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Politik: Wer die Pflege erbt

GELD UND GENERATIONEN

Von Ursula Weidenfeld

Wer ein bisschen nachdenklich veranlagt ist, müsste in den vergangenen Tagen ins Grübeln gekommen sein. Kurz vor Weihnachten urteilte der Bundesgerichtshof, dass die Jüngeren in dieser Gesellschaft nicht nur für die eigenen Kinder und die Eltern einstehen müssen. Auch die finanziellen Ansprüche bedürftiger Schwiegereltern müssen im Notfall erfüllt werden. Ein bisschen länger ist es her, da urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass Familien in der Pflegeversicherung zu entlasten seien. 2,50 Euro mehr im Monat will die Bundesregierung nun Kinderlosen abknöpfen – weil die ja nichts dafür tun, die eigene Pflege im Alter zu finanzieren.

Das alles ist für sich genommen nicht dramatisch. Vielleicht geht es nicht einmal um große Summen. Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass künftig jeder für die Pflegekosten seiner Schwiegereltern bezahlen muss. Aber: Wer bisher geglaubt hat, es reiche, in die Rentenversicherung einzuzahlen und privat für das eigene Alter zu sparen, hat sich getäuscht. Die höchsten Gerichte setzen den Generationenvertrag zwangsweise wieder ein. Jenen Kontrakt, den die heute 35- bis 55-Jährigen gekündigt haben, weil sie zu wenig oder gar keine Kinder bekommen haben. Und von dem sie glaubten, sie hätten sich durch horrende Sozialabgaben an den Staat freigekauft.

Die Gerichte räumen mit allen Scheingewissheiten auf, mit denen die heute erwerbstätige Generation sich selbst beruhigt hatte: Es werde schon reichen, in die staatliche Rentenversicherung einzuzahlen, um den Lebensstandard der heute Alten zu sichern. Das Vermögen der eigenen Eltern oder Schwiegereltern müsse doch genügen, um die Heimkosten zu bezahlen – und vielleicht bleibt ja sogar ein Erbe übrig. Der Staat könne wohl nicht auf die eigenen Vermögen und den eigenen Wohlstand zulangen. Keinesfalls aber dürfe er die aktive Erwerbsbevölkerung ermuntern, Rücklagen für das Alter zu bilden – um ihr das Geld dann im Namen der Alten wieder abzuknöpfen.

Er wird, er kann, er darf, er muss. Und er hat Recht damit. Es ist völlig klar, dass die Generation der heute Erwerbstätigen für ihre Eltern und Schwiegereltern einstehen muss. So hart es klingt und so unbefriedigend es ist, ausgerechnet die Politiker als ehrliche Makler vorgestellt zu bekommen, die die Reform der Altersversicherung vernachlässigt haben: Es ist nicht nur richtig, es ist auch gerecht.

Nur sind Gerechtigkeit und Rationalität nicht mehr dasselbe. Auch gute Menschen fragen sich, was für sie am Ende herauskommt. Und Kinderlose fragen eben anders als Familienväter und -mütter. Natürlich sind die Bindungen an die eigenen Eltern für alle Kinder vor allen Dingen emotional. Und jeder, der ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat, wird gern für sie einstehen, unabhängig davon, ob er selbst Kinder hat oder nicht.

Aber Eltern handeln auch rational, wenn sie für ihre Eltern und Schwiegereltern sorgen. Sie haben gute Aussichten, dass der eigene Nachwuchs einer solchen Verpflichtung eher nachkommen wird, wenn sie selbst sich nicht verweigert haben. Nüchtern betrachtet, sind Betreuungsleistungen für sie eine Investition in das eigene Alter. Kinderlose aber fragen zu Recht, was sie davon haben, wenn sie über das bisherige Maß hinaus für die Eltern- und Großelterngeneration sorgen. Sie handeln rational, wenn sie mehr Geld für sich zurücklegen – oder möglichst viel Wohlstand vor dem Zugriff Dritter in Sicherheit bringen. Deshalb sind die jüngsten Urteile zu den Pflegekosten so riskant: Wenn der Staat den Generationenvertrag privatisiert, muss er dafür sorgen, dass es auch für Kinderlose einen Grund gibt, ihn zu bedienen. Nur mit Zwang wird ihm das auf die Dauer nämlich nicht gelingen.

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