zum Hauptinhalt

NEUER FLUGHAFEN: „Alles fliegbar“

An den jetzt festgelegten Routen für den künftigen Flughafen wird sich nicht mehr viel ändern Für die Genehmigungsbehörde drängen sich bei der Lärmbelastung keine Alternativen auf

Von

Stand:

Berlin/Potsdam - Mit dem Finger zieht Thomas Kärger auf der Vorlage die beschlossenen Flugrouten am künftigen Flughafen Berlin Brandenburg in Schönefeld nach. Dann ist er zufrieden: „Alles fliegbar“, meint der Air-Berlin-Pilot, der auch Vorsitzender des Pilot/Controller Clubs Berlin-Brandenburg ist und sich am Himmel über der Stadt bestens auskennt. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung hat die Routen jetzt amtlich festgelegt und am Donnerstag wie angekündigt vorgestellt. Obwohl die künftigen Flugverläufe schon vorher bekannt geworden waren, fand sich während der Präsentation nur eine Handvoll Demonstranten ein.

REAKTIONEN

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) forderte, die Flugrouten nun als Kompromiss zu akzeptieren. Von der Flughafengesellschaft erwarte er, dass sie „positiv auf die Menschen zugeht im Sinne eines aktiven Lärm- und Umweltschutzes“, wie er im Parlament sagte. „Ich bin froh, dass das Bundesamt mit seinen Festlegungen im Wesentlichen die Ergebnisse der Fluglärmkommission aufgenommen hat“, erklärte Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Es seien „bedeutende Verbesserungen gegenüber den Entwürfen vom September 2010 erreicht worden“. Allerdings könnten nicht alle Anwohner zufriedengestellt werden, räumte Platzeck ein. Umso wichtiger sei es, den Lärmschutz „in voller Kraft unbürokratisch und auch in Grenzfällen im Sinne der Betroffenen umzusetzen“, forderte er. Hier gibt es, wie berichtet, einen Streit zwischen der Landesregierung und der Flughafengesellschaft, die den Lärmschutz großzügiger auslegt als die Regierung.

Die Anwohner würden durch ein umfangreiches Schallschutzprogramm geschützt, teilte die Flughafengesellschaft nach der Festlegung der Routen mit. Flughafenchef Rainer Schwarz kündigte an, dass „Optimierungspotenziale bei den Routen durch die Erfahrungen des realen Flugbetriebs“ entwickelt werden sollen.

Dass sich an den Routen noch viel ändern lässt, glaubt der Direktor des Bundesamtes, Nikolaus Hermann, nicht. „Alternativen, die insbesondere hinsichtlich der Lärmbelastungen vorzugswürdig wären, drängen sich nicht auf“, lautet das Fazit in dem 83-seitigen Bescheid zur Festlegung der Routen.

Die Wirtschaft begrüßte die Entscheidung. „Mit der Festlegung der Flugrouten ist nun die letzte Hürde für einen leistungsfähigen Hauptstadtflughafen genommen“, sagte Christian Amsinck, hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in berlin und Brandenburg (UVB). Der „unabhängige Betrieb zweier Start- und Landebahnen“ sei „unverzichtbar“, so der UVB-Chef.

Der Verkehrsexperte der CDU-Fraktion im brandenburgischen Landtag, Rainer Genilke, forderte ebenfalls, „Schallschutzmaßnahmen zügig und zugunsten der betroffenen Bürger“ umzusetzen. Erst 1000 von 25 500 Wohneinheiten, für die solche Maßnahmen berechtigt wären, seien ausgerüstet worden, so Genilke. In diesem Zusammenhang ereneuerte er die Forderung seiner Fraktion nach einer „Lärmrente für nicht fristgerecht umgesetzte Schallschutzmaßnahmen“.

Zufrieden äußerte sich Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD): „Unser Engagement hat sich gelohnt. Die Flugsicherung hat die Bedenken der Region Potsdam ernst genommen und eine tragfähige Entscheidung getroffen.“ Da die Flugzeuge bei Abflügen über Potsdam eine relativ große Höhe aufweisen, spiele Lärmbelastung hoffentlich nur eine untergeordnete Rolle.

MÜGGELSEE

Laut wird es dagegen über dem Müggelsee. Ein Geradeausflug würde die Bewohner von Müggelheim und auch Erkner unzumutbar belasten, weil sie bereits Landeanflüge ertragen müssten, sagte Hermann. Dass das Erholungsgebiet bei Ostwind mit meist schönen Tagen überflogen werde, sei allerdings „misslich“. Die auch von der Berliner Gesundheitsverwaltung vorgeschlagene Alternativroute über das Naturschutzgebiet an den Gosener Wiesen lasse sich mit dem genehmigten Betriebskonzept des Flughafens, das parallele Starts vorsieht, nicht vereinbaren. Man werde aber prüfen, ob dieser Kurs als Ergänzungsstrecke aufgenommen werden könne.

