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Kevin Kühnert (29) ist seit Ende November 2017 Juso-Chef.

© Marius Becker/dpa

Update

„Was hat der geraucht?“: Heftige Kritik an Thesen von Juso-Chef auch aus SPD

Unternehmen wie BMW kollektivieren, den Besitz von Immobilien beschränken: Nicht nur beim politischen Gegner löst Juso-Chef Kühnert Kopfschütteln aus.

Es sind erregte Zeiten – und so war der Sturm der Entrüstung absehbar. Dabei hat Juso-Chef Kevin Kühnert mit seinen Ausführungen zur Überwindung des Kapitalismus nur ausgesprochen, was ein programmatisches Ziel der SPD-Jugendorganisation ist. Der 29-Jährige hatte in der „Zeit“ die Kollektivierung von Großunternehmen wie dem Automobilkonzern BMW gefordert. „Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar“, sagte Kühnert.

Auch private Vermietungen solle es im „Optimalfall“ nicht mehr geben. „Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten“, sagte Kühnert. „Konsequent zu Ende gedacht, sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt“, forderte der SPD-Politiker, der bekannt gewordenen durch seinen fast erfolgreichen Kampf gegen die erneute große Koalition.

Wie genau solche Kollektivierungen ablaufen sollten, ließ Kühnert in dem Interview offen. „Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW 'staatlicher Automobilbetrieb' steht oder 'genossenschaftlicher Automobilbetrieb' oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht“, sagte er.

Herr Kühnert sollte inzwischen gelernt haben, dass in Deutschland nur Verluste kollektiviert werden. Wenn Unternehmen gegen die Wand gefahren werden, springt der Staat großzügig ein. Wenn Unternehmen den Staat betrügen, schaut er dezent zur Seite!

schreibt NutzerIn db0815

Entscheidend sei, dass die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werde. „Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebs gibt.“ Nun hat auch schon ein Juso-Chef Gerhard Schröder (1978-80) eine Nähe zum Marxismus erkennen lassen – und später als Kanzler die Hartz-Reformen mit massiven Sozialkürzungen durchgezogen. So klafft bei der SPD traditionell eine Kluft zwischen Theorie und Praxis.

„Wir wollen den Kapitalismus überwinden und treten für eine andere Gesellschaftsordnung, den Sozialismus, ein“, betont die rund 70.000 Mitglieder umfassende Organisation Jusos ( kurz für: Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD) als Ziel. „Sozialismus ist für uns keine unerreichbare Utopie, sondern notwendig, um die Probleme unserer Zeit zu lösen“, wird betont.

Kahrs entsetzt über Interview

Nun ist eine Art demokratischer Sozialismus noch nirgendwo so richtig verwirklicht worden, in Ansätzen im Chile Salvador Allendes. Und im aktuell gültigen SPD-Grundsatzprogramm, dem Hamburger Programm von 2007, steht auf Seite 17: Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung habe die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern die Orientierung der Sozialdemokratie an Grundwerten eindrucksvoll bestätigt. „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist.“ Versuche das mal abzumildern, sind immer wieder gescheitert.

Der Chef des konservativen Kreises in der SPD, Johannes Kahrs scheint den Passus etwas vergessen zu haben – er müht sich seit Jahren um ein wirtschaftsfreundlicheres Profil, so wie der Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz. Kahrs twitterte entsetzt mit Blick auf Kühnert: "Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein". Kahrs findet es vor allem unsolidarisch, mitten im schwierigen Europawahlkampf, wo der SPD eine Klatsche droht, so ein Interview zu geben und den politischen Gegnern eine Steilvorlage zu bieten.

SPD-General Klingbeil distanziert sich

Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil distanzierte sich von der Forderung des Juso-Chefs. Kühnert habe über eine „gesellschaftliche Utopie“ gesprochen, erklärte Klingbeil am Donnerstag in Berlin. „Diese ist nicht meine und auch keine Forderung der SPD.“

SPD-Vize Ralf Stegner, ein Parteilinker, betonte dagegen, jetzt würden alle über den Kühnert herfallen. „Man muss nun wahrlich nicht alle Positionen teilen, aber mir ist ein Juso-Chef, der links von der SPD steht, allemal lieber als eine Junge Union, die ihre Mutterpartei noch rechts überholt.“

Letztlich versucht Kühnert, dem vorgehalten wird, noch nie richtig gearbeitet zu haben, offenbar dem zunehmenden Unbehagen über einen entgrenzten Kapitalismus eine Stimme zu geben – was sich auch in den Gelbwesten-Protesten wie in Frankreich oder im Volksbegehren zur Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen in Berlin ausdrückt.

„Willkommen im Sozialismus“

Erwartbar sind  die Reaktionen aus anderen Lagern . „Die Forderung, Betriebe wie BMW zu kollektivieren, zeigt das rückwärtsgewandte und verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten", sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) der „Bild“. Zum Glück habe man den Sozialismus überwunden. CDU-Vize Thomas Strobl sagte, erst spreche Grünen-Chef Robert Habeck von Enteignungen, jetzt kämen diese Stimmen auch aus der SPD. Offensichtlich stünden Teile der Grünen und der SPD nicht mehr uneingeschränkt für die freiheitliche Staats- und Wirtschaftsordnung in Deutschland. „Willkommen im Sozialismus“, schrieb Jan-Marco Luczak (CDU), stellvertretender rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, bei Twitter.

FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sagte der „Bild“ zufolge: „Die SPD muss dringend ihr Verhältnis zum Eigentum klären und Herr Kühnert das Godesberger Programm statt Karl Marx lesen. Wir Freien Demokraten werden die Soziale Marktwirtschaft gegen solche sozialistischen Auswüchse verteidigen.“ Und die Finanzpolitikerin der Partei, Bettina Stark-Watzinger, kommentierte den Vorschlag auf Twitter: „Das kann nur jemand sagen, der die Teilung nicht erlebt hat.“

Juso-Chef- Kevin Kühnert selbst distanzierte sich von bisherigen Formen des Staatssozialismus wie in der DDR. In solchen Modellen habe es meistens einen „eklatanten Mangel an demokratischer Mitbestimmung“ gegeben. Aus seiner Sicht sei dagegen „demokratischer Sozialismus“ ein untrennbares Begriffspaar. Sozialismus sei „kein autoritäres Konzept“, hob er hervor. (mit AFP)

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