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Verhandlungsführer Anja Siegesmund (Grüne), Susanne Hennig-Wellsow (Linke) und Andreas Bausewein (SPD, von links): Begriff "DDR-Unrechtsstaat" soll in die Präambel des Koalitionsvertrages

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Rot-Rot-Grün für Thüringen: Wie viel DDR-Unrecht darf's sein?

Linke, SPD und Grüne kommen bei ihren Gesprächen zur Bildung einer Landesregierung für Thüringen voran. Doch um den Begriff "DDR-Unrechtsstaat", der in die Präambel des Koalitionsvertrags soll, gibt es Streit.

Von Matthias Meisner

Gegen das geplante Bekenntnis einer rot-rot-grünen Regierung in Thüringen zur DDR als "Unrechtsstaat" regt sich Widerstand in der Linkspartei. Zum Wortführer der Kritiker macht sich die Kommunistische Plattform (KPF), die vor einem "Kotau" warnte, um einen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu ermöglichen. Auch in der thüringischen Landespartei gibt es Vorbehalte gegen die Verständigung in der Sondierungsrunde auf ein gemeinsames Papier zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Auch Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi hält den Begriff für falsch.

Die Verhandler von Linkspartei, SPD und Grünen hatten sich in ihrer Sondierungsrunde am Dienstag auf Eckpunkte zum Thema verständigt, in denen es heißt: "Die DDR war eine Diktatur, kein Rechtsstaat." Die Aufarbeitung der SED-Diktatur sei "weder überflüssig noch rückwärtsgewandt". In dem Papier heißt es: "Weil durch unfreie Wahlen bereits die strukturelle demokratische Legitimation staatlichen Handelns fehlte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ein Ende haben konnte, wenn es einer der kleinen oder großen Mächtigen so wollte, weil jedes Recht und Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat." Kurzgefasst: Auch die Linke in Thüringen lässt sich auf den Begriff ein, weil Wahlen unfrei waren, die Justiz politisch und Willkür herrschte.

Kommunistische Plattform warnt vor Kotau

Die Kommunistische Plattform in der Linkspartei, deren Wortführerin lange Jahre die heutige stellvertretende Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht gewesen ist, erklärte dazu, der Wahlerfolg der Linken in Thüringen sei nicht zuletzt Genossen zu verdanken, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR "mit Überzeugung für eine nicht vom Kapital dominierte Gesellschaft" gearbeitet hätten. "Nun sollen sie akzeptieren, dass sie nützliche Idioten in einer Art illegitimen Bananenrepublik gewesen sind." Wagenknecht selbst hat die SPD in Thüringen nach der Landtagswahl zum Regierungswechsel ermuntert.

Die Beschreibung der DDR, die in die Präambel des Thüringer Koalitionsvertrages aufgenommen werden solle, sei "durch und durch denunziatorisch", so die KPF weiter. Es handele sich nicht um Kritik an der DDR, "sondern die diffamierende Absage an die Legitimität ihrer Existenz von Anbeginn". In der Erklärung, für die Bundessprecherrat und Landessprecherrat der Kommunistischen Plattform verantwortlich zeichnen, wird betont, ein solcher Umgang mit "unserer Geschichte" sei eine demütigende Zumutung nicht nur für Thüringer Linkspartei-Mitglieder, sondern auch für deren "ungezählte" Wähler. "Noch ist es Zeit, von dieser Art des Umgangs mit der Geschichte Abstand zu nehmen und sich auf das Parteiprogramm der Linken zu besinnen. Wir erwarten vom Thüringer Landesvorstand und von der Landtagsfraktion der Linken, auf den für den Koalitionsvertrag geplanten Kotau zu verzichten."

"Neues Deutschland": Bigotte Geste

Auch die thüringische Linken-Landtagsabgeordnete Ina Leukefeld kritisierte die Übereinkunft der drei potenziellen Koalitionspartner zum Thema DDR-Unrecht. Sie postete am Donnerstag auf Facebook einen Kommentar des parteinahen "Neuen Deutschlands", in der das Bekenntnis zur DDR als "Unrechtsstaat" als "bigotte Geste" bezeichnet wird. "Sorry, aber so ist es!", schrieb Leukefeld in dem Netzwerk. In dem "ND"-Kommentar heißt es: "Das Problem ist, dass die DDR kein Unrechtsstaat war, obwohl es Unrecht gab und nicht zuletzt staatliches." Doch bediene die Thüringer Linke vor allem nun "alle Vorurteile, was ihre Bereitschaft angeht, Prinzipien für Macht zu opfern. Ein schlechtes Omen."