ZEUTHEN

Zuversichtlich ist Hermann, dass bei Starts Richtung Osten von der Südbahn die vorgesehene Kurve vor Zeuthen geflogen werden kann. Dies sei mit den derzeit meist eingesetzten Kurzstreckenmaschinen möglich, bestätigte auch Kärger dieser Zeitung. Mit dem Kurvenflug werden Flüge über dem Zentrum von Zeuthen bis auf wenige Ausnahmen bei größeren Flugzeugen vermieden.

BLANKENFELDE-MAHLOW

Den Krach unmittelbar nach dem Start und kurz vor der Landung bekommen die Bewohner von Blankenfelde-Mahlow und Bohnsdorf ab. Viel Spielraum für Veränderungen gebe es hier nicht, machte Hermann deutlich. Prüfen müsse man, ob es möglich ist, bei Starts wenigstens einen Teil der Flüge nördlich an Mahlow vorbeizuführen. Dies gehe derzeit nicht, weil für diese Route die Bodennavigationsgeräte fehlten. Eine Route über den nördlichen Teil von Mahlow hatte die Deutsche Flugsicherung ursprünglich auch vorgesehen. Die Navigationsgeräte wären dann angeschafft worden, sagte Sprecherin Kristina Kelek. Nach heftigen Protesten von Lichtenrade bis Wannsee, über die die Flugzeuge in relativ geringer Höhe hinweggedonnert wären, war dieser Vorschlag zurückgezogen worden.

SÜDWESTEN

Der Südwesten der Region wird trotzdem überflogen. Weil die Piloten ab einer Höhe von 5000 Fuß (etwa 1,5 Kilometer) die vorgegebene Route verlassen können, wenn der Lotse zustimmt, wird der Bereich Stahnsdorf, Teltow, Kleinmachnow, Lichterfelde, Steglitz und Zehlendorf an Tagen mit Westwind fächerförmig überflogen. Nur über dem Wannsee müssen die Maschinen dabei eine Höhe von 8000 Fuß erreicht haben. Aus dem Südwesten kamen deshalb am Donnerstag auch besonders viele Proteste. Sie fordern, dass alle Maschinen zunächst südlich an Potsdam vorbeifliegen und erst dann nach Norden oder Osten abdrehen, wie es für große Maschinen vorgesehen ist.

RANGSDORF

Eine kleine Entlastung sieht Hermann durch die gewählte Route von der Südbahn bei Starts nach Westen, weil sie nach dem Start abknickt und so nur den südlichen Bereich von Blankenfelde überqueren muss. Allerdings führt die Strecke dann am Rangsdorfer See mit dem Vogelschutzgebiet vorbei.

PRAXISTEST

Sofort nach der Aufnahme des Flugbetriebs am 3. Juni würden Lärmmessungen vorgenommen, sagte Hermann weiter. Die Modalitäten müsse die Fluglärmkommission festsetzen, die am Montag wieder tagt. Nach einem halben oder spätestens einem Jahr soll dann entschieden werden, ob die Routen angepasst werden müssen. Große Routenänderungen seien bisher selten vorgenommen worden, sagten Kelek und Kärger übereinstimmend. Grundsätzliche Änderungen wie 2010 über New York, wo das Stadtgebiet seither häufiger überflogen werde, seien Ausnahmen, sagte Kärger. Schon beim Festlegen sei man stets bemüht, die Varianten mit der geringsten Belastung für die Anwohner zu wählen, erklärte Kelek.

Große Änderungen gebe es meist nur, wenn sich baulich am Boden etwas tut: wie beim Bau der neuen Landebahn am Flughafen Frankfurt/Main, die im vergangenen Oktober eröffnet worden ist. Seither tobt auch am Main ein heftiger Streit um die Flugrouten. Dort habe die Flugsicherung durch eine betriebliche Anordnung inzwischen erreicht, dass die Piloten „spurtreuer“ fliegen, sagte Kelek. Gegen die Routen will unter anderem das Land Rheinland-Pfalz klagen.

KLAGEN

Auch für die Routen am künftigen Flughafen in Schönefeld haben Kommunen und Initiativen bereits angekündigt, vor Gericht ziehen zu wollen. Hermann sieht dem gelassen entgegen. Die Erfolgsaussichten seien äußerst gering, sagte er. Wenn er Zweifel hätte, hätte er die Routen nicht so festgelegt und vorgestellt.

Den Bericht gibt’s im Internet unter

www. baf.bund.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })