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Ferda Ataman, die neue Unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte

© Metodi Popow/picture alliance-SZ

Update

Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle: Zahl der Rassismusfälle weiter auf hohem Niveau

Kurz trat die Arbeit der ADS hinter dem Streit um die neue Chefin zurück. Jetzt hat Ferda Ataman ihren ersten Bericht präsentiert. Vor ihr liegt viel Arbeit.

Wochenlang tobte ein Krieg um die Berufung von Ferda Ataman ins Amt der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes (ADS) – das mit ihr auch neue Unabhängigkeit bekommt. Ihr selbst wurde Diskriminierung vorgeworfen und die Verharmlosung migrantischer Krimineller.

Sie bekam dennoch im Bundestag Anfang Juli mehr Stimmen als die Koalition hatte, von der sie nominiert wurde. Jetzt hat die Vielangefeindete zum ersten Mal den Jahresbericht ihrer kleinen Behörde vorgestellt – den bisher vierten der Behörde, die es seit 16 Jahren gibt.

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Den Krieg der Worte von Juni erwähnte Ataman ausdrücklich nicht, stellte der Vorstellung des Berichts aber eine programmatisch-persönliche Erklärung zu ihrem Amtsbeginn voran, die sich durchaus als Kommentar lesen lässt: Diskriminierung verletze grundlegende Bürger- und Menschenrechte, sagte Ataman. Und sie treffe keineswegs nur Minderheiten.

Auch der Über-50-Jährige, der trotz Fachkräftemangels seines Alters wegen nicht mehr eingestellt werde, sei betroffen, ebenso die junge Frau, die beim Einstellungsgespräch gefragt werde, ob sie Kinder wolle.

Ein bewusster Umgang mit Diskriminierung und aktive Antidiskriminierungspolitik seien daher „gut für alle“. Sie betone dies so, weil dies „oft fälschlich als Identitätspolitik abgetan wird“. Die Anfrage eines Rollstuhlfahrers, dem kürzlich die Mitfahrt in einem Bus verweigert wurde, „das hat nichts mit Identitätspolitik zu tun. Das sind Anfragen von Bürgern, die ihr Recht einfordern.“

Sie fügte hinzu: „Es ist Diskriminierung, die die Gesellschaft spaltet, nicht die, die sie ansprechen.“ Und Antidiskriminierungspolitik verwirkliche „nicht nur den Anspruch auf Gleichheit, sondern auch den Anspruch auf Freiheit“. Sie sei zuallererst eine Pflicht des Staates, "aber auch unter den Bürgerinnen und Bürgern darf es keine Diskriminierung geben". Insofern seien gute Gesetze dagegen für alle "eine zivilrechtliche Basis für Anstand und Miteinander".

binde zuallererst den Staat, aber

„Menschen fordern Gleichbehandlung, weil sie sie nicht bekommen“

Überhaupt sei der Begriff der Identitätspolitik etwas „sperrig und schwer verständlich“. Sie wisse nicht, ob es glücklich sei, derlei direkt aus den USA zu übernehmen und eins zu eins zu übersetzen. Wer sich als Schwarzer, als Behinderte, als Jüdin gegen Benachteiligung wehre, tue dies nicht aus diesem Grund. „Menschen fordern Gleichbehandlung, weil sie sie nicht bekommen. Nicht weil sie eine Identität haben.“

Neu ist freilich nicht nur die Person an der Spitze der Antidiskriminierungsbehörde (ADS) und die Neudefinition des Amts, das zum ersten Mal durch den Bundestag besetzt wurde. Erstmals, seit die ADS vor mehr als 15 Jahren geschaffen wurde – Umsetzung einer Vorgabe der Europäischen Union – könnten sich auch ihre Aufgaben deutlich ändern.

Ferda Ataman zeigt während der Pressekonferenz den Jahresbericht.
Ferda Ataman zeigt während der Pressekonferenz den Jahresbericht.

© IMAGO/Jürgen Heinrich

Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag versprochen, man werde „Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten“ – noch gilt das Diskriminierungsverbot nicht für staatliche Stellen, Schulen, Ämter, Polizei, wo aber oft und mit drastischen Folgen diskriminiert wird.

