zum Hauptinhalt
Polizisten lösen eine Aktivistin der Gruppe „Letzte Generation“ von der Kreuzung Frankfurter Tor.

© Christian Mang / CHRISTIAN MANG

Wenn Klimaaktivisten die Straßen blockieren: Wie weit dürfen genervte Autofahrer gehen?

Im Internet kursieren Bilder davon, wie Aktivisten von der Straße entfernt werden. Handeln Autofahrer, die sich „den Weg freimachen“ in Notwehr, also rechtmäßig?

Aus Protest gegen die zaghafte Klimapolitik klebt sich die „Letzte Generation“ auf Straßen fest. Ob darin eine strafbare Nötigung liegen kann und ob sich die Aktivist:innen wegen ihres Handelns möglicherweise sogar wegen Totschlags oder fahrlässiger Tötung vor Gericht werden verantworten müssen, wird derzeit diskutiert.

In den juristischen Fokus rücken jetzt aber auch die Polizeieinsätze, bei denen Demonstrierende von der Straße losgelöst und weggetragen werden oder auch genervte Autofahrer, die selbst Hand anlegen.

Im Internet kursieren immer mehr Bilder davon, wie Aktivist:innen von der Straße entfernt werden, teils unter Einsatz von Gewalt. Handeln Autofahrer:innen, die sich „den Weg freimachen“ in Notwehr, also rechtmäßig?

Notwehr ist gemäß § 32 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. 

Sind die Blockaden ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff?

Ob dies bei der Auflösung von Straßenblockaden der Fall sei, hänge von verschiedenen Faktoren ab, sagte Michael Kubiciel, Professor für Strafrecht an der Universität Augsburg, im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

„Jemanden von der Straße zu zerren, kann durchaus eine Nötigung oder sogar eine Körperverletzung sein.“ Ob solche Taten durch Notwehr gerechtfertigt seien, hänge vom Einzelfall ab. Problematisch sei bereits die Frage, ob die Blockade eine rechtswidrige Handlung darstelle.  

Jemanden von der Straße zu zerren, kann durchaus eine Nötigung oder sogar eine Körperverletzung sein.

Michael Kubiciel, Professor für Strafrecht an der Universität Augsburg.

„Die Blockade fällt in den Schutzbereich des Artikel 8 des Grundgesetzes, die Versammlungsfreiheit, so dass hier die Freiheitsrechte der Autofahrer mit dem Versammlungsrecht kollidieren.“

Die Abwägung beider Grundrechte sei für die Auslegung des Strafrechts entscheidend, das Ergebnis offen. „Ich würde davon abraten, sogenannte Klimakleber von der Straße zu zerren und diese zu verletzen. Dass eine solche Straftat durch Notwehr gerechtfertigt ist, ist keineswegs sicher.“ 

Die Notwehr durch Einzelpersonen zur Beseitigung von Straßenblockaden erscheine ihr rechtlich ausgeschlossen, sagte Sonja Eichwede, die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion dem Tagesspiegel. „Die Ordnungsbehörden können best- und schnellstmöglich Straßenblockaden beseitigen. Deswegen sind sie einzuschalten.“

Einzelpersonen könnten sich zwar grundsätzlich gegen gegenwärtige, rechtswidrige Angriffe auf ihre Bewegungsfreiheit im Rahmen der Notwehr wehren dürfen. „Zur Abwehr des Angriffs ungeeignete oder nicht erforderliche Maßnahmen sowie Maßnahmen aus Wut oder Empörung sind jedoch keinesfalls zulässig.“

Und was gilt für die Polizei? Ob sie rechtmäßig handelt, richtet sich nicht nach dem Strafgesetzbuch, sondern nach dem Polizeiaufgabengesetz des jeweiligen Landes.

Der Polizei wird darin stets ein eigener Ermessensspielraum eingeräumt. Auf einem Video im Netz ist das Gespräch eines Berliner Polizisten mit einer Aktivistin zu hören, die sich am 9. November auf der Danziger Straße in Prenzlauer Berg festgeklebt hatte. Der Beamte kündigt darin an, unmittelbaren Zwang anzuwenden, wenn sie nicht freiwillig aufstehe und mit ihm mitgehe, das werde „wehtun“. Die Demonstrantin entgegnet, sie würde sich „wegtragen lassen“. Das werde nicht funktionieren, erwidert der Polizist.

