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Robert Habeck, neben Annalena Baerbock Bundesvorsitzender der Grünen

© Tsp/Mike Wolff

Grünen-Chef Habeck: "Wir müssen den Begriff der Nation zurückerobern"

Grünen-Parteichef Robert Habeck spricht im Interview über Charisma in der Politik, den Kampf gegen die Rechtspopulisten und das Konkurrenzverhältnis zur SPD.

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Herr Habeck, was muss man tun, um als Charismatiker zu gelten?

Ich weiß nicht, was man dafür tun muss. Aber wenn man darüber nachdenkt, was Politik interessant macht, ist es doch so: Wenn Politiker ein Stück von der Rollenerwartung abweichen, dann tritt im System der Mensch hervor. Das macht es dann interessant.

Das heißt, es gibt widersprüchliche Erwartungen an Politiker?

Sicher. Politik ist ein Beruf. Jeder Beruf produziert Bilder. Es gibt eine gewisse Erwartung, wie Politiker zu sein haben, würdevoll, im Anzug, mit Dienstwagen, immer die richtige Antwort dabei. Und andererseits ist da die Hoffnung, dass man doch anders ist, nahbar, eigentlich der Typ von nebenan. Man soll etwas sein und gleichzeitig was anderes. Politik ist also ein ziemliches Spannungsfeld von gegensätzlichen Erwartungen und Zuschreibungen.

Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma?

Gerade wenn Erwartungen so unterschiedlich sind, kann man nur versuchen, nicht drüber nachzudenken, was andere von einem erwarten. Und zusehen, dass man seine eigene Sprache spricht, sich nicht hinter Phrasen versteckt. Wenn ich es doch tue, zieht mir mein Team regelmäßig die Ohren lang. Aber die Gefahr ist riesig: Ständig wird von Politikern erwartet, dass man zu allem und jedem was sagen kann. Und wenn man sagt: Weiß ich nicht, ich muss ein paar Tage nachdenken, kommt das nicht so gut an. Es ist also permanente Arbeit.

Sie werden mit Politstars wie Emmanuel Macron und Justin Trudeau verglichen. Was haben Sie, was andere nicht haben?

(rollt die Augen) Macron steckt im größten Umfragetief seit seiner Wahl. Er kämpft um seine Reformen. Er hat einen Skandal am Hals, weil ein Sicherheitsbeamter auf Demonstranten eingeprügelt hat. Und Trudeau muss innenpolitisch auch ringen, er verliert ebenfalls an Zustimmung. Insofern….

...ist der Vergleich keine Auszeichnung?

Man kann vielleicht vor allem lernen, welche enorme Fallhöhe es gibt. Und dass Politik harte Arbeit ist, die sich täglich beweisen muss. Das ist anstrengend. Aber Demokratie ist nie fertig. Anders als autoritäre Regime, die ihre Macht in Beton gießen wollen.

Ein charismatischer Politiker muss authentisch und einnehmend sein, aber auch machtbewusst. Heißt das Vorbild von Robert Habeck vielleicht Joschka Fischer?

Ach, Vorbilder…Was man sich von Joschka abschauen kann, ist seine kompromisslose Risikobereitschaft. Aber vieles an der Art, wie seine Generation in den 80er und 90er Jahren Politik gemacht hat, ist heute nicht mehr zeitgemäß. Das Modell „Macker“ funktioniert nicht mal mehr in Bayern. Aber Joschka hat immer voll auf eine Karte gesetzt. Das finde ich noch heute beeindruckend.

Die Grünen haben für Sie Dogmen geschliffen. Erstmals stehen mit Annalena Baerbock und Ihnen zwei Realos an der Spitze. Und Sie durften nach Ihrer Wahl zum Parteichef noch mehr als ein halbes Jahr Landesminister bleiben. War das eine Lex Habeck?

Vor allem zeigt es, dass die Partei über ihren Ruf hinausgewachsen ist. Sie hat damit ein deutliches Signal gesendet: Wir haben die Schere – "hier die reine Parteilehre, da die Verantwortung" – geschlossen. Und unsere Flügel sind zum Fliegen da, nicht zum Bremsen.

Die Umfragewerte der Grünen sind gestiegen, dafür blutet die SPD. Ist das Ihr Ziel – die SPD kaputt zu machen?

