RECHTE SCHLAGEN IMMER ÖFTER ZU: 2006 mehr als 9000 registrierte Straftaten Erneut Diskussion um NPD-Verbot
Mehrere hundert Menschen protestierten gegen Parteitag der Rechtsextremen in Berlin
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Die Zahl der rechtsextremen Straftaten wächst rasant weiter. Bis Ende September registrierte das Bundeskriminalamt 9013 einschlägige Delikte. Das sind etwa 20 Prozent mehr als in den ersten neun Monaten 2005 (7574 Delikte). Auch die in der Gesamtzahl enthaltenen Gewalttaten nahmen weiter zu. Das BKA meldet 522 Gewalttaten, im Vorjahr waren es von Januar bis September 437. Das entspricht ebenfalls einer Zunahme um etwa 20 Prozent. Bei den Gewaltdelikten in diesem Jahr haben rechte Schläger bereits 375 Menschen verletzt. Sicherheitsexperten befürchten, dass am Ende des Jahres bei rechten Delikten der höchste Stand seit 2002 erreicht wird.
Die Zahlen ergeben sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei), die dem Tagesspiegel vorliegt. Sie sind nur vorläufig und wahrscheinlich weit niedriger als die tatsächliche Summe. In der Regel meldet die Polizei viele rechte Straftaten nach. fan
Berlin - Begleitet von Protesten und geschützt von einem Großaufgebot der Polizei hat die rechtsextreme NPD am Wochenende in Berlin einen Bundesparteitag abgehalten. Dabei wurde der Bundesvorsitzende Udo Voigt mit über 95 Prozent der Delegiertenstimmen im Amt bestätigt. Anlässlich des Parteitages forderten mehrere Politiker die Wiederaufnahme des NPD-Verbotsverfahrens. Besorgt über die zunehmende Gewaltbereitschaft von Rechtsextremen äußerte sich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, Heinz Fromm.
Am Samstag hatten sich 300 bis 400 NPD-Gegner vor dem Fontane-Haus in Reinickendorf versammelt. Zu der friedlichen Kundgebung hatte ein Bündnis aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien aufgerufen. Für die NPD-Anhänger gab es Buhrufe, Pfiffe und „Nazis raus“-Rufe. Auf Plakaten stand unter anderem „Verbot aller faschistischen Organisationen sofort“ und „Deutsche wehrt Euch, macht Euch frei von der Nazi-Tyrannei“. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte das Bezirksamt Reinickendorf wegen des Gleichbehandlungsgebots im Parteiengesetz verpflichtet, der NPD im Fontane-Haus einen Saal zur Verfügung zu stellen.
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei) nannte die Zusammenkunft der Rechtsextremen NPD in Berlin „unerträglich“. Sie sei zu der Demonstration gekommen, um deutlich zu machen, dass Berlin nicht die so genannte Reichshauptstadt sei, zu der sie die Rechtsextremisten erklären wollten. Abgeordnetenhauspräsident Walter Momper (SPD) und CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger sprachen sich für einen Neuanlauf des NPD-Verbotsverfahren aus. Dass die Neonazis Berlin zur „Reichshauptstadt“ ausgerufen hätten, zeige, dass sie an „die schlimmsten Traditionen der deutschen Geschichte anknüpfen“, hob Momper hervor. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann, äußerte sich skeptisch zur Einleitung eines neuen NPD-Verbotsverfahrens. „Man kann sich nicht vorstellen, wir ziehen jetzt alle V-Leute aus der NPD ab und morgen können wir das Verbotsverfahren weiter betreiben. Das würde einen jahrelangen Vorlauf voraussetzen“, warnte er. Der im Amt bestätigte NPD-Chef Voigt bezeichnete die erneute Diskussion um das Verbotsverfahren als „lächerlich“. Den etablierten Parteien gingen offensichtlich die Argumente aus, sagte er vor Journalisten.
Die Polizei war rund um den Veranstaltungsort mit 600 Beamten im Einsatz, wie ein Sprecher sagte. Der Zugang zum Haus wurde von den Beamten kontrolliert. Teilnehmer des NPD-Treffens wurden eskortiert zum Haus geführt. Nach Angaben des Sprechers gab es eine Rangelei zwischen einem Ordner der NPD und einem Gegendemonstranten. Außerdem wurde ein Anhänger der Rechtsextremen festgenommen, weil er einen Quarzsandhandschuh, der geeignet ist, als Waffe benutzt zu werden, mit sich führte. Gastredner auf dem Parteitag war DVU-Chef Gerhard Frey. Er sagte, es werde in den nächsten Jahren „große Manöver des Kartells der Herrschenden geben, uns zu entzweien und zu verteufeln“. „Deshalb beschwöre ich Sie, glauben Sie nicht den Verfälschern und Betrügern, sondern Udo Voigt und mir“.
Verfassungsschutz-Chef Fromm sagte, nach den bisher vorliegenden Meldungen „müssen wir auch in diesem Jahr mit einer sehr hohen Zahl von Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund rechnen“ (siehe Kasten). Mit Sorge registriert der Verfassungsschutz-Chef Kontakte zwischen Rechtsextremisten und Islamisten.
Die Innenministerkonferenz will am Donnerstag über die unklaren Finanzen der NPD beraten. „Wenn wir diese Strukturen aufdecken wollen, ist es notwendig, konzentriert vorzugehen“, sagte Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD). Der Bundestag verlangt von der NPD 870 000 Euro aus der Parteienfinanzierung zurück. Grund sind Unregelmäßigkeiten bei Spenden. Ob die Parteizentrale in Berlin-Köpenick für die Rückzahlung beliehen wird, ließ der wiedergewählte NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt offen. Die NPD werde die am 15. November fällige Abschlagszahlung in Höhe von 277 000 Euro gegen eine Sicherheitsleistung – wie eine Grundschuldübertragung – zahlen.
Claudia Pietsch, Haiko Prengel
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