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Das Bundesverfassungsgericht hat sich für das Verfahren neun Jahre Zeit genommen.

© Uli Deck/dpa

Kindergeld für Nicht-EU-Ausländer: Wie der Staat Geflüchteten jahrelang Unrecht tat

Eltern mit humanitären Aufenthaltstiteln bekamen nur Leistungen, wenn sie in den Jobmarkt integriert waren. Das war falsch, urteilt das Bundesverfassungsgericht.

Vielen Ausländerinnen und Ausländern aus Staaten außerhalb der EU ist das Kindergeld über Jahre zu Unrecht verweigert worden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch verkündeten Beschluss entschieden und eine Regelung im Einkommensteuergesetz für nichtig erklärt, weil sie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel drei des Grundgesetzes verstößt.

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Die Regelung sieht vor, dass Staatsangehörige der meisten Nicht-EU-Staaten, denen der Aufenthalt in Deutschland aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erlaubt ist, nur dann einen Anspruch auf Kindergeld haben, wenn sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und zusätzlich bestimmte Merkmale der Arbeitsmarktintegration erfüllen: Entweder müssen sie im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sein, Arbeitslosengeld I beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen.

Die Regelung wurde 2020 korrigiert

Die Regelung galt seit 2006 und wurde im Jahr 2020 korrigiert, der Gesetzgeber verzichtete damals auf das Merkmal der Arbeitsmarktintegration; zuvor bestandskräftig ausgestellte Bescheide nach der alten Rechtslage werden allerdings auch nach dem Beschluss des Gerichts nicht aufgehoben. Der Fall kam über ein Finanzgericht nach Karlsruhe, das bereits im Jahr 2013 vier Verfahren ausgesetzt und dem Verfassungsgericht vorgelegt hatte. Geklagt hatten Frauen aus Russland, Vietnam und Iran sowie ein Palästinenser.

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Die Vorschrift sollte eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ abwehren, wie sie jahrelang heftig in der politischen Diskussion war. Ihr lag der Gedanke zugrunde, dass nur dauerhaft in Deutschland lebende Ausländer Kindergeld beziehen sollten.

Diese Zielrichtung billigte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss auch ausdrücklich. Nach Ansicht des Zweiten Senats bewirkt die konkrete Regelung aber eine Ungleichbehandlung zwischen Teilgruppen von Ausländern mit humanitärem Aufenthaltstitel. Hier habe nur Kindergeld erhalten, wer in den Arbeitsmarkt integriert sei. Der Wegfall würde auch nicht durch andere Sozialleistungen kompensiert, urteilten die Richterinnen und Richter. Denn Ausländer könnten über eigenes Vermögen verfügen und daher, wie Deutsche, vom Bezug von Unterstützungsleistungen ausgeschlossen sein.

Die Ungleichbehandlung ist nicht zu rechtfertigen, urteilen die Richter

Die Ungleichbehandlung sei auch nicht zu rechtfertigen. Die Integration in den Arbeitsmarkt als solche sei ein ungeeignetes Kriterium für eine Differenzierung. Gerade bei humanitären Aufenthaltstiteln hänge die Bleibedauer von äußeren Umständen wie der Situation in den Herkunftsstaaten ab. Es lasse sich nicht daraus schließen, dass Betroffene nur kurz in der Bundesrepublik blieben.

Es werde ihrer tatsächlichen Situation zudem nicht gerecht, wenn sie schon bei einer kurzen Bezugsdauer von Arbeitslosengeld II vom Kindergeldbezug dauerhaft ausgeschlossen würden. Der Gesetzgeber habe sich hier fehlerhaft einen „atypischen Fall“ als Leitbild gewählt.

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