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Ursula von der Leyen am 14. September bei ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union.

© REUTERS/Yves Herman

Von der Leyens Rede zur Lage der EU: „Putin wird scheitern, Europa wird siegen“

Der Ukraine-Krieg und hohe Energiepreise setzen Wirtschaft und Verbraucher unter Druck. Gegenmaßnahmen stellte die Chefin der Europäischen Kommission nun vor.

Angesichts galoppierender Energiepreise und des Kriegs in der Ukraine skizzierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an diesem Mittwoch ihre Ideen für die kommenden Monate.

In ihrer jährlichen Rede zur Lage der Europäischen Union machte die 63-Jährige unter anderem Vorschläge, wie Europas Bürgerinnen und Bürger trotz hoher Strompreise durch den Winter kommen können. Zugleich sicherte die deutsche Politikerin der von Russland angegriffenen Ukraine anhaltende Unterstützung zu. „Ich stehe hier mit der Überzeugung, dass mit Mut und Solidarität Putin scheitern und Europa siegen wird“, fügte sie mit Blick auf den russischen Präsident Wladimir Putin hinzu. 

Um den Schulterschluss mit dem Land zu bekräftigen, war die ukrainische First Lady Olena Selenska als Ehrengast im Straßburger Europaparlament anwesend.

Die Rede zur Lage der Union wird jedes Jahr im September vom EU-Kommissionspräsidenten oder der -präsidentin gehalten. Sie ist an die amerikanische Rede zur Lage der Nation angelehnt, die als eine der wichtigsten Reden des US-Präsidenten gilt.

Von der Leyen schlägt Übergewinnabgaben für Energiefirmen vor

Zur Entlastung der Verbraucher sollen übermäßige Gewinne von Energiefirmen in der EU künftig abgeschöpft und umverteilt werden. Von der Leyen kündigte einen Gesetzesvorschlag gegen die hohen Energiepreise an, der sowohl Produzenten von erneuerbarem Strom als auch Gas- und Ölkonzerne treffen würde.

„Unser Vorschlag wird mehr als 140 Milliarden Euro für die Mitgliedstaaten bringen, um die Not unmittelbar abzufedern“, sagte von der Leyen. Das Geld werde „denjenigen zugute kommen, die es am meisten brauchen“.

Der Strompreis wird derzeit vom hohen Gaspreis getrieben und auch Produzenten von billigerem Strom – etwa aus Sonne, Wind, Atomkraft oder Kohle – können diesen zu den hohen Preisen verkaufen. Firmen, die Elektrizität nicht aus Gas herstellen, sollen einen Teil dieser Gewinne abgeben.

Laut einem Entwurf sollen Einnahmen ab 180 Euro pro Megawattstunde an den Staat gehen. Aus diesem Geld sollten Entlastungsmaßnahmen finanziert werden. Die Bundesregierung hat ähnliche Maßnahmen unterstützt.

Aber auch Gas- und Ölkonzerne sollten von der Leyen zufolge ihren Beitrag über eine Krisenabgabe leisten. Laut dem Entwurf sollen sie auf Profite des laufenden Jahres, die 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre lagen, eine Solidaritätsabgabe von 33 Prozent zahlen.

Maßnahmen zur Senkung des Stromverbrauchs in der EU

Von der Leyen kündigte zudem Maßnahmen an, um den Stromverbrauch der EU-Länder insgesamt zu senken. Laut dem Entwurf soll der Stromverbrauch zu Spitzenzeiten verpflichtend um mindestens fünf Prozent gesenkt werden.

Dafür sollen die EU-Länder Anreize schaffen. Die EU-Energieminister hatten die Kommission vergangenen Freitag auch dazu aufgefordert, Vorschläge für einen Preisdeckel für Gas sowie für Liquiditätshilfen für Energieversorger vorzulegen.

Von der Leyen kündigte an, dass man Maßnahmen entwickeln werde, die die Besonderheiten der Beziehungen zu Lieferanten berücksichtigten. Zu dem zweiten Punkt sagte sie, dass der Rahmen für staatliche Beihilfen im Oktober geändert werde, um Garantien zu ermöglichen.

Auch an einer langfristigen Reform des Strommarktes werde gearbeitet. Die Minister treffen sich am 30. September erneut in Brüssel um dann über die Gesetzesvorschläge der EU-Kommission zu entscheiden.