Die Wortmeldung von Leukefeld hat besondere Bedeutung, weil sie wegen ihrer früheren Tätigkeit im DDR-Sicherheitsapparat - sie arbeitete für das Kommissariat I der DDR-Kriminalpolizei - zu den Personen gehört, die keine Position in der Regierung übernehmen soll. Die thüringische Vorsitzende der Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow rügte Leukefeld, Facebook sei eine "denkbar ungünstige Variante, dieses wichtige Thema verkürzt zu diskutieren". Leukefeld versicherte anschließend, auch sie sei "für erfolgreiche Verhandlungen". Der Linke-Landtagsabgeordnete Frank Kuschel, früherer Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, twitterte: "Bekenntnis der Thüringer Linken zum DDR-Unrecht ist notwendig und richtig. Zukunft gestalten geht nur nach Bekenntnis zur Vergangenheit."

Bodo Ramelow
Bodo Ramelow, Linke-Kandidat für Ministerpräsidentenamt: In der DDR gab es schreiendes Unrecht

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Die Einigung zwischen Linkspartei, SPD und Grünen in Thüringen sieht nicht nur vor, dass Personen, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet haben, von Regierungsposten ausgeschlossen sind. Darüber hinaus heißt es: "Ebenso sollen Menschen, die leugnen, dass die DDR kein Rechtsstaat war, keine Verantwortung in der gemeinsamen politischen Arbeit für Thüringen wahrnehmen."

Der Begriff "DDR-Unrechtsstaat" tauchte bereits 2009 in einem gemeinsamen Papier von Grünen und Linkspartei aus den damaligen Sondierungsgesprächen auf. Ramelow selbst, Spitzenkandidat der Linken bei den Wahlen 2009 und 2014, hatte ihn immer vermieden, es sei ein "nicht justiziabler Begriff". Er versichert allerdings, schon 2009 von "schreiendem Unrecht" in der DDR gesprochen zu haben.

Gysi: Der Begriff "DDR-Unrechtsstaat" ist falsch

Auch der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, hat Einwände gegen den Begriff "DDR-Unrechtsstaat". Nach der Verständigung in Thüringen erklärte er: "Es gab in der DDR Unrecht, aber sie war kein Unrechtsstaat." Und weiter: "Meine Auffassung bleibt, dass der Begriff falsch ist." Im MDR sagte Gysi, er werde den Begriff nicht verwenden. Die Bildung dieses Staates sei "kein Unrecht", doch anschließend sei "viel Unrecht geschehen". Die DDR Unrechtsstaat zu nennen hieße, der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg das Recht zur Gründung der DDR abzusprechen, "das können wir uns schon aus historischen Gründen nicht leisten". Er betonte: "Aber wir müssen immer klar sagen: Es gab Unrecht."

Dagegen hatte Linken-Parteichefin Katja Kipping die Verständigung in Erfurt begrüßt. Sie sagte der "Mitteldeutschen Zeitung": "Es ist richtig, dass sich Rot-Rot-Grün dem Thema stellt. Wir wollen Thüringen regieren, und Bodo Ramelow muss als Ministerpräsident für das ganze Thüringen sprechen, auch für diejenigen, die in der DDR Opfer staatlichen Unrechts wurden." Damit werde "keine Biografie entwertet und kein Pauschalurteil gefällt". Kipping fügte hinzu: "Rot-Rot-Grün wird der Aufarbeitung einen qualitativen Schub verleihen und eine neue Kultur des Miteinanders etablieren. Aufarbeitung muss Brücken bauen."

Linke, SPD und Grüne für kostenfreies Kita-Jahr

In einer dritten Sondierungsrunde am Donnerstag haben Linke, SPD und Grüne Fortschritte bei Bildungs- und Sozialthemen erzielt. Die Parteien verständigten sich unter anderem auf ein gebührenfreies Kita-Jahr. Im Gegenzug soll das Landeserziehungsgeld abgeschafft werden, wie Linken-Chefin Hennig-Wellsow nach den siebenstündigen Beratungen sagte. "Sie sehen uns erschöpft, aber alle ziemlich glücklich." Die drei Parteien hätten sich in vielen Bereichen verständigt, erklärte der Verhandlungsführer der SPD, Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein.

Dazu gehörten die Einstellung von jährlich 500 Lehrern, ein Schulsanierungsprogramm, Regelungen für Bildungsurlaub sowie eine Erhöhung der Jugendpauschale. Das vierte Treffen zur Bildung der möglicherweise ersten rot-rot-grünen Landesregierung, bei dem es um Umwelt, Naturschutz und Energiepolitik geht, ist für den 2. Oktober geplant. Die Sozialdemokraten loten parallel mit der CDU Möglichkeiten für eine Fortsetzung der seit 2009 bestehenden schwarz-roten Koalition aus.

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