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Ein Arzt befüllt eine Spritze mit Corona-Impfstoff (Symbolfoto)

© imago images/Mareen Fischinger

Stockende Vakzinproduktion: Wohl dem, der Corona-Impfstoff gehortet hat

Christoph Krupp soll im Auftrag der Bundesregierung, speziell Finanzminister Scholz, die Impfstoffproduktion ankurbeln. Doch zu spüren ist davon wenig.

Stand:

Von einer reibungslos laufenden Impfstoffproduktion ist bisher wenig zu spüren. Auch die Bemühungen des Wirtschaftsministeriums schlagen offenbar wenig Wellen: Zulieferer versuchen um jeden Preis den Eindruck zu vermeiden, sie seien auf staatliche Vermittlung angewiesen.

Bereits seit Anfang März gibt es den Sonderbeauftragten für die Covid-19-Impfstoffproduktion: Gemeinsam mit der Taskforce Impfstoffproduktion des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) soll der SPD-Politiker und Naturwissenschaftler Christoph Krupp auf Wunsch von Finanzminister Olaf Scholz (ebenfalls SPD) die Impfstoffproduktion sichern und Engpässe in der Lieferung der weltweit stark nachgefragten Rohmaterialien und Ausrüstung beheben.

Erklärtes „Ziel ist eine sichere Versorgung mit Impfstoffen made in Germany ab 2022“, so eine BMWi-Sprecherin zu Tagesspiegel Background. Im Zuge der deutschen Selbstversorgung mit Impfstoff sollen auch „signifikante Kapazitäten für den Export aufgebaut werden“. Deutschland als Impfstoff-Apotheke der Welt sozusagen, oder zumindest von Europa.

Derzeit sieht es noch anders aus: Rund 55 Prozent der Produktionskapazitäten für Impfstoffe befinden sich im ostasiatischen Raum, 40 Prozent in Europa und den USA sowie 5 Prozent in Afrika.

Auf die Frage beim extra von seinem Posten als Vorstand der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben freigestellten Krupp, wie weit man denn mit der Erfassung und Behebung der Lieferengpässe sei, antwortet dessen Vorzimmerdame allerdings ausweichend: Man solle sich bitte an das BMWi wenden.

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Von dort hört man, während die globale Impfstoffproduktion sich in diesem Jahr coronabedingt auf zehn bis 15 Milliarden Impfdosen verdoppeln bis verdreifachen wird, nur Gutes: Es seien zusätzliche Impfstoffkapazitäten für die adenoviralen Vektorimpfstoffe von Astrazeneca und Johnson & Johnson bei der IDT Biologika in Dessau geschaffen.

Zudem sei ein 90-Millionen-Euro-Förderprogramm für die Fertigung von Borosilikat-Glasröhrchen im Mai ausgeschrieben und eine „Notfallplattform Corona“ für Impfzubehör wie Spritzen oder Kanülen vom Verband der Chemischen Industrie zusammen mit dem Pharmagroßhandelsverband Pharmaco e.V. ans Laufen gebracht worden.

Man spreche darüber hinaus, so Staatssekretär Andreas Feicht, jede Woche mit allen Impfstoffherstellern, um frühzeitig Produktions- und Lieferprobleme zu lösen. Alles in Ordnung, also?

Zulieferer halten sich bedeckt

Nachfragen bei den Zulieferern der knappen Einmalkunststoffbags, Sterilfilter, Plasmide, Lipide für den Transport der empfindlichen mRNA sowie von für die Produktion benötigten Enzymen, Bakterienstämmen und Zelllinien ergeben ein anderes Bild.

Über Lieferengpässe oder gar eine enge Zusammenarbeit mit dem BMWi wollen die Unternehmen nicht sprechen – und das aus gutem Grund: „Sobald ein Zulieferer sagt, wir haben einen engen Austausch mit den Ministerien, könnten die Kunden sich fragen: Gibt es dort ein Problem? Besser ich suche mir noch eine Alternative“.

Die Furcht davor, dass die Stille Post diese Botschaft zu Kunden trägt, sorgt dafür, „dass kein Supplier in der Branche offenherzig über etwaige Zulieferprobleme sprechen wird“, so Martin Schleef, Geschäftsführer der Bielefelder Plasmid Factory, die DNA-Plasmide für die Produktion von Impfstoff-mRNA und den adenoviralen Virusvektoren pharmagerecht herstellt.

Eine Umfrage zu Engpässen bei Rohstoffen und Dienstleistungen für die Covid-19-Produktion des Biotechnologie-Industrie-Verbandes BIO Deutschland ergab wohl auch deshalb einen Rücklauf von null Prozent.

Schwierig für Krupp, dem es nicht termingerecht gelungen war, Anfang Mai ein Konzept zu Produktionskapazitäten in Deutschland zu erstellen und der, glaubt man der Aussage von Katja Kipping (Die Linke), im Gesundheitsausschuss oder im Covid-19-Unterausschuss des Deutschen Bundestages bislang nicht in Erscheinung getreten ist.