Sanktionen gegen Russland sollen bleiben

Russland kann nach den Worten von Ursula von der Leyen auf absehbare Zeit nicht mit einer Aufhebung der EU-Sanktionen rechnen. „Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, dass die Sanktionen von Dauer sein werden“, sagte die Deutsche.

Moskau trage die Verantwortung dafür, dass die russische Wirtschaft den Anschluss verliere. „Dies ist der Preis für Putins Spur des Todes und der Vernichtung.“

Die Strafmaßnahmen der EU gegen Russland seien die schärfsten Sanktionen, die die Welt je gesehen habe. Zudem sagte von der Leyen, Europa habe seit dem ersten Tag an der Seite der Ukraine gestanden und werde dies auch auf lange Sicht tun.

Mit Waffen, finanzieller Unterstützung und der Aufnahme von Flüchtlingen habe man dem Land geholfen. „Bislang hat Team Europa finanzielle Hilfe von mehr als 19 Milliarden Euro bereitgestellt“, sagte von der Leyen. Dabei sei militärische Unterstützung noch nicht mit eingerechnet.

Ursula von der Leyen ist sich sicher, dass sich die Ukraine gegen Russland behaupten kann. Russlands Präsident Wladimir „Putin wird scheitern, die Ukraine und Europa werden sich durchsetzen“, sagt von der Leyen.

Von der Leyen reist heute nach Kiew und trifft Selenskyj

Ursula von der Leyen will noch heute nach Kiew reisen und sich dort mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen. Die Politikerin sagte, sie wolle bei dieser Gelegenheit „mit der Ukraine darauf hinarbeiten, einen nahtlosen Zugang zum Binnenmarkt zu gewähren – und umgekehrt“.

Dies wolle sie „im Detail mit Präsident Selenskyj“ besprechen. In ihrer mit Applaus bedachten Rede im Europaparlament dankte von der Leyen Selenskyj und seiner Frau Olena für ihren Einsatz.

Sie hätten ihrem Volk im russischen Angriffskrieg eine Stimme und der ganzen Welt Hoffnung gegeben, sagte von der Leyen an Olena Selenska gewandt. Europa wolle „Putin mit Mut und Solidarität zum Scheitern bringen“, so von der Leyen.

100 Millionen für Wiederaufbau von Schulen in Ukraine

Die Ukraine soll 100 Millionen Euro zum Wiederaufbau von zerstörten Schulen im Land von der Europäischen Union erhalten. „Denn die Zukunft der Ukraine beginnt in ihren Schulen“, sagte von der Leyen. Die Angriffe Russlands haben ihren Angaben nach mehr als 70 Schulen in der Ukraine zerstört.

Der Wiederaufbau des Landes werde massive Ressourcen benötigen. „Wir werden uns auch auf lange Sicht engagieren“, kündigte von der Leyen an. Sie betonte den Mut der ukrainischen Nation bei seiner Verteidigung gegen Russland.

Von der Leyen werde beim Wiederaufbau der Schulen mit Olena Selenska zusammenarbeiten, sagte sie. „Meine liebe Olena Selenska, es bedurfte ungeheuren Muts, sich der Grausamkeit Putins zu widersetzen, aber ihr habt den Mut gefunden.“

„Die bevorstehenden Monate werden nicht leicht“

Ursula von der Leyen hat die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs auf schwere Monate eingeschworen. „Die bevorstehenden Monate werden nicht leicht“, sagte die deutsche Politikerin. „Weder für Familien, die nur schwer über die Runden kommen, noch für Unternehmen, die schwierige Zukunftsentscheidungen treffen müssen.“

Es stehe nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Europa und die ganze Welt viel auf dem Spiel. „Wir werden auf die Probe gestellt werden“, sagte von der Leyen. Russlands Krieg sei nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine.

„Dies ist ein Krieg gegen unsere Energieversorgung, ein Krieg gegen unsere Wirtschaft, ein Krieg gegen unsere Werte und ein Krieg gegen unsere Zukunft.“ Autokratie kämpfe gegen Demokratie.