Der aktuelle Jahresbericht nennt weitere weiße Flecken: Rechte, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz seinerzeit neu geschaffen habe, seien oft nicht durchsetzbar. Bisher bleibt es den Betroffenen selbst überlassen, sich gegen Diskriminierung zu wehren, sie selbst müssen vor Gericht ziehen – was Geld und andere Ressourcen kosten kann. Dies werde „den gesellschaftlichen Folgewirkungen von Diskriminierung (...) .nicht gerecht“, heißt es dazu im Bericht.

Was damit gemeint ist, ergänzten die beiden Frauen, die neben Ataman auf dem Podium saßen, Eva-Maria Andrades und Violeta Balog. Andrades ist Geschäftsführerin des Antidiskriminierungsverbands Deutschland, in dem die Anlauf- und Beratungsstellen zum Thema organisiert sind.

Balog leitet die Dokumentationsstelle für antiziganistische Vorfälle von Amaro Foro, einem Berliner Jugendverband von Sinti und Roma, in dem auch Nichtangehörige der Minderheit mitarbeiten. „Nicht alle Menschen haben das Privileg, sich gegen Diskriminierung wehren zu können“, sagte Balog. Deshalb sei es wichtig, wenn Fachverbände das an ihrer Stelle tun oder sie unterstützen könnten.

„Die Erzieherin muss selbst klagen, wenn sie wegen des Kopftuchs ihren Arbeitsplatz verliert“, sagte Andrades. Das täten viele verständlicherweise nicht. Aber das habe Folgen über die einzelne Person hinaus: „Diskriminierung wird damit prämiert. Und viele wichtige Fragen können nicht grundsätzlich geklärt werden.“

Deutscher Diskriminierungsschutz im europäischen Vergleich schwach

Der Diskriminierungsschutz in Deutschland, so heißt es im Bericht, sei „im europäischen Vergleich schwach“. Die ADS schlägt unter anderem selbst das Verbandsklagerecht vor. Außerdem will sie mehr Forschung und Datenerhebung, um Diskriminierung überhaupt sichtbar zu machen, und mehr Beratung und Aufklärung darüber, wie sich Opfer von Diskriminierung wehren können – entweder indem die ADS selbst berät oder durch entsprechende Ausstattung sachkundiger Fachverbände und NGOs.

Dass es dafür Bedarf gibt, belegt der Bericht: Im vergangenen Jahr liefen 5617 Anfragen in der Beratung der ADS auf. Damit bleibe die Zahl auch nach dem von Corona geprägten Vorjahr „insgesamt auf hohem Niveau“, heißt es im Text.

2020 waren die Beratungsanfragen auf ein Rekordniveau geklettert, die seinerzeit 6383 Fälle bedeuteten eine Steigerung um 78 Prozent gegenüber 2019. Die neuen Zahlen sind, so Ataman, immer noch „der zweithöchste Wert in der Geschichte der ADS“.

Anfragen wegen rassistischer Diskriminierung habe es fast genau so viele gegeben wie 2020, als viel öffentliche Aufmerksamkeit auf dem Thema lag, weil viele Wochen lang der Tod des Schwarzen US-Bürgers George Floyd, Black Lives Matter und die rassistischen Morde in Hanau die Debatte bestimmten.

Ein Mann hält während einer Demonstration im Mai 2020 ein Foto von George Floyd hoch.
Ein Mann hält während einer Demonstration im Mai 2020 ein Foto von George Floyd hoch.

© imago images/ZUMA Wire/Jerry Holt

Mit einem Anteil von 37 Prozent ist erneut rassistische Diskriminierung, also die, die im Gesetz „wegen ethnischer Merkmale“ heißt, der meistgenannte Grund, gefolgt von Behinderung (32 Prozent), Geschlecht (20), Alter (10), Religion (6), sexueller Identität (4) und Weltanschauung (3).

Im vergangenen Jahr hatte sich, wohl pandemiebedingt, das Merkmal „Behinderung und chronische Krankheiten“ vor alle anderen Gründe geschoben. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt nicht gegen alle Formen von Diskriminierung, sondern definiert genau diese sieben Merkmale.

