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Das Rotes Rathaus in Berlin.

© Christophe Gateau/picture alliance /dpa

Grüner Höhenflug in Berlin: Wird das Rote Rathaus demnächst Grün?

Die Hauptstadt-Grünen dominieren in Umfragen. Sie könnten bei der nächsten Wahl den Chefsessel im Rathaus besetzen. Fragen und Antworten vor dem Parteitag.

Von Sabine Beikler

Ach, diese Umfragen! Am liebsten möchten Berliner Grüne gar nicht auf ihre guten Umfragewerte angesprochen werden und wiegeln ab. Das Trauma nach dem Wahldebakel 2011 ist noch nicht bewältigt. Aber der Traum vom Chefsessel im Roten Rathaus ist trotzdem nicht ausgeträumt. Im Gegenteil: Es ist schon sehr verlockend, mit einer noch imaginären Spitzenkandidatin Ramona Pop ins Rathaus zu ziehen, wäre jetzt am Sonntag die Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Aktuell liegen die Grünen laut Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag des Tagesspiegel mit 21,4 Prozent vor den Linken (18,7), der CDU (18,1) und der SPD (16,0). Noch deutlicher fällt der Höhenflug der Grünen bei Infratest dimap im Auftrag von rbb und „Morgenpost“ aus: Dort liegen die Grünen mit 24 Prozent vor den Linken und der CDU mit je 18 Prozent und der SPD mit nur noch 15 Prozent. Erst im Oktober haben die Grünen ihre beiden rot-roten Koalitionspartner hinter sich gelassen.

Was macht die Partei so erfolgreich?

Natürlich profitieren die Berliner Grünen vom bundesweiten Höhenflug nach den erfolgreichen Wahlen in Bayern und Hessen, wo die Partei hinter CSU beziehungsweise CDU auf den zweiten Platz kam. Den Grünen kamen in den Ländern und auch in Berlin die 3 Ds zugute: Dürre im Sommer, Diesel-Affäre und Herr „Drehhofer“, die spöttische Bezeichnung für Noch-CSU-Parteichef und Bundesinnenminister Horst Seehofer. Der Unmut über das Lavieren der großen Koalition bei wichtigen Themen wie in der Maaßen-Affäre befördert das Bedürfnis vieler Wähler nach Glaubwürdigkeit in der Politik. Dafür stehen die Grünen, die selbst häufig von „Haltung“ sprechen. Das neue, unverbrauchte Spitzenpersonal mit Annalena Baerbock und Robert Habeck, der am Sonnabend auf dem Berliner Grünen-Parteitag spricht, hat der Partei Aufwind gebracht. Sie stehen für einen Neuanfang. Das spüren auch die Berliner Grünen bei ihrem Mitgliederzuwachs. Sie können mit dem Bundestrend problemlos mithalten: Gut 70000 Mitglieder haben die Grünen bundesweit. Die Zahl in Berlin stieg in den vergangenen zwei Jahren von 5500 auf aktuell 7086 Mitglieder. Im Oktober traten allein 208 Mitglieder bei den Hauptstadt-Grünen ein.

Wie läuft die grüne Regierungsarbeit?

Sehr durchwachsen. Zwar arbeitet die Doppelspitze im Landesverband, Werner Graf und Nina Stahr, die am Sonnabend wiedergewählt werden soll, ebenso geräuschlos wie die Fraktion des Abgeordnetenhauses. Aber die Grünen stehen unter Druck. Die Umsetzung der postulierten Ziele dauert in den grünen Kernbereichen Umwelt, Verkehr, Energie viel zu lange. Die Performance in der Verkehrspolitik mit Senatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) ist schlecht. Stichwort Mobilitätsgesetz: Der sichtbar langsame Ausbau der Rad-Infrastruktur und das Schau-Radeln von grünen Spitzenpolitikern auf der ersten geschützten Radwegetappe an der Holzmarktstraße hat für Unverständnis in der Koalition und auch in der Partei gesorgt. Wo bleiben Straßenbahn-Ausbau und die elektrische Umrüstung der Flotten? Das Carsharing stagniert, der Einsatz von Elektroautos liegt bei 2100, das Ziel für 2025 heißt 50000. Bis auf den Kohleausstieg fehlt der große Wurf in der Klimapolitik. Der Anteil erneuerbarer Energien stagniert, der Ausbau der Photovoltaik kommt zu langsam voran, und der Heizenergieverbrauch der Gebäude im Wärmesektor sinkt fast gar nicht. Dass viele Spitzenleute Günthers Verwaltung demotiviert verlassen, hat nicht nur mit Arbeitsüberlastung, sondern auch mit dem Führungsstil zu tun.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen),.
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen),.