Anrufe ohne Mehrkosten in die Ukraine sollen ermöglicht werden

Ursula von der Leyen will Anrufe und SMS ohne Zusatzkosten in die Ukraine ermöglichen. Konkret sagte sie, dass die Ukraine in die EU-Zone für kostenloses Roaming aufgenommen werden soll. Damit wäre es für ukrainische Mobilfunkkunden möglich, auch ohne Zusatzkosten in der EU mobil im Netz zu surfen.

Gleiches würde für EU-Verbraucher gelten, die in der Ukraine unterwegs sind. Innerhalb der EU ist Roaming seit Jahren kostenlos.

Die Nutzung der eigenen Handys im EU-Ausland ohne zusätzliche Kosten ist eine der beliebtesten Erfolge der Europäischen Union. Erst Ende vergangenen Jahres hatte man sich darauf verständigt, die Regeln weitere zehn Jahre anzuwenden und sogar auszuweiten.

Von der Leyen warnt vor Abhängigkeit von China

Von der Leyen warnt vor einer zu großen Abhängigkeit Europas von China. Die Volksrepublik dominiere den Markt für Seltene Erden mit einem Anteil von 90 Prozent, den für Lithium mit 60 Prozent. Erforderlich sei, dass die EU ihre Partnerschaften mit demokratischen Staaten ausbaue, betont von der Leyen.

Die EU-Kommission werde sich daher dafür einsetzen, die Handelsabkommen mit Chile, Mexiko und Neuseeland zu ratifizieren, und mit Australien und Indien entsprechende Verhandlungen voranzutreiben.

Mehr Löschflugzeuge zur Bekämpfung von Waldbränden

Angesichts der verheerenden Waldbrände in ganz Europa im Sommer hat Ursula von der Leyen eine Verdopplung von Brandbekämpfung aus der Luft angekündigt.

„Die Europäische Union wird ihre Flotte um zehn leichte Löschflugzeuge und drei zusätzliche Hubschrauber erweitern“, sagte sie. Europa brauche mehr Kapazitäten, um auf die immer häufiger und intensiver hereinbrechenden Naturkatastrophen reagieren zu können.

So seien in diesem Jahr etwa Löschflugzeuge aus Griechenland, Schweden und Italien nach Frankreich und Deutschland geschickt worden, um Waldbrände zu löschen. Diesen Sommer brannten in Deutschland viele Wälder etwa im Harz und in der Sächsischen Schweiz.

Von der Leyen: Müssen gezielter Fachkräfte aus dem Ausland anwerben

Die Europäische Union muss den Fachkräftemangel nach Ansicht von Ursula von der Leyen stärker mit Hilfe aus Drittstaaten angehen. „Wir müssen gezielter Fachkräfte aus dem Ausland anwerben“, sagte sie in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union am Mittwoch in Straßburg.

Zwar sei die Zahl der Arbeitslosen so niedrig wie nie, die Zahl der offenen Stellen aber auf Rekordniveau. Die Qualifikationen von Menschen aus dem Ausland müssten schneller anerkannt werden, sagte die deutsche Spitzenpolitikerin.

„Das ist die Möglichkeit, Europa attraktiver zu machen für alle, die etwas können und die sich einbringen wollen.“ Zudem schlug sie vor, dass die EU das Jahr 2023 zum Jahr der Aus- und Weiterbildung erklären sollte.

Mehr Flexibilität beim Schuldenabbau

Die geplante Reform der EU-Schuldenregeln soll nach dem Willen von Ursula von der Leyen für mehr Flexibilität beim Abbau von Schulden sorgen. „Im Oktober werden wir neue Vorschläge für unsere wirtschaftspolitische Steuerung vorlegen“, sagte von der Leyen.

Neben mehr Flexibilität solle es aber auch eine größere Rechenschaftspflicht geben, wenn es um das Erreichen der vereinbarten Ziele gehe. „Es sollte einfachere Regelungen geben, die alle befolgen können“, sagte von der Leyen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt schreibt den Staaten Obergrenzen vor.

EU-Länder sollen nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung an Schulden aufnehmen. Haushaltsdefizite sollen bei drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedeckelt werden. Die Regeln wurden in der Vergangenheit teils nicht konsequent durchgesetzt und sollen reformiert werden.

Da viele Staaten während der Corona-Krise enorme Schulden aufnehmen mussten, wurden die Regeln ausgesetzt. Auch wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs sollen sie erst ab 2024 wieder vollständig gelten. (dpa/Reuters/AFP)

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