Am meisten erlebten Menschen Diskriminierung am Arbeitsplatz (28 Prozent) und beim Zugang zu privaten Dienstleistungen, also im Supermarkt, im Restaurant, in Clubs, die sie etwa nicht betreten konnten (33 Prozent).

In mehr als einem Drittel der Fälle geschah sie aber an Stellen, wo das Allgemeine Antidiskriminierungsgesetz (AGG) nicht oder nur teilweise greift – also auf Ämtern, bei der Polizei oder vor Gericht. „Aber auch im Bildungsbereich, in den sozialen Medien oder im öffentlichen Raum wurden regelmäßig Benachteiligungen, diskriminierende Beleidigungen bis hin zu Gewalt erlebt und geschildert“, heißt es in einer Erklärung der ADS.

Ataman sieht historischen Moment

Diskriminierung von Staats wegen will die Ampel-Koalition nun durch eine Novellierung des AGG stärker beikommen; bis Jahresende soll ein Eckpunktepapier zu seiner Reform vorliegen. Wegen der föderalen Verfassung Deutschlands lassen sich aber weite Felder nicht von einem Bundesgesetz erfassen – Polizei wie Schule etwa sind Ländersache.

Sie begrüße aber, dass auch die Stelle eines oder einer unabhängigen Polizeibeauftragten im Koalitionsvertrag stehe. Angebliches oder tatsächliches Racial Profiling gerade der Bundespolizei war des Öfteren Gegenstand von Beschwerden und auch Klagen vor Gericht.

Auch wenn sich nicht alles im AGG regeln lasse, so Ataman: Sie sehe jetzt einen historischen Moment. Es sei das erste Mal, dass das Gesetz „wirklich angefasst wird“ seit es 2006 in Kraft trat. Und entscheidend sei nicht dieses eine Gesetz, sondern auch Länderregelungen wie das Berliner Antidiskriminierungsgesetz, das 2020 in Kraft trat. Am Ende sollten Hilfe und Beratung möglichst flächendeckend zur Verfügung stehen.

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Die Person der neuen Antidiskriminierungsbeauftragten wurde dann doch noch Thema. Ataman musste erneut klarstellen, dass sie weiße Deutsche nicht Kartoffeln genannt habe und sich dazu erklären, ob sie inzwischen bereue, als Mitgründerin der „Neuen deutschen Medienmacher“ (NdM) die „Goldene Kartoffel“ ausgelobt zu haben – einen Negativpreis, so die Erklärung der NdM, „für die unterirdischste Berichterstattung über die Einwanderungsgesellschaft“.

Dazu gab's ein kurzes „Nein“ der Behördenchefin. Ein ebenso klares „Ja“ auf die Frage eines öffentlich-rechtlichen Journalisten, ob sie denn die richtige Person im neuen Amt sei. Antidiskriminierungsarbeit bedeute, Partei zu ergreifen. Sie wolle nun versuchen, die Aufmerksamkeit, die durch die Kontroverse um das Amt und ihre Person entstanden sei, „auf das Thema zu lenken“.

Und dass sie, wie Kritikerinnen erklärten, Zwangsehen und Kriminalität von Eingewanderten kleinrede? Ataman verwies auf ihre Berichterstattung – sie schrieb vor etlichen Jahren unter anderem für den Tagesspiegel und später für Spiegel online: „Ich kann mir das nicht so ganz erklären, ich habe mich mit all diesen Themen als Publizistin beschäftigt.“

Sie freue sich aber, dass einige ihrer Kritiker:innen nach der Wahl auf sie zugegangen seien und erklärt hätten, sie wollten nach vorn schauen und hofften auf eine gute Zusammenarbeit.

Nach den vielen Fragen zu der neuen Frau im Amt blieb noch die nach dem sprichwörtlichen „alten weißen Mann“ – ob der denn wirklich nie diskriminiert werde? Das könne durchaus sein, aber solche Fälle „laufen bei der Antidiskriminierungsstelle nicht auf“, antwortete Ataman.

Ebenso wenig in den Beratungsstellen der zivilgesellschaftlichen Antidiskriminierungsarbeit, ergänzte Eva-Maria Andrades: „Natürlich kann er diskriminiert werden wegen seines Alters, vielleicht einer Behinderung. Aber nicht seiner deutschen Herkunft wegen.“

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