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Blick auf die Förderbrücke F60 im Braunkohletagebau Jänschwalde.

© Patrick Pleul/dpa

Strukturwandel im Braunkohle-Revier: Was die neue Landesregierung für die Zukunft der Lausitz tun muss

Die Politik darf bei ihren Klima-Plänen die Bürger in der Lausitz und ihre Biografien nicht vergessen. Ein Gastbeitrag.

Nach den Landtagswahlen steht die SPD als stärkste Partei vor der Aufgabe, eine neue Regierung für Brandenburg zu bilden. In der neuen Legislaturperiode muss auch auf Landesebene Klimaschutzpolitik eine zentrale Rolle spielen. In Brandenburg droht die Umsetzung des Kohlekompromisses mit dem Ausstiegsdatum 2038 alle anderen Klimaschutzziele zu überlagern und auch die Bildung einer handlungsfähigen Regierung zu erschweren.

Klimaschutz durch Ausstieg aus der Braunkohle hat sich zu einem hoch umkämpften Streitthema entwickelt. Befürchtet wird eine uneinholbare Strukturschwächung in der Lausitz im Südosten des Landes. Befürchtet wird aber auch eine weitere Eskalation politischer und kultureller Konflikte, die schon jetzt zu beobachten sind. Wie soll es also weitergehen in dieser Region, wie können ökologische Ziele erreicht und dabei wirtschaftliche, soziale und politische Probleme vermieden oder gelöst werden?

Die Parteien der bisherigen rot-roten Koalition haben dazu jeweils dezidierte Positionen vorgelegt und die Landesregierung hat sich – auch gemeinsam mit der sächsischen Regierung – intensiv bemüht, im Rahmen der Verhandlungen der Kohlekommission für das Lausitz-Revier bestmögliche Bedingungen zu erreichen. Es geht dabei um Geld vor allem für Infrastrukturausbau und die Förderung anwendungsorientierter Forschung, um damit die Bedingungen für eine wirtschaftliche Neuorientierung zu verbessern.

Die Energieerzeugung hatte zu DDR-Zeiten in der Lausitz große Bedeutung

Es geht aber bisher zu wenig um die Anerkennung der bisherigen Leistungen dieser und der anderen Braunkohleregionen für die Energieversorgung. Für die Lausitz geht es darüber hinaus auch um die Anerkennung der dort bereits in der ersten Dekade nach der Vereinigung durchaus unfreiwillig erbrachten Beiträge zur Erreichung der Klimaschutzziele der Bundesrepublik - durch den damaligen massiven Einbruch der Braunkohleförderung auf nur noch ein Viertel. Im Bericht der Kohlekommission wird das, wenn auch nur knapp, durchaus erwähnt. Diese Anerkennung zu stärken ist jedoch wichtig und sie muss jetzt in praktische Politik umgesetzt werden.

Dazu ein kurzer Blick zurück: Die Energieerzeugung in der Lausitz war für die DDR von außerordentlicher wirtschaftlicher Bedeutung. Damit gingen Privilegierungen einher, aber auch besondere Belastungen, vor allem mit Umweltschäden und Heimatverlusten durch zerstörte Dörfer. Die Braunkohle hat über 200 Jahre bis heute eine prägende Rolle gespielt. Sie hatte eine Magnetwirkung auf junge Menschen, die ganze Städte und Dörfer neu aufbauten. Diese standortgebundene Branche erhielt eine Ankerfunktion für die Region und verlieh ihr auch kulturell eine Ortsgebundenheit und Bodenständigkeit, die nach der Wiedervereinigung bald anachronistisch zum „Standortnachteil“ wurden.

90 Prozent der zur Zeit der deutschen Vereinigung in der Braunkohlewirtschaft vorhandenen Arbeitsplätze (80.000 Stellen) wurden bereits in den ersten Jahren abgebaut, ebenso brach die Textilwirtschaft in sich zusammen, was noch einmal 20.000 Arbeitsplätze traf. Ein Viertel der Bevölkerung hat die Region seitdem verlassen.

