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Wirtschaftsweise legen Gutachten vor: Nächste Warnung für die Merz-Regierung?
Am Mittwoch übergeben die Wirtschaftsweisen dem Kanzler ihr Jahresgutachten. Zwar hellen sich die Prognosen auf, doch die Stimmung ist weiter schlecht. Wie deutlich wird der Sachverständigenrat?
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Ein nachträgliches Geschenk wird es kaum sein, das die fünf Wirtschaftsweisen einen Tag nach seinem 70. Geburtstag mit ins Kanzleramt bringen. Darauf deuten schon die vom Sachverständigenrat auf LinkedIn veröffentlichten, aber verworfenen sieben Titelvorschläge für das diesjährige Gutachten hin. Mit „Zeit, dass sich was dreht“ oder „Standort Deutschland: Update überfällig“ erinnern sie eher an Liedzeilen von Herbert Grönemeyer oder die lästigen Warnungen eines Betriebssystemanbieters. Gemein haben sie, dass sie eine Aufforderung sind, zu handeln.
Am Mittwochmittag überreicht der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auch Rat der fünf Wirtschaftsweisen genannt, dem Bundeskanzler sein Jahresgutachten. Wie in der Vergangenheit wird das Gremium um Monika Schnitzer auf mehreren hundert Seiten darlegen, wie es um die deutsche Wirtschaft steht, wie die Prognose für die nächsten Jahre ausfällt und was die Bundesregierung unternehmen sollte, um sie zu verbessern. Weitere Themen sollen dieses Mal unter anderem die Verteilung von Vermögen und die Stärkung des europäischen Binnenmarktes sein, heißt es aus Kreisen des Rates.
Stagnation überwinden
Für Merz ist es das erste Mal. Sein Vorgänger Olaf Scholz bekam sein letztes Gutachten (Titel: „Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren“) wenige Tage nachdem die Ampel zerbrochen war. Die Ökonomen hatten ihre Arbeit daran abgeschlossen, als die Hoffnung auf ein Fortbestehen der Regierung noch bestand. Den Charakter eines Zeugnisses kann es für Merz folglich kaum haben, schließlich ist Schwarz-Rot erst ein halbes Jahr im Amt. Und doch dürfte es den Druck auf Strukturreformen weiter erhöhen.

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Denn die deutsche Wirtschaft tritt seit Jahren auf der Stelle. Real ist Deutschland seit sechs Jahren nicht gewachsen. Auch für das laufende Jahr geht die Regierung lediglich von einem Plus von 0,2 Prozent aus. Erst im kommenden Jahr soll das Wachstum mit 1,3 (und 1,4 Prozent 2027) wieder kräftig anziehen. Die Prognose der Wirtschaftsweisen dürfte ähnlich ausfallen.
Kritik am Sondervermögen
Der erwartete Wachstumsschub geht Ökonomen zufolge allerdings zu zwei Dritteln auf das kreditfinanzierte, staatliche Sondervermögen Infrastruktur zurück, mit dem der Staat Straßen, Brücken und Schulen sanieren will. Auch darauf, dass er ebenfalls schuldenfinanzierte Aufträge an Rüstungsfirmen vergibt.
Auf beides hatte der Sachverständigenrat in seinem letzten Jahresgutachten gedrungen. Die finanzpolitische Wende leitete Merz nach der Wahl im Frühjahr noch mit einer Mehrheit des alten Bundestages ein. Mittlerweile fürchten Opposition und Ökonomen, dass dieses Geld nicht nur für neue Investitionen, sondern auch das Stopfen von Haushaltslöchern verwendet wird.
Die fünf Wirtschaftsweisen wollen nun ebenfalls Vorschläge vorlegen, wie man die Zusätzlichkeit der Ausgaben aus dem Sondervermögen sicherstellen kann. Diese Klausel gilt grundsätzlich nur für den 300-Milliarden-Anteil des Bundes. Die Länder können über ihre 100 Milliarden Euro weitestgehend frei verfügen. Versickern die Infrastruktur-Milliarden in den Länderhaushalten und werden darüber vor allem konsumtive Ausgaben finanziert, droht der Wachstumseffekt zu verpuffen.
Doch staatliche Investitionen machen ohnehin nur einen Bruchteil der Gesamtinvestitionen in Deutschland aus. Merz und seine Regierung wollen daher vor allem auch private Investitionen fördern. Mit dem Wachstumsbooster hat Schwarz-Rot schon vor der parlamentarischen Sommerpause ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, um Investitionen von Firmen steuerlich anzureizen und später die Unternehmenssteuern zu senken. Der Sachverständigenrat wird in seinem Gutachten auch die Wirkung von Unternehmenssteuerreformen bewerten, wie es heißt.
Darüber hinaus dürften die Sachverständigen wie schon in der Vergangenheit auf weitergehende Strukturreformen drängen, um das Wachstumspotenzial Deutschlands langfristig zu verbessern. Monika Schnitzer, die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, forderte schon vor einem Jahr, im 100-Tage-Programm einer neuen Bundesregierung müsse eine Reform des Rentensystems angegangen werden. Da Union und SPD diesen Rat nicht nur nicht berücksichtigen, sondern die finanzielle Schieflage durch ihr Rentenpaket sogar noch vergrößern, dürfte der Ton von Schnitzer und Co. dieses Mal noch etwas deutlicher sein.
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