Wir brauchen eine starke Sozialdemokratie in Deutschland. Unser Ziel ist es, Kraft für eine liberale und ökologische Politik zu sammeln. Deutschland ist in den vergangenen drei Jahren nach rechts gerückt – wir wollen die demokratische Mitte reanimieren.

Was heißt es denn konkret, wenn Sie die Grünen zur führenden Kraft der linken Mitte machen wollen?

Politik ist keine Mengenlehre. Mitte ist da, wo sich die Mehrheit bildet. Es geht also darum, die Mitte wieder in Richtung liberale Demokratie, progressive und ökologische Politik zu schieben. Wir wollen die Positionen der Grünen mehrheitsfähig machen. Das ist eine Ansage an die Angstmacher und eine Einladung an die Mutlosen, wieder Mut zu fassen. Wir können die Politik ändern.

Die SPD sieht sich als "Schutzmacht der kleinen Leute". Wollen die Grünen das nun auch noch übernehmen?

Ich mag es nicht, wenn man von "kleinen Leuten" spricht.

Robert Habeck (48) ist seit Ende Januar neben Annalena Baerbock Chef der Grünen.
Robert Habeck (48) ist seit Ende Januar neben Annalena Baerbock Chef der Grünen.

© Mike Wolff

Was ist so schlimm an dieser Bezeichnung?

Wenn man Menschen mit Begriffen abwertet und zu Abgehängten erklärt, fühlen sie sich ausgegrenzt. "Kleine Leute" erweckt den Eindruck, als ob diejenigen, die gemeint sind, keine vollwertigen Bürger wären, die die gleiche Anerkennung verdienen wie alle anderen. Darum geht es doch im Land: die Suche nach Anerkennung. Zu viele haben das Gefühl, sie nicht mehr zu bekommen. In diese Lücke stoßen dann die Rechtspopulisten rein.

Dann fragen wir anders: Können die Grünen die Rolle der SPD als soziale Schutzmacht übernehmen?

Wir arbeiten daran, den sozialen Zusammenhalt neu zu begründen. Dass uns der Ruf nachhängt, wir seien eine Milieupartei und uns sei das Soziale egal, ärgert mich. Annalena und ich haben uns vorgenommen, dieses Klischee zu brechen.

Ist es denn völlig falsch, dass sich bei den Grünen vor allem die Gewinner der Globalisierung sammeln?

Jede Partei hat Mehrheiten bei bestimmten Gruppen. Aber wir fassen permanent Beschlüsse gegen die Interessen unserer Wähler – so wollen wir zum Beispiel Vermögens- und Erbschaftssteuern, wir wollen Kerosin besteuern und das Fliegen teurer machen, bezahlbaren Wohnraum schaffen, Hartz IV hinter uns lassen… Man kann auch ein Interesse an einer gelingenden Gesellschaft haben. Daraus lässt sich ein Fundament für einen neuen Zusammenhalt legen.

Manchmal hat man den Eindruck, dass Ihrer Partei das Verständnis für Menschen abgeht, die vor Veränderungen Angst haben und deshalb anfällig für Ressentiments sind...

Nein. Wir wissen gut, wie sehr Veränderungen Menschen fordern: Angefangen beim Bau von Stromnetzen, die die Landschaft zerschneiden. Weiter beim Ausstieg aus der Kohle, der die Lebenswelt der Beschäftigten verändern wird. Dann die massiven Veränderungen durch Digitalisierung, Globalisierung, Klimakrise. Das macht vielen Angst. Nur: Wenn die Antwort Hass und Ausgrenzung ist, werden wir dem immer entgegentreten. Man muss den Umbruch gestalten, nicht verneinen. Sonst verliert man.

Sie wollen nicht der Vorsitzende einer Partei moralisierender Besserwisser sein?

Wir stehen für eine liberale Demokratie ein, in der Menschen mit unterschiedlicher kultureller Prägung miteinander leben können. Früher haben wir gesagt, es denken schon so viele Leute grün, jetzt müssen sie nur noch die Grünen wählen. Aber eigentlich geht es mich gar nichts an, was wer denkt. Entscheidend ist, dass wir uns auf gemeinsame Regeln einigen, die möglichst vielen Menschen erlauben, glücklich zu werden.