© Christoph Soeder/dpa

Justizsenator Dirk Behrendt hat nach dem Anfängerfehler mit seiner Forderung nach Unisex-Toiletten sich auf dem Gebiet von Verbraucherschutz und Antidiskriminierung hervorgetan, aber er ist primär Justizsenator mit wichtigen Aufgaben: moderne Software an Gerichten und die E-Akte einführen, für mehr Personal, sichere Knäste und bessere Arbeitsbedingungen für Richter, Staatsanwälte und Justizvollzugsbedienstete sorgen.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop kommt bei der Wirtschaft gut an. Sie legt sich mit Senatskollegen an und verteidigt ausgewiesene Gewerbeflächen wie auf dem Knorrbremse-Areal in Marzahn vor allzu dichter Wohnbebauung. Sie hat ein offenes Ohr, und die gute Konjunktur hilft ihr bei Sympathiewerten. Immerhin laufen bei 66 Prozent der Unternehmen die Geschäfte gut. Aber immer mehr Unternehmen melden Wachstumsrisiken an, weil Flächen, Fachkräfte, Verkehrs- und Digitallösungen fehlen. Die Wirtschaft erwartet vom Senat mehr Engagement beim Aufbau der digitalen Infrastruktur, eine entsprechende Förderung und vor allem eine effektive Steuerung solch gesamtstädtischer Fragen.

Haben sie das Potenzial, die Berliner Regierung zu führen?

Die Grünen müssen in ihren Kernsegmenten Verkehr und Klimaschutz Erfolge präsentieren. Dass man Probleme erkannt hat, sich irgendwo etwas bewegt und für mehr Stadtgrün und Dachbegrünung kämpft, reicht zwei Jahre nach dem Einstieg in Rot-Rot-Grün nicht mehr aus, um die Wähler zu überzeugen. Pop und Behrendt haben nicht die Ressorts mit einer Mega-Ausstrahlung. Und der Chefsitz in der Wirtschaftsverwaltung ist nicht die Position, von der man zwangsläufig auf den Regierungssessel wechselt. Ramona Pop ist Politikprofi, fleißig, pragmatisch und nicht die geborene charismatische Wahlkämpferin an der Spitze. Aber es wird 2021 wohl wieder wie 2016 auf sie hinauslaufen. Die Grünen müssen bis dahin liefern: Das A und O sind Infrastruktur, eine funktionierende Verwaltung und eine bessere Mieten- und Wohnungspolitik. Die Grünen wissen, dass dies den Fortbestand von Rot-Rot-Grün sichert und sie auf jeden Fall mithaften – bei Erfolg und Misserfolg. Eine gewisse Nervosität ist in der Partei bereits zu spüren. Wenn es inhaltlich stagniert und nicht weitergeht, versucht man sich verstärkt mit öffentlichen Auftritten zu verkaufen. Diese „grüne Propaganda“ nervt die SPD und die Linke zusehends.

Haben die Grünen ihre Flügelkämpfe wirklich beendet?

Mit den beiden Parteichefs Habeck und Baerbock vom Realo-Flügel war die Flügelarithmetik durchbrochen. Die Grünen treten derzeit erstaunlich geschlossen auf. Dass die neuen Parteichefs die Frage nach sozialer Gerechtigkeit in den Vordergrund rücken, wird im traditionell linken Berliner Landesverband anerkennend wahrgenommen. Selbst wenn die Kreuzberger Parteilinke eine Flügeldebatte anfangen würde, würde sie derzeit gegen den grünen Mainstream schwimmen. Solche Flügelkämpfe, die nach dem Wahldesaster 2011 in der Fraktion fast zur Spaltung geführt hätten, gibt es in den Auswüchsen nicht mehr. Die Fraktion ist inzwischen mehrheitlich links. Das heißt aber nicht, dass es keine strömungspolitischen Auseinandersetzungen mehr gibt. Die können bei Konflikten zwischen Bezirken, grünen Stadträten und Senatsverwaltungen wieder hoch kommen. Eine Garantie, dass sich die Berliner Grünen nicht wieder in Flügelkämpfe verstricken, gibt es nicht.

Wer könnte ihnen die Führung streitig machen?

Zurzeit die Linke mit dem beliebten Kultursenator Klaus Lederer. Beide Parteien kämpfen darum, zur führenden Kraft der linken Mitte zu werden. Diesen Anspruch müssen die Grünen personell unterfüttern. Ob sie den Kurs der Einigkeit halten, bleibt abzuwarten. Die Linke dagegen steht absolut geschlossen da. Und sie hat den Grünen zehn Jahre rot-rote Regierungsarbeit voraus. Auch die Berliner CDU unter Führung von Kulturstaatsministerin Monika Grütters könnte noch zulegen. Die Würfel in Berlin sind noch nicht gefallen, wie konservativ oder liberal sich die Union in Berlin aufstellt. Von der abgeschlagenen SPD geht derzeit keine Gefahr aus.

Welche Koalition ist in Berlin nach der nächsten Wahl denkbar?

Das ist spekulativ und hängt von den Mehrheitsverhältnissen nach der Wahl 2021 ab. Immerhin hat Rot-Rot-Grün derzeit eine stabile Mehrheit zwischen 55 und 60 Prozent der Berliner Wähler. Rechnerisch reicht es nicht, aber ob Schwarz-Grün theoretisch eine Chance in Berlin hätte, lässt sich nur an Inhalten und den handelnden Personen festmachen. Es wird schwer, diese Koalition der grünen Basis schmackhaft zu machen. Der versuchte Schulterschluss zwischen Grünen und FDP Richtung Jamaika im Bund ist für Berlin derzeit nicht vorstellbar. Die Berliner Grünen misstrauen der FDP. Aber abwarten: Die Grünen haben sich über alte Lagergrenzen hinweggesetzt und propagieren den Kurs der Eigenständigkeit in den Ländern. Das gilt auch für Berlin.

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