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Reality-Soap mit echten Darstellern: In Brandenburg, wo richtig was los ist. Homo Sozialdemokraticus Matthias Platzeck, sensibel und im Vertrauen lange blind, wurde von seinem derben Adlatus Rainer Speer fast ins Verderben gerissen.

© Michael Urban/ddp

Von Thorsten Metzner: Abschied von einer Legende: Es ist immer was los im Lande Brandenburg Das Jahr 2010 war eine Affäre, ein Drama: Regierungschef Matthias Platzeck verlor seinen Vertrauten Rainer Speer

Potsdam - Definitiv, die Geschichte Brandenburgs muss umgeschrieben werden. Erinnern Sie sich noch, dass dieses Land zwischen Prignitz und Fläming als Synonym für Langeweile galt, als Provinz, in der außer in Potsdam eh kaum noch einer lebt und sowieso nie etwas passiert?

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Potsdam - Definitiv, die Geschichte Brandenburgs muss umgeschrieben werden. Erinnern Sie sich noch, dass dieses Land zwischen Prignitz und Fläming als Synonym für Langeweile galt, als Provinz, in der außer in Potsdam eh kaum noch einer lebt und sowieso nie etwas passiert? Der deutsche Heimatkenner Rainald Grebe hatte dies in seinem fulminanten Liedtext, der zeitgemäß an die Beobachtungen eines Theodor Fontane anknüpfte, aber seltsamerweise als Satire verstanden wurde, auf den Punkt besungen. „Es gibt Länder, wo was los ist. Es gibt Länder, wo richtig was los ist. Und es gibt Brandenburg!“ Eigentlich war damit alles gesagt.

Plätscherndes Brandenburg, ade! In diesem Jahr war hierzulande so viel los wie in allen anderen fünfzehn Bundesländern zusammen nicht, zumindest wenn man sich diese seltsame Spezies einmal genauer anschaut, die da von Potsdam aus die Weiten der Mark regiert, vor allem jenen Homo Sozialdemocraticus Matthias Platzeck und seinen nach zwanzigjähriger Regentschaft an inzestiösen Tendenzen leidenden Hofstaat, Pardon! Kein seriöser Drehbuchautor hätte dies alles erfinden können, was Politik und Medien über Monate in Atem hielt, was Stoff für einen Thriller hat, über Deutschlands Grenzen hinaus beachtet wurde. Wer hätte jemals prophezeit, dass die „Neue Züricher Zeitung“ den Geschehnissen eine Seite widmet, die Überschrift: „Sex und Macht im Lande Brandenburg.“ Und tatsächlich ist ja alles dabei, um in den Babelsberger Studios sofort eine Reality-Soap auflegen zu können. Mit echten Darstellern?

Ob Sachsen, Sachsen–Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, alles Länder mit den Ministerpräsidenten und Ministern, die keiner kennt, sind nichts gegen die shakespeareschen Charaktere aus der Mark: Wo gibt es noch eine so tiefe Männerfreundschaft in der Politik, wie die zwischen Matthias Platzeck (sensibel) und Rainer Speer (derb), die die „Süddeutsche Zeitung“ mit Winnetou und Old Shatterhand verglich! Nur, dass sich in Potsdam der eine, man ahnte es ja immer, plötzlich als Bösewicht entpuppt, der den anderen, im Vertrauen lange Blinden fast mit ins Verderben reißt, ehe dieser, nach innerem Ringen fernab von der Heimat auf den Kanaren fast in letzter Sekunde dann doch den Schnitt macht, den Freund mit Grabesmiene zum Rückzug aus der Politik drängt. Was für ein Drama! Und Schnitt!

Ausgerechnet über diesen schillernden Rainer Speer, den Adlatus des Regenten, über den Polizeiminister, dessen erklärtes Credo es zum Entsetzen seines Vorgängers Jörg Schönbohm war, die „Bürger vor dem Staat zu schützen“ (Speer im „Spiegel“) und der wahrscheinlich auch deshalb jeden fünften Polizisten einsparen wollte, waren alle möglichen und unmöglichen Affären auf einmal zusammengebrochen. Erst stellte sich heraus, dass er 2007 als Finanzminister wie der letzte Depp eine Kaserne an einen windigen Advocatus zum Schnäppchenpreis verscherbelt hatte, jedenfalls nicht an den dänischen Immobilientycoon, den er einst als Investor dem Landtag präsentierte.

Dann wurde publik, dass er 2006 die frühere BBG-Landesfirma, die den dubiosen Krampnitz-Deal eingefädelt hatte, samt gefüllten Kassen von 3,2 Millionen privatisierte, für 635 000 Euro, märkische Arithmetik. Der Käufer ist ein Vorstandskumpel vom Babelsberger Verein 03, ja, natürlich darf Fußball nicht fehlen, der dann noch als früherer Stasi-Mann aufflog. Fortsetzungen sind garantiert, der Untersuchungsausschuss des Landtags wühlt sich gerade durch die Akten.

