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Abschiebeflug (Symbolbild).

© Julian Stratenschulte/dpa

Gefährder Sami A.: Wenn Rechtsstaat auf Rechtsempfinden trifft

Im Fall Sami A. machen Richter und Politiker sich jetzt gegenseitig Vorwürfe. Ob der Gefährder wirklich zurück nach Deutschland kommt, ist fraglich.

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Der 13. Juli sollte ein guter Tag werden – für den Rechtsstaat, für Bundesinnenminister Horst Seehofer, und auch für den nordrheinwestfälischen Flüchtlingsminister Joachim Stamp von der FDP. Seit Monaten schon redete man darüber, Sami A., der mutmaßliche Ex-Leibwächter Osama bin Ladens, müsse endlich das Land verlassen. Der ausreisepflichtige Gefährder müsse abgeschoben werden. Spätestens seitdem in der „Bild“-Zeitung zu lesen war, A. lebe in Deutschland „entspannt“ von Sozialleistungen, war das dringend. Seehofer machte den Fall zur Chefsache, ließ sich täglich über den Fortgang berichten. Am 13. Juli wurde Sami A. um drei Uhr nachts abgeholt und nach Tunesien ausgeflogen.

Doch ein guter Tag war das nicht. Die Abschiebung war illegal, wie das Oberverwaltungsgericht NRW am Mittwoch noch einmal bestätigt hat. Der Gefährder muss nach Deutschland zurückgeholt werden. „Hier wurden die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet“, kritisierte NRWs ranghöchste Richterin Ricarda Brandts am Donnerstag. Sie sieht das Vertrauensverhältnis zwischen Behörden und Justiz beschädigt – und macht der Politik schwere Vorwürfe. Die Zahl der Verlierer im Fall Sami A. wächst.

Stamp gesteht Fehler ein

Vor allem die Behörde von Flüchtlingsminister Stamp hat sich aus Sicht des zuständigen Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen fragwürdig verhalten. Obwohl die dortigen Beamten den Zeitpunkt des Abschiebefluges kannten, verschwiegen sie ihn dem Gericht. Dieses hatte am 12. Juli entschieden, Sami A. dürfe nicht nach Tunesien abgeschoben werden, weil ihm dort Folter drohe. Da dem Gericht aber der Abschiebeflug und die damit verbundene Dringlichkeit nicht bekannt war, schlummerte der Beschluss in der Poststelle und wurde erst am nächsten Morgen per Fax verschickt. Da saß Sami A. bereits im Flieger.

Aber auch als Sami A. schon tunesischen Boden betreten hatte, hätte man seine Abschiebung noch abbrechen können, bevor man ihn den tunesischen Behörden übergab. Dafür wären etwa 15 Minuten Zeit gewesen. Doch es passierte nicht. Stamp sagte am Donnerstag in einer Stellungnahme, er hätte Sorge gehabt, gegen internationales Recht zu verstoßen. Er gestand aber ein, dass es ein Fehler war, nicht mit anderen Stellen Rücksprache gehalten zu haben. In der Kommunikation mit dem Gericht sieht Stamp bei sich keine Schuld – das Gericht hätte damit rechnen müssen, dass eine Abschiebung jederzeit erfolgen könne.

Sami A. bestreitet, bin Ladens Leibwächter gewesen zu sein

Groß war bei Stamp aber auch der Wunsch, Sami A. endlich loszuwerden. Den Sicherheitsbehörden ist er schon lange als gefährlich bekannt. 1997 war er zum Studium nach Nordrhein-Westfalen gekommen, seine mutmaßlichen Verbindungen zu Al Qaida schon 1999 kamen einige Jahre später im Prozess gegen Mitglieder der Terrorzelle Al Tawhid zur Sprache. Vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht mussten sich von 2004 bis 2005 vier Islamisten verantworten, die Anschläge gegen jüdische Einrichtungen geplant hatten. Sami A. trat als Zeuge auf, wurde aber dann von einem weiteren Zeugen belastet. Dieser berichtete von einer Reise mit Sami A. von Ende 1999 bis Mitte 2000 nach Afghanistan. Dort soll Sami A. in einem Camp von Al Qaida ausgebildet worden und dann in die Leibgarde von Osama bin Laden berufen worden sein. Sami A. bestreitet die Geschichte, das Oberlandesgericht und weitere Gerichte halten sie für wahr. Sami A. sagt, er sei nur als Pilger in pakistanischen Moscheen gewesen.

Die Bundesanwaltschaft ermittelte 2006 gegen Sami A. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, doch die Indizien reichten nicht für eine Anklage. Im selben Jahr verweigerte ihm die Ausländerbehörde Bochum eine weitere Aufenthaltsgenehmigung, Sami A. musste sich fortan jeden Tag bei der Polizei melden. Auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz beobachtete Sami A. weiter. Der Tunesier gilt als Gefährder und wichtige Figur der Salafistenszene. „Er ist einer der Rädelsführer“, sagen Sicherheitskreise. Sami A. sei erst in Köln, dann in Bochum als Prediger aufgetreten und habe Muslime radikalisiert. Es habe zudem Hinweise auf Kontakte zum Umfeld des Predigers Abu Walaa gegeben, er war nach Erkenntnissen der Behörden der Repräsentant der Terrormiliz IS in Deutschland.

Kubicki wirft Seehofer „unglaubliches Versagen“ vor

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, dass Sami A. nun trotz dieser Vergangenheit nach Deutschland zurückgeholt werden soll, gefällt vielen nicht. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel verurteilte sie als „Stück aus dem Tollhaus“. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: „Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen.“ Wegen dieser Äußerung steht Reul nun selbst massiv in der Kritik. Der Richterbund-Vorsitzende Jens Gnisa sagte, es sei „nicht zuträglich“, wenn die unabhängige Justiz durch einen Innenminister angegriffen w erde.

Der FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki warf wiederum Bundesinnenminister Seehofer „unglaubliches Versagen“ vor. Er habe es versäumt, die vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen geforderte Verbalnote herbeizuschaffen, „wonach garantiert wird, dass Sami A. in tunesischen Gefängnissen nicht gefoltert wird“, sagte Kubicki. Wenn der Fall Wasser auf die Mühlen der AfD sei, dann nur, weil die demokratischen Institutionen sich „falsch verhalten haben“.

Es ist für alle Beteiligten peinlich: Ein Gefährder soll das Land verlassen, doch da bei der Abschiebung Fehler gemacht werden, muss er zurückgeholt werden. Und es ist fraglich, ob Sami A. wie von den Richtern angeordnet nach Deutschland zurückkehren kann – in Tunesien laufen gegen ihn ebenfalls Ermittlungen. Dass er Gefährder ist, soll aber ausnahmsweise die Einreise nicht verhindern.

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