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Der behandelnde Arzt Bartley Griffith (links) macht ein Selfie mit dem Patienten David Bennett in Baltimore im Januar 2022.

© Bartley Griffith/University of Maryland Medical Center/AP/dpa

Herztransplantation vom Schwein zum Menschen: Wirkt die Pandemie als medizinischer Fortschrittsbeschleuniger?

In den USA ist es gelungen, ein Schweineherz in einen Menschen einzusetzen. Noch ist das mit Vorsicht zu genießen – doch es keimt Hoffnung auf. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Zuerst haben sie eine Vermutung, eine Idee, eine These. Dann fangen sie an zu experimentieren. Klüger werden sie auf jeden Fall dabei. Denn auch ein Experiment, das misslingt, fördert die Erkenntnis. Sie, das sind Naturwissenschaftler und Mediziner. Ohne ihre Hingabe, Leidenschaft und Ausdauer wäre die Welt ein trauriger Ort.

[Lesen Sie auch: „Großer Schritt für die Xenotransplantation“: Schweineherz erhält erstmals Menschen am Leben (T+)]

In den USA ist es nun erstmals gelungen, ein Schweineherz in einen Menschen einzusetzen. Damit das tierische Organ nicht sofort abgestoßen wird, war es genetisch verändert worden. Der Patient hatte im Sterben gelegen und keine Aussicht auf ein Spenderherz. Drei Tage nach der Operation ging es ihm gut. Wie lange sein Zustand stabil ist, weiß keiner. Details der Operation sind noch in keinem Fachmagazin veröffentlicht worden. In das Glücksgefühl mischt sich folglich ein Quantum Vorsicht.

Auch Kunstherzen werden perfektioniert

Dennoch keimt Hoffnung auf. Viele Menschen warten sehnsüchtig auf ein Spenderorgan. Die Nachfrage übersteigt bei Weitem das Angebot. Schon seit vielen Jahren haben sich Forscher weltweit vernetzt, um mit Hilfe genetischer Modifikationen tierische Organe für den Menschen nutzbar zu machen.

Parallel zu solchen Xenotransplantationen werden Kunstherzen perfektioniert. Sollte sich die am Medical Center der Universität von Maryland angewandte Technik auch langfristig bewähren, bekäme der Ausdruck „Schwein gehabt“ eine zusätzliche Bedeutung.

Im 20. Jahrhundert erweiterte sich das Wissen um die Funktionsweisen des menschlichen Organismus rasant. Innovationen und Revolutionen wechselten einander ab. Ob durch die Entdeckung der Blutgruppen, die Erfindung der Röntgenstrahlen oder die Gewinnung des Insulins: Transfusionen retteten Leben, die medizinische Diagnostik wurde genauer, eine chronische Krankheit wie Diabetes behandelbar. Durch Chemotherapie, Herzschrittmacher und Computertomographie verlängerte sich die Lebenserwartung von Patienten, deren Krankheiten zuvor als unheilbar gegolten hatten.

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Hinzu kam der Segen von Schutzimpfungen. Zumindest in den westlichen Ländern erkranken längst nicht mehr jedes Jahr Millionen Menschen an Diphtherie, Polio, Tetanus, Tollwut, den Masern und der Grippe.

Nun scheint sich die schnelle medizinische Erkenntnisgewinnung im 21. Jahrhundert fortzusetzen. In einer Rekordzeit von weniger als zehn Monaten war es dank der neuen mRNA-Technik gelungen, einen Impfstoff gegen Corona zu entwickeln. Jetzt wird erforscht, ob die Methode auch gegen Allergien, Autoimmunerkrankungen und Krebs erfolgreich sein kann. Wirkt die Pandemie womöglich als Fortschrittsbeschleuniger?

Digitale Gesundheitsdaten müssen verfügbarer sein

Diese Frage wird bereits ausführlich diskutiert, und als Konsens schält sich heraus, was dafür erforderlich wäre: eine noch intensivere internationale Zusammenarbeit, beschleunigte Zulassungsverfahren, mehr Ressourcen, größere Flexibilität und vor allem eine breitere Verfügbarkeit digitaler Gesundheitsdaten.

Im Oktober 1958 hielt Karl Popper, der Doyen der Wissenschaftstheorie, in London eine Rede mit dem Titel „Zurück zu den Vorsokratikern“. Sie ist ein Plädoyer für grenzenlose Neugier und Offenheit. Nur durch das Zusammenspiel von Vermutungen und Widerlegungen vermehre sich die wissenschaftliche Erkenntnis. Dass es manchmal auch einer Pandemie bedarf, hätte Popper wohl eher als Bestätigung denn als Einwand gewertet.

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