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Annegret Kramp-Karrenbauer verlangte am Montag nicht „Regulierung“, sondern eine Debatte über „Regeln“, die für „Meinungsmacher“ auch im Digitalen gelten müssten.

© imago images / photothek

Hilflos im Umgang mit Youtubern: Was Kramp-Karrenbauer digital und analog droht

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer tut sich mit Reaktionen auf den Youtuber Rezo schwer – und verheddert sich immer mehr.

Von Robert Birnbaum

„Sprengen!“ schimpft einer, „das ganze Konrad-Adenauer-Haus – sprengen und neu aufbauen!“ Und die Chefin gleich mit. Der Empörte gehört eigentlich zu Annegret Kramp-Karrenbauers Unterstützern. Um so größer ist die Enttäuschung über das, was die CDU-Vorsitzende vor und nach der Europawahl hingelegt hat. Erst völlig hilflos im Umgang mit dem Youtuber Rezo und nach der Klatsche am Sonntag sofort wieder ins Wespen-Netz stechen mit missverständlichen Bemerkungen über „Regeln“ für digitalen Wahlkampf – die Entgeisterung geht quer durch die Partei. Am Dienstag reicht Kramp-Karrenbauer die zweite Klarstellung nach. Richtig klar wird darin nichts. Man kann sehr viele Worte machen und trotzdem sprachlos bleiben.

Dabei muss ehrlicherweise gesagt werden, dass Kramp-Karrenbauer in ihrer Pressekonferenz am Montag nicht „Regulierung“ verlangt, sondern eine Debatte über „Regeln“, die für „Meinungsmacher“ auch im Digitalen gelten müssten. Die Journalisten im Foyer der Parteizentrale, selbst solche von digitalen Medien, verstanden das ganz richtig nicht als juristische Forderung, sondern als irgend etwas zwischen hilflosem Appell und dem Versuch, die kopflose Reaktion auf das Rezo-Video über „Die Zerstörung der CDU“ zu rechtfertigen.

Die Netzgemeinde verstand es komplett anders. „Regeln“ – spätestens seit dem Streit um Upload-Filter ist das in der Szene ein Unwort. Es steht für den Versuch, der digitalen Welt analoge Fesseln anzulegen. In den sozialen Medien, bei Twitter und Facebook war prompt der Teufel los. „Zensur“ witterten viele, vor „Regulierung“ wurde gewarnt, der Artikel 5 im Grundgesetz zitiert, der die Meinungsfreiheit garantiert. Zwei Youtuber starteten eine Online-Petition, die rasend schnell Zehntausende unterschrieben.

Erste Klarstellung

Kramp-Karrenbauer ließ noch am Montagabend die erste Klarstellung verbreiten: Es gehe nicht um Einschränkung des Grundrechts, nur um „Regeln im Wahlkampf“. Woraufhin der Protest erst recht anschwoll und der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz viel Beifall bekam für seine Twitter-Anmerkung: „Zur Meinungs- und Pressefreiheit gehört es, dazu aufrufen zu können, eine Partei zu wählen oder eben nicht zu wählen. Neutralitätsregeln gelten nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.“

Am Dienstag wird dann auch der eher analoge Teil der politischen Szene aktiv. Vormittags sitzt Werner Bahlsen im Konferenzraum des Wirtschaftsrats und schüttelt den weißhaarigen Kopf. „Die junge Generation ist sehr politisch“, sagt der Keksfabrikant und scheidende Chef der CDU-nahen Vereinigung, „nur anders politisch als die etablierten Parteien denken.“ Die CDU habe das schlicht noch nicht begriffen. NRW-Regierungchef Armin Laschet – Christdemokrat mit Ambitionen auf Höheres – zitiert den Grundgesetz-Artikel 5: „70 Jahre alt und doch wie für YouTube formuliert.“ Horst Seehofer mahnt zu Gelassenheit. „Nicht jeder Beitrag eines YouTubers sollte gleich den Weltuntergang bedeuten“, sagt der Innenminister der ARD.

Nur wenige verteidigen die Chefin. Parteivize Thomas Strobl erklärt, er sei nicht bereit, Brutalisierung und Verrohung der Sprache im Internet achselzuckend zu akzeptieren. Auch der Chef der Jungen Union versucht zu helfen: Er sei ganz sicher, dass Kramp-Karrenbauer missverstanden werde und nicht die Meinungsfreiheit einschränken wolle, sagt Tilman Kuban dem Deutschlandfunk.

Das ist besonders nett von ihm, nachdem die Parteizentrale in einer Blitzanalyse der Europawahl die Jugendorganisation mitverantwortlich gemacht hatte für den Eindruck, die CDU erlebe einen „Rechtsruck“. Das Papier ging noch in der Wahlnacht an alle Vorständler. Es löste Raunen und Kopfschütteln aus. Kramp-Karrenbauer musste klar- und sich öffentlich hinter die JU stellen.

Und dann kommt auch noch Friedrich Merz

Das war peinlich genug, am peinlichsten aber, dass die Vorsitzende selbst in der „Rechtsruck“-Analyse, die ihr Vertrauter Nico Lange verantwortete, gar nicht auftauchte. Dabei hat die Vorsitzende höchstselbst den Eindruck mit erzeugt, dass die CDU konservativer werden soll. Das „Werkstattgespräch“ zur Migration verstand noch jeder als innerparteiliche Befriedungsaktion. Aber fast alles, was seither von ihr kam, bediente konservative Reflexe. Wem zu den „Fridays for Future“-Demos als Erstes die Schulpflicht einfällt, der landet nicht nur bei den Jungen sehr schnell in der Gouvernanten-Schublade: altbacken, ahnungslos, antwortlos – abhaken. Da passt dann natürlich eine Meldung der Agentur Bloomberg bestens ins Bild, Angela Merkel zweifle inzwischen daran, dass ihre Wunschkandidatin der Nachfolge wirklich gewachsen sei. Die Agentur berief sich auf zwei Quellen, die „mit Merkels Denken vertraut“ seien. Daran dürfte jedenfalls so viel richtig sein, dass die Kanzlerin nicht begeistert ist.

Dienstag Mittag kommt Kramp-Karrenbauers zweite Klarstellung. Es gehe wirklich nicht um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern um „eine Frage des Umgangs miteinander“. Man kann daraus erahnen, dass sie die Querschüsse aus der Youtube-Welt in Form und Inhalt irgendwie unfair fand.

Dabei sind die aus der analogen Welt für sie viel gefährlicher. „Nach dem Ergebnis dieser Europawahl muss sich die CDU fragen, warum wir nach 14 Jahren Klimakanzlerin unsere Klimaziele verfehlen ... und zugleich die strategische und kulturelle Kontrolle über das Thema verloren haben“, gibt Friedrich Merz dem „Spiegel“ zu Protokoll. Das eine gilt Merkel. Das andere trifft die Frau gleich mit, die ihm den Parteivorsitz wegschnappte.

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