Und dann wäre da noch, mysteriös, mysteriös der mitten in den rot-roten Koalitionsverhandlungen im  Oktober 2009 verschwundene Laptop von Speer, der auf der Festplatte sein Herrschaftswissen und alle möglichen Interna der Platzeck-SPD gesammelt hatte – und nun über sein eigenes dunkles Geheimnis stürzte. Auf verschlungenen Wegen, angeblich über die Potsdamer Rockerszene, fanden kompromittierende E-Mails den Weg zur „Bild“-Zeitung: Danach hat Speer für eine mittlerweile 13-jährige Tochter all die Jahre keinen Unterhalt gezahlt. Die Mutter, die mit seiner Unterschrift auch noch verbeamtet wurde, bezog sechs Jahre staatliche Ersatz–Alimente. Das Kind war einer Liaison mit einer Unterstellten entsprungen, als Speer Staatssekretär im damals von Matthias Platzeck geführten Umweltministerium war. Er war vom damaligen Landesvater Manfred Stolpe in das Ministerium geschickt worden, damit in dem verlotterten grünen Laden endlich Zucht einkehrte .... Es dauerte noch ein paar Monate nach dem Rücktritt als Innenminister, bis sich der Noch-Abgeordnete Speer zu dem verleugneten Kind bekannte. „Ja, ich bin der Vater!“ Was für ein Sittengemälde! Und was kommen da womöglich noch für Enthüllungen? Eigentlich fehlt nur, dass eine Rotlicht-Connection auffliegt, oder man irgendwann enthüllt, dass finstere Gestalten, angestiftet von der Opposition, hinter dem diabolischen Laptop-Diebstahl stecken ...

Dabei begann das Jahr 2010 in Brandenburg schon so turbulent wie es nun endete. Es lief nicht gut für Matthias Platzeck, der die Stasi-Schlagzeilen um die Linken, den verpatzten Start seines rot-roten Bündnisses kaum verwunden hatte, als ihm im April schon das erste SPD-Kabinettsmitglied abhanden kam: Die weithin unbekannte Jutta Lieske, die er aus unerfindlichen Gründen zur Superministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft gemacht hatte, gab nach wenigen Monaten wieder auf.

Auch sonst war immer etwas los, und zwar extrem. Da bewahrte der etwas cholerische Linke-Finanzminister Helmuth Markov das Land vor einem Sommerloch, in dem er mit einer Haushaltssperre ohne Not Politik und Kommunen auf die Palme brachte. Im Schatten konnte sich sein Kabinettskollege Günther Baaske (SPD) in aller Ruhe am Abrechnungschaos bei der Landes-Agentur Lasa abarbeiten. Die Europäische Union hatte deshalb Brandenburg den Geldhahn zugedreht. Die Christdemokratin Johanna Wanka wanderte nach Hannover ab, als erste Ostdeutsche in einem Westkabinett, natürlich aus Brandenburg. Während in der Union, Folge des strengen Regimes der neuen Doppel-Vorsitzenden Saskia Ludwig, seitdem verdächtige Ruhe herrscht, lieferte sich die FDP-Landtagsfraktion einen veritablen Machtkampf, aus dem Ex-Generalsekretär Andreas Büttner als Sieger und neuer Chef hervorging.

Märkische Schüler schnitten, wie üblich, bei Bundestests am miserabelsten ab, diesmal in Englisch und Deutsch. Es gab die alle Jahre üblichen Jahrhunderthochwasser, bei denen Brandenburg am Ende immer glimpflich davonkommt. Dafür stehen im überfluteten Oderbruch seit Monaten die Keller unter Wasser, was in Potsdam kaum einer registriert, aber SPD und Linken mehr Stimmen kosten kann als alle Affären in Potsdam. Das Land wurde Bundessieger beim Ausbau erneuerbarer Energien, die Arbeitslosigkeit sank erstmals unter 10 Prozent, gewann alle Wirtschafts-Rankings.

Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Brandenburger Platzeck und seiner Regierung trotz der Affäre bisher nicht die Gunst entzogen, getreu der Stammtisch-Weisheit: „Et jibt keenen anderen.“ Und die Brandenburger werden, dies setzte sich fort, immer weniger. „In Berlin bin ich einer von 3 Millionen. In Brandenburg kann ich bald alleine wohnen“, sang schon Rainald Grebe. „Brandenburg. Ich fühl mich heut'' so leer. Ich fühl mich Brandenburg. In Berlin kann man so viel erleben. .... Halleluja Berlin“.

Von wegen!

Was wohl ein Klaus Wowereit über all die Affären beim Nachbarn Matthias Platzeck denken mag? Gegen diese Mark, Anno 2010, ist Berlin jedenfalls langweilige Provinz.

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