Bericht des EU-Handelskommissars bringt Licht ins Dunkel

Licht ins Zuliefererdunkel hatte bereits Anfang April ein Bericht des EU-Handelskommissars und Leiters der EU-Taskforce Impfstoffproduktion, Thierry Breton, gebracht. Nach einem ‚Matchmaking-Event’ mit 229 Impfstoffherstellern und Zulieferern sprach er in einem Bericht von bis dato 53 Produktions- und Abfüllstätten für Covid-19-Impfstoffe in Europa und benannte als Hauptengpässe die Fertigung von Lipidnanopartikeln für mRNA-Vakzine, Einmalbags und -materialien sowie Zellkulturmedien.

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Dies bestätigt auch eine Studie von Chatham House, einer Politik-Denkfabrik aus dem März. „Material mit einer Lieferzeit von zehn bis zwölf Wochen ist heute, wenn überhaupt noch, nach 50 bis 70 Wochen verfügbar“, sagte Rainer Glöckler vom Schweizer Abfüllspezialisten Swissfillon AG dem Tagesspiegel Background. Zudem würden zehn bis 15 Prozent der Weltproduktion für Glasampullen für die Abfüllung der Covid-19-Vakzine benötigt.

Auch Schleef bestätigt, dass Lieferzeit die neue Währung ist, und die großen Impfstoffhersteller, allen voran die mRNA-Produzenten Moderna und BioNTech, mit Masseneinkäufen strategisch vorgesorgt – sprich: den Markt leergekauft – hätten.  Auch qualifiziertes Fachpersonal sei Mangelware und werde einander abgeworben, so Schleef, der die Produktionskapazität für Plasmide derzeit ausbaut.

Impfstoffproduzenten der zweiten Generation: Verlierer der Coronapandemie?

Problematisch könnte der Mangel an Materialien durch extreme Vorratswirtschaft oder Exportbeschränkungen vor allem dann werden, wenn impfstoffresistente Varianten auftreten, für die Extrachargen produziert werden müssten.

CureVac-Chef Werner Haas etwa hatte moniert, dass US-Exportbeschränkungen durch den Defense Production Act für essentielle Produktionsbestandteile es sehr erschweren könnten, nach Marktzulassung die angekündigten 300 Millionen des hauseigenen mRNA-Impfstoffes herzustellen. „Man kann nicht Rohstoffe zurückhalten, um die eigene Nation zu begünstigen, und der Rest der Welt geht leer aus“, beklagt Haas.

Die Generaldirektorin der Welthandelsorganisation, Ngozi Okonjo-Iweala

© REUTERS/Francisco Seco/Pool

Die neue Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO), Ngozi Okonjo-Iweala, bestätigt, dass derzeit 59 Staaten Exportrestriktionen verhängt haben und dies die Lieferketten der Impfstoffhersteller gefährde.

Jedes US-Unternehmen könne liefern, an wen und wo es wolle, entgegnete US-Regierungssprecherin Jen Psaki, sofern es zuvor seine Liefervereinbarungen mit den USA erfüllt habe. Erst im Januar hatte die EU-Kommission Exportkontrollen für Corona-Impfstoffe eingeführt und unlängst bis Ende Juni verlängert.

Corona-Sonderkonjunktur für Zulieferer

Laut Glöckler hat der Markt Lieferengpässe infolge erhöhter Nachfrage bereits im vergangenen Jahr erkannt. „Kapazitätserweiterungen sind weltweit zu beobachten. Das hat im vergangenen Jahr begonnen und geht auch 2021 weiter.“ Allerdings habe sich die Lieferzeit bislang nicht wesentlich verändert. „Mit einer Entlastung kann nicht vor Mitte bis Ende 2022 gerechnet werden“, prognostiziert Glöckler.

Die durch potentiell impfstoffresistente SARS-CoV-2-Varianten noch einmal verschärfte Lage versuchen die EU und Deutschland gerade mit Geld zu lösen – zum Teil auf Kosten von Impfstoffkontigenten, die für andere Länder eingeplant waren. Kürzlich verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) einen Impfstoffdeal mit BioNTech über 1,8 Milliarden weitere Impfstoffdosen der mRNA-Vakzine im Gegenwert von 35 Milliarden Euro.

Krupp hatte schon bei Amtsantritt angekündigt, 500 Millionen Dosen pro Quartal vorproduzieren lassen zu wollen. Vorteil der mRNA-Impfstoffe gegenüber anderen Vakzinen ist, dass sie mischbar sind und daher nur eine formale Neuzulassung des Produktionsprozesses erfordern. Den auslaufenden Vertrag mit Astrazeneca verlängerte die Kommission nicht.

Thomas Gabrielczyk

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