Bundesregierung ist die Sache klar: Sie will den Zwangskredit, den die griechische Zentralbank Nazi-Deutschland 1942-44 geben musste, nicht zurückzahlen. Das Bundesfinanzministerium zählt die Zwangsanleihe über 476 Millionen Reichsmark – nach heutiger Kaufkraft etwa zehn Milliarden Euro – zu den Reparationsforderungen und diese wiederum seien durch den Reparationsvertrag von 1960 abgegolten. Damals hatte sich Deutschland zur Zahlung von 115 Millionen Mark an Griechenland verpflichtet. Mit dem Vertrag sei die Frage der Wiedergutmachung von NS-Unrecht „abschließend geregelt“. Der Zwei-plus-vier-Vertrag, der nach der deutschen Wiedervereinigung geschlossen wurde, setzt nach deutschem Verständnis einen Schlusspunkt unter mögliche Forderungen, sie hätten spätestens zu diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden müssen.

Der Schuldenerlass, der Bonn schützte

Der deutsch-griechische Historiker Hagen Fleischer, der wohl beste Kenner der Beziehungen beider Länder, sieht dies anders: Der „Besatzungskredit“, den die deutschen Besatzer Griechenland 1942-44 abpressten, falle nicht unter die Reparationen, Berlin rechne ihn „wider besseres Wissen“ dazu. Die Reparationsforderungen wiederum habe Griechenland durchaus mehrfach vorgebracht. Nur war dies bis 1990 erfolglos, weil das Londoner Schuldenabkommen von 1953 die Bundesrepublik schützte. Um das neue demokratische Deutschland als „Bollwerk gegen die sowjetische Bedrohung“ aufbauen zu können, kappte der Haircut von London nicht nur die deutschen Vor- und Nachkriegsschulden. Es bestimmte zugleich, dass die Ansprüche aus dem Krieg selbst „bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage“ vertagt würden, nach alliierter Lesart unter anderem für den Fall der deutschen Wiedervereinigung – seither bemüht Berlin das Argument, sie seien verjährt.

Deutschland und "die griechischen Kalenden"

Die Höhe seiner Ansprüche auf Wiedergutmachung hatte Athen für die Pariser Schuldenkonferenz 1945 übrigens mit 7,2 Milliarden Dollar angesetzt, was die Alliierten im wesentlichen berechtigt fanden. Griechenland, so Fleischer, war unter den westlichen Ländern unter deutscher Besatzung das mit den "höchsten Verlusten, an Menschenleben wie auch in materieller Hinsicht".
In der Abwehr von Ansprüchen ehemals besetzter Länder vor und nach 1990 sieht Historiker Fleischer Strategie: Schon 1969 habe Bonns führender Reparationsexperte "in köstlicher Offenheit"erklärt, man hoffe, so wörtlich, „dank des Entgegenkommens unserer amerikanischen Freunde“ die anderen Weltkriegsgegner „ad calendas graecas zu vertrösten“ – zu deutsch: auf den St.-Nimmerleinstag.

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