Polizei wird zu hartes Vorgehen vorgeworfen

Stattdessen werde er einen „Handbeugehebel“ ansetzen, das werde am Handgelenk „unfassbare Schmerzen auslösen“ und „sehr wehtun“, ob sie nicht freiwillig mitkommen wolle. Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main sieht darin den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. „Wegtragen gilt als milderes Mittel vor Gewalt und Schmerzzufügung“, sagte er dem Tagesspiegel. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend, dass zur Auswahl des geeigneten Mittels unter mehreren gleich geeigneten und rechtstaatlichen möglichen Mitteln das entsprechend mildeste Anwendung findet, gebe es kein „erstes Mittel der Wahl“, mithin keinen Anspruch weggetragen zu werden, heißt es dazu von der Polizei Berlin. Es finde immer eine Einzelfallbetrachtung statt.

Blockierende Personen würden zunächst angesprochen und aufgefordert, sich von der Straße bzw. Kreuzung zu entfernen. Anschließend würden Zwangsmaßnahmen angedroht, die nach Prüfung des jeweiligen Einzelfalls angemessen, erforderlich und geeignet seien, um das polizeiliche Ziel, die Beendigung der Verkehrsbehinderung, durchzusetzen. „Der in der Videosequenz als Zwangsmaßnahme angedrohte Handbeugetransporthebel ist eine polizeilich geschulte, kontrollierte Transporttechnik, die durch einzelne Dienstkräfte erfolgt.“

In der jeweiligen Situation sei es Aufgabe der Polizei, eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen zwischen dem Versammlungsrecht und möglicherweise durch bestimmte Aktionsformen entstehende Gefahren, sagte Irene Mihalic, erste parlamentarische Geschäftsführerin der Bundesfraktion der Grünen dem Tagesspiegel.

Den konkreten Fall möchte sie nicht bewerten, in der Regel gelte jedoch: „Wenn die Polizei sagt: Das Gefahrenpotential überwiegt, kann sie zur Auflösung der Versammlung unmittelbaren Zwang anwenden, nach strengen rechtsstaatlichen Maßstäben.“

Dort wo Klimademonstrierende sich oder andere gefährdeten, müsse die Polizei nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit durchgreifen, sagte Manuel Höferlin, der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion dem Tagesspiegel.

Im Normalfall reiche, es die Demonstranten loszulösen und davonzutragen. Gewaltsames Vorgehen gegen ansonsten friedlich Demonstrierende halte er für unangebracht, ebenso wie eine Präventivhaft. „Kleben und kleben lassen, dort wo es niemandem schadet, beispielsweise auf Plätzen außerhalb des Straßenverkehrs.“

„Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Es ist daher Aufgabe der Polizei, die Straßenblockaden der selbst ernannten Klimaschützer aufzulösen“, sagt Andrea Lindholz, die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Ich rate daher dringend davon ab, als betroffener Autofahrer selbst gegen Blockierer tätig zu werden, indem man zum Beispiel versucht, festgeklebte Aktivisten wegzutragen.“ Als Zivilist:in laufe man Gefahr, dafür selbst rechtlich belangt zu werden.

Deutlich strenger als im Rest Deutschlands kann in Bayern gegen die Aktivist:innen vorgegangen werden: In den vergangenen Wochen hat die bayerische Polizei 33 Klimaaktivist:innen in längerfristigen Gewahrsam genommen.

33
Klimaaktivist:innen wurden in Bayern in Präventivgewahrsam genommen.

Die Staatsregierung hatte die Möglichkeit, Klimaaktivisten einen Monat lang präventiv in Gewahrsam zu nehmen, zuletzt als Akt einer wehrhaften Demokratie verteidigt. „Präventivmaßnahmen sind notwendig, um Straftaten, die angekündigt werden, die offenkundig kurz bevorstehen, zu verhindern“, sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU).

Seit Wochen sorgen die Aktivist:innen der „Letzten Generation“ für Aufsehen. Auslöser für die verstärkte Aumerksamkeit war der Verkehrsunfall Anfang November, bei dem eine Radfahrerin getötet wurde. Hätte sie gerettet werden können, wenn das Rettungsfahrzeug nicht durch die Blockade aufgehalten worden wäre? Das ist weiterhin unklar. Dennoch hat sich der Ton in der Debatte um die Bewegung verschärft, wie es scheint, irreversibel.

Doch trotz oder gerade wegen des starken Gegenwindes, die Aktionen gehen weiter: Am Montag hatte ein Aktivist ein mit Glas geschütztes Gemälde von Gustav Klimt im Wiener Leopold Museum mit Öl angeschüttet. Am Mittwoch wurden in Berlin wieder Kreuzungen blockiert. Die Demonstrierenden trugen Anzüge und zum Teil Masken mit dem Gesicht von FDP-Chef Christian Lindner, die Klima-Politik der Partei bezeichneten sie als Verbrechen.

Zur Startseite