Die Große Koalition signalisiert Handlungsbereitschaft

Kohlegewinnung und Stromerzeugung wurden nach Maßgabe der Wirtschaftlichkeit modernisiert. Dass jetzt nicht subventionierte Kraftwerkskapazitäten stillgelegt werden sollen, die seit den 1990ern auf umweltschonendere Technik aufgerüstet wurden – dafür erntet man in der Lausitz wenig Verständnis. Die IG Bergbau, Chemie, Energie und die sächsischen Grünen treffen sich in der Kritik, dass damit auf Kosten der Region die klimapolitische Untätigkeit der Bundesregierung in anderen Bereichen verdeckt werden soll. Aber nur die AfD profitiert, weil sie als einzige und ohne Rücksicht auf klimapolitische Erwägungen lautstark fordert, die „Deindustrialisierung Deutschlands (zu) stoppen“.

Die Große Koalition hält dagegen und signalisiert Handlungs-, Verantwortungs- und vor allem Zahlungsbereitschaft. Ende Mai erklärte Wirtschaftsminister Peter Altmaier: „Den Beschäftigten in den Kohlerevieren ist ein Versprechen gemacht worden, nämlich dass wir für notwendige Ersatzarbeitsplätze sorgen, auch für Industriearbeitsplätze, gemeinsam mit der Wirtschaft“. Und weiter: „Es ist das erste Mal, dass die Politik auf Strukturwandel reagiert, bevor er eingetreten ist.“

Dass dies in der Lausitz auf große Skepsis und teils auf Hohn stößt, kann nicht überraschen: Der Strukturbruch geschah eben schon vor dreißig Jahren. Aus Sicht vieler in der Region, nicht nur der direkt betroffenen Unternehmen und Beschäftigten, ist es die Bundesregierung, die die jetzt zu bewältigenden Probleme ja erst schafft. Woher soll angesichts dessen das Vertrauen kommen in die Ankündigung des Bundeswirtschaftsministers, aus der Lausitz eine „Europäische Modellregion für den Strukturwandel“ machen zu wollen? Warum also sollte es diesmal anders sein, warum sollten sie diesmal Anerkennung oder echte Kompensation erfahren?

Der Strukturwandel ist auch ein sozialer und kultureller Prozess

Bürgerinnen und Bürger, die heute mit Trillerpfeifen und teils menschenverachtenden Parolen und Symbolen Konflikte zwischen ökologischen und sozialen Zielen bewusst schüren, erklären sich damit selbst zum Opfer ignoranter oder aus ihrer Sicht eben einfach „falscher“ Politik. Wo demokratische Auseinandersetzung nicht mehr gesucht wird, geht es nur noch um Unterwerfung oder Widerstand. Das ist die denkbar schlechteste Voraussetzung für das Gelingen der künftigen Strukturentwicklung.

Was also kann man tun? Man sollte die Diskussion versachlichen, und zwar auf beiden Seiten. Dazu muss berücksichtigt werden, dass der Strukturwandel nicht nur ein wirtschaftlicher und technischer Vorgang ist, sondern auch ein sozialer und kultureller Prozess. Die neue Landesregierung und natürlich die Bundesregierung sollten berücksichtigen, dass die Erfahrungen aus der Vereinigungsphase in die aktuelle Dynamik hineinwirken.

Wenig wurde aufgearbeitet, und das ist ein Risiko

Was aber weiß man über die sozialen Verwerfungen im Zuge des bereits erfolgten Strukturbruchs? Abwanderung, demografische Alterung und Geburtenrückgang werden beklagt. Das sind statistisch ablesbare Größen. Was aber weiß man über den Wandel der privaten Lebensformen, Erwerbsbiografien, Bildungskarrieren und politischen Orientierungen? Was weiß man über die soziale und kulturelle Ausgangssituation der Bevölkerung angesichts der nun geforderten außerordentlich großen Veränderungsbereitschaft?

Wenig wurde aufgearbeitet, und das ist ein Risiko für die Zukunft der Beziehungen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Politik. Angesichts der komplexen Dynamik zwischen dem Ende der Bergbautradition, den Erfahrungen aus dem Vereinigungsprozess und den Klimaschutzimperativen ist es wichtig, die aktuellen und künftigen Veränderungen nicht nur als wirtschaftliche und technische, sondern vor allem als soziale und kulturelle zu begreifen.

Ob Kenia-Koalition oder Rot-Rot-Grün – erfolgreich kann die Strukturwandelpolitik nur sein, wenn sie riskante Versprechen vermeidet, wenn sie die bisherigen produktiven Krisenbewältigungsstrategien der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt und anerkennt und mit ihnen gemeinsam Lösungen entwickelt.

Heike Jacobsen, Virginia Kimey Pflücke

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