Ihr Parteifreund, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann, hat neulich gesagt, es gebe auch ein Recht, deutschnational zu sein…

Das Recht gibt es, aber es ist wahrlich nichts, was mir sympathisch ist. Aber wahrscheinlich gibt es umgekehrt viele Menschen, denen ich mit meinen Einstellungen auch nicht sonderlich sympathisch bin. Die Grenze zwischen demokratischem Streit um Mehrheiten und undemokratischer Hetze verläuft da, wo Grundrechte missachtet werden, wo Würde, Freiheit, Gleichheit nicht mehr gelten, wo der Grund und Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen wird. Wenn Pegida-Aktivisten einen Galgen für Kanzlerin Angela Merkel aufstellen, dann sind diese Grenzen überschritten.

Sie sind im Sommer durch Deutschland gereist. Was haben Sie für ein Land erlebt?

Es war brüllend heiß. Die Leute in den Städten litten unter der Hitze, die Böden waren rissig, braun, ausgetrocknet. Die Klimakrise ist konkret spürbar geworden. Meine politische Generation wird daran gemessen werden, ob wir das in den Griff bekommen.

Und wie haben Sie das gesellschaftliche Klima wahrgenommen?

Vor der Reise dachte ich, dass dieses Land gespalten ist: auf der einen Seite jene 15 Prozent, die für eine rechtsnationale, autoritäre Politik mobilisieren, und auf der anderen Seite eine große schweigende Mehrheit. Das Überraschende war, dass die Zeit des Schweigens vorbei ist und es eine Gegenbewegung gibt.

Nämlich?

Wir haben überall Leute getroffen, die für den Erhalt unserer liberalen Republik kämpfen. Unsere Veranstaltungen, Annalenas und meine, waren übervoll. Die Leute suchen Wege, sich einzumischen.

"Des Glückes Unterpfand" – das Motto Ihrer Sommerreise stammt aus der Nationalhymne. Das hätte bei den Grünen früher einen mittleren Aufstand provoziert…

Es war allen klar, dass wir damit der nationalistischen Politik explizit etwas entgegenhalten wollten. Ich bin an Orte der deutschen Geschichte gereist, der Freiheitsbewegungen, der Demokratie, und habe deutsche Symbole zum Thema gemacht. Annalena war an sozialen Brennpunkten unterwegs und in Dörfern, wo kein Bus mehr fährt und kaum noch ein Arzt ist. Die gemeinsame Frage war: Was hält dieses Land, die Gesellschaft zusammen? Wir dürfen das Thema Heimat nicht den Rechten überlassen.

Wenn man den Rechten den Heimatbegriff nicht überlassen darf, warum dann den der Nation?

Ich glaube, dass man auch um den Begriff der Nation kämpfen und ihn zurückerobern muss.

Singen Sie bei der Nationalhymne mit?

Habe ich bisher nur einmal gemacht, auf dem Bauerntag.

War’s schlimm?

Ungewohnt. Aber ich will die Symbole dieses Landes nicht der AfD überlassen. Das Land gehört ihr nicht. Die Fahnen gehören allen, sie sind nicht das Eigentum der Völkischen.

Nation ja, Volk nein?

Wir können nicht so tun, als ob der Begriff unschuldig wäre. Nicht nur wegen der deutschen Geschichte, sondern auch, weil es von rechts das Bestreben gibt, das Wort Volk wieder zu nutzen, um auszugrenzen. Mit der AfD hat das völkische Denken wieder Einzug ins Parlament gehalten. Die Angst vor der AfD bestimmt die Politik der anderen Parteien. Aber diese Angst lähmt jede eigene Kraft, allen Optimismus. Lassen wir sie einfach. Konzentrieren wir uns auf Freiheit und Zukunft. Man sieht ja an der CSU, was passiert, wenn man versucht, selbst die bessere AfD zu sein.

Und trotzdem halten sich die bayerischen Grünen eine Koalition mit dieser CSU offen…

Wir wollen regieren, aber nicht mit dieser CSU.

Das heißt, wenn sich die CSU von Söder trennt, sind die Grünen dabei?

Markus Söder interessiert niemanden bei den Grünen. Aber seit 2015 dominiert in der CSU-Führung das Gerede von Kontrollverlust und Überfremdung. Inzwischen wenden sich sogar CSU-Leute ab, weil ihnen das zu weit geht. In Bayern kann erstmals vielleicht deutlich werden. dass man Wahlen nicht nur rechts, sondern auch in der liberalen Mitte verliert. Und dass die Mehrheit der Leute ein liberales Deutschland will.

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