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Designierte Linken-Chefinnen Susanne Hennig-Wellow (links), Janine Wissler.

© Frank May/dpa

Was nun, Linke?: Designierte Parteiführung im Wartestand

Die Linke verschiebt wegen Pandemie ihren Parteitag. Es ist weitgehend unklar, wie Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler nun Vorsitzende werden.

Von Matthias Meisner

Sie bleiben die klaren Favoritinnen - aber müssen nun bis zu ihrer Wahl noch wochenlang, wahrscheinlich sogar monatelang warten. Die hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler und die thüringische Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow wollen im Duo Bundesvorsitzende der Linken werden.

Und damit Nachfolgerinnen der bisherigen Doppelspitze aus dem sächsischen Slawistin Katja Kipping und dem schwäbischen Gewerkschafter Bernd Riexinger, die 2012 auf dem Bundesparteitag in Göttingen nach einem erbitterten Machtkampf ins Amt kamen und nun seit acht Jahren an der Spitze der Partei stehen.

Nachdem Kipping und Riexinger vor Wochen nach längerem Zögern entschieden hatten, nicht mehr für das Amt zu kandidieren, schien die Wahl von Wissler und Hennig-Wellsow nur noch Formsache.

Doch seit Dienstagabend ist klar, dass die bisherigen Vorsitzenden weiter interimistisch im Amt bleiben werden. Der Parteivorstand entschied in einer Telefonkonferenz einstimmig, dass der für dieses Wochenende in Erfurt geplante Bundesparteitag abgesagt wird.

Zuvor war er wegen des Corona-Infektionsgeschehens, das auch in der thüringischen Landeshauptstadt immer dramatischer wird, bereits auf einen eintägigen Not-Parteitag verkürzt worden - am Freitagnachmittag und -abend sollten nur noch die Vorstandswahlen und der Punkt Satzungsänderung auf der Tagesordnung stehen.

An den guten Aussichten von Wissler und Hennig-Wellsow für das Amt der Vorsitzenden ändert sich deshalb vorerst nichts. Beide genießen Sympathien in der Gesamtpartei. Die Einigung hinter den Kulissen erfolgte für Linken-Verhältnisse außerordentlich geräuscharm.

Hennig-Wellsow hält als Partei- und auch Fraktionsvorsitzende in Thüringen dem einzigen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow im parteipolitischen Tagesgeschäft und auch bei Verhandlungen mit den Koalitionspartnern SPD und Grüne den Rücken frei. Wissler war über eine trotzkistische Splittergruppe zur Linken gelangt. Sie wird dem linken Parteiflügel zugerechnet, hat aber zu dessen Frontfrau, der früheren Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht, Distanz gehalten.

Ramelow schwärmt: „Zwei starke Frauen“

Ramelow selbst erhofft sich, wie er dem Tagesspiegel sagte, von der Wahl der neuen weiblichen Doppelspitze - der ersten in der Geschichte der Partei - Rückenwind auch für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis nach der Bundestagswahl 2021. Die Chancen dafür gelten laut Umfragen aktuell zwar als schlecht. Dennoch sagt der thüringische Regierungschef, der sich voraussichtlich im April 2021 bei einer vorgezogenen Landtagswahl der Wiederwahl stellen wird: „Diese neue Doppelspitze wird dafür sorgen, dass wir neuen Schwung in unsere Partei bekommen. Ich unterstütze diese weibliche Doppelspitze ausdrücklich.“

Es sei spannend für die Linke, dass nun beide Seiten vertreten seien - „diejenigen, die Politik über die Opposition definieren, und diejenigen, die das über Regierungsarbeit tun“. Ramelow weiter über Wissler und Hennig-Wellsow: „Zwei starke Frauen, die beide Positionen zusammenbringen und gut miteinander arbeiten können. Ich sehe eine neue Kraft für uns und finde es toll, dass es zwei Frauen. Es liegt eine Chance darin, dass sich die Partei neu aufstellt, ohne ihre großen Schatten, das heißt auch ohne zum Beispiel einen Gysi oder einen Ramelow.“

Wagenknecht will nicht mäkeln - und tut es irgendwie doch

Selbst Ex-Fraktionschefin Wagenknecht, seit Jahren innerparteiliche Widersacherin vor allem von Kipping, hat sich mit der Auswahl zähneknirschend abgefunden. Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte sie: „Wenn es nur zwei Kandidatinnen gibt, wäre es geradezu unanständig, an ihnen rumzumäkeln.“ Sie fügte allerdings hinzu: „Ich finde es natürlich schade, dass der Parteivorsitz inzwischen so unattraktiv ist, dass viele anerkannte talentierte Politiker, die wir haben, sich das nicht mehr antun wollen.“ Und nannte in diesem Zusammenhang ihren Vertrauten und Finanzexperten Fabio de Masi und Jan Korte, den Parlamentarischen Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag.

Wie genau die Hessin und die Thüringerin nun ins Amt kommen, ist noch weitgehend unklar. Drei Szenarien sind denkbar: Der eigentlich am Wochenende in Erfurt geplante Präsenzparteitag wird ins nächste Jahr verschoben. Oder es findet ein dezentraler Parteitag an fünf bis 15 Orten mit jeweils zwischen 70 und 300 Teilnehmern statt. Oder die Linke entscheidet sich für einen Online-Parteitag.

Im letzteren Fall müsste allerdings die Wahl des Vorstandes laut Parteienrecht nach dem digitalen Event per Briefwahl erfolgen. Aber auch Variante zwei hat Tücken: Was ist, wenn einer der Orte für den dezentralen Parteitag ein Hotspot wird? Gegen die Verschiebung eines Präsenzparteitags ins neue Jahr spricht, dass niemand absehen kann, wie sich die Pandemie weiter entwickelt.

Linken-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler.
Linken-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler.

© Kai-Uwe Heinrich

Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler betont, dass die Entscheidung über die Vorsitzendenfrage „möglichst zeitnah“ erfolgen solle. Das „Signal der personellen Erneuerung“ sei mit Blick auf die Bundestagswahl wichtig, sagt er. Am 7. November soll sich der Vorstand mit den Optionen befassen. Sicher scheint, dass die Linke in diesem Jahr keine neue Führung mehr bekommt.

Eine Rolle spielte auch die Absage des CDU-Parteitags in Stuttgart

Dass der Erfurter Delegiertenparteitag abgesagt werden musste, war in den vergangenen Tagen immer klarer geworden. Eine Rolle spielte die Entscheidung der CDU, ihren Anfang Dezember in Stuttgart geplanten Bundesparteitag zu verschieben. In Erfurt wiederum - dort war der Inzidenzwert am Wochenende über die 50er Marke geklettert - sagte die Stadt den beliebten Weihnachtsmarkt ab. Ramelow wollte nicht vermitteln, dass die Linke ihren Konvent trotz strenger Hygiene-Regeln durchsetzt, während hunderte Budenbetreiber wegen der Corona-Pandemie um ihr Jahresgeschäft gebracht werden.

Wegen der Verschiebung der Vorstandswahlen haben Kipping und Riexinger nun die Aufgabe, die Debatte über die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl in die Wege zu leiten - eine Aufgabe, die eigentlich bei den neuen Parteichefinnen hätte liegen müssen. Die Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali haben Ambitionen, doch laut Parteimanager Schindler gibt es in dieser Frage „keinen Automatismus“.

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