Brandenburg: Als Besucher aus dem Knast
Berlins Justizsenatorin von der Aue erneut unter Druck: JVA-Insasse spazierte mit falschem Ausweis aus der Anstalt / Kritik von CDU und FDP
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Berlin - Durch die Flucht eines Strafgefangenen kommt Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) erneut unter Druck. Die Opposition von CDU und FDP warf ihr am Wochenende vor, Sicherheitsmängel zu ignorieren. Mit der erneuten Justizpanne wird sich auch der parlamentarische Rechtsausschuss befassen. Dem 22-jährigen Insassen der JVA- Charlottenburg war es am Freitag mit einem Trick gelungen, das Gefängnis zu verlassen. Die Polizei fahndet weiter nach dem Straftäter, der wegen gemeinschaftlichen Raubes und Diebstahls eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verbüßt.
Der Gefangene hatte sich bei der Ausgangskontrolle als Besucher ausgegeben und war damit durchgeschlüpft. Das sei unter den Fluchtwegen ein „Klassiker“, sagte Justizsprecherin Barbara Helten. Die genauen Umstände des Vorfalls seien noch unklar. Die Justizverwaltung werde das prüfen und dann über mögliche Konsequenzen entscheiden.
Nach PNN-Informationen handelt es sich bei dem 22-jährigen Firat I. um einen Kriminellen, der seit Jahren bei der Staatsanwaltschaft als Intensivtäter registriert ist und etwa 40-mal als Verdächtiger im Polizeicomputer geführt wird. Im Jahr 2005 wurde der junge Mann wegen Raubes und Diebstahls zu drei Jahren Haft verurteilt.
Rätselhaft blieb zunächst, wie es dem Häftling gelingen konnte, sich gegen einen Komplizen, der gemeinsam mit zwei weiteren Männern zu Besuch im Gefängnis war, „austauschen“ zu lassen. Firat I. nutzte offenbar dessen Personalausweis, um sich beim Wachpersonal als Besucher zu legitimieren und gegen 17 Uhr das Gelände zu verlassen. Allerdings blieb auch der Komplize nicht im Gefängnis zurück – ob er ohne Ausweis die Kontrollen passiert hat, ist unklar.
Obendrein fiel das Fehlen des Serientäters erst bei der allabendlichen Zählung um 17.30 Uhr auf. Die Polizei wurde mit 90-minütiger Verzögerung gegen 19 Uhr informiert – so lange wurde das Gefängnis durchsucht, weil offenbar niemand an eine Flucht des Häftlings glauben mochte. Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Justiz teilte lediglich mit, dass man den Fall erst aufklären wolle, bevor man sich näher äußere.
Unklar ist, warum Firat I. als Intensivtäter nicht in der Haftanstalt Tegel inhaftiert war, wo die „schweren Jungs“ sitzen. In Charlottenburg war er im „Erstverbüßerhaus“ untergebracht, wo Inhaftierte vor „negativen Auswirkungen der Subkultur geschützt“ werden sollen, wie es auf der Internetseite der Haftanstalt heißt. „Ein Seriengewalttäter dieses Kalibers passt dort überhaupt nicht hin“, sagte ein Ermittler.
Firat I. war vor wenigen Wochen aus einer Jugendstrafanstalt in die JVA Charlottenburg verlegt worden. Seine Entlassung war für den Sommer 2008 vorgesehen.
„Es ist unerträglich, dass ein inhaftierter Straftäter einfach aus einem Berliner Gefängnis spazieren kann“, sagte CDU-Rechtsexperte Sven Rissmann. Dies sei ein weiterer Beleg für den „dramatischen Zustand des Justizvollzuges in der Hauptstadt“. Es offenbarten sich erneut „eklatante Sicherheitsmängel“. Die jüngste Flucht zeige abermals, dass die Justizsenatorin „ihren Laden nicht im Griff hat“. Sie sei nicht nur durch ihr „miserables Krisenmanagement“ während des Drogen- und Handyskandals zu einer „schweren Hypothek“ für den Senat geworden.
Erst vor wenigen Monaten war bekannt geworden, dass in die Jugendstrafanstalt Plötzensee regelmäßig Drogen und Handys eingeschmuggelt werden. Die Senatorin habe sich noch im September damit gebrüstet, dass seit dem Jahr 2000 kein Gefangener mehr aus dem geschlossenen Vollzug flüchten konnte, kritisierte FDP-Rechtsexperte Sebastian Kluckert. Begründet worden sei dies mit der ständigen Überarbeitung der Sicherheitskonzepte. Die „Plumpheit der Flucht“ im aktuellen Fall belege, dass die Konzepte noch immer erhebliche Defizite aufwiesen. Die Senatorin müsse nun umgehend darlegen, wie sie überarbeitet werden.
Er gehe davon aus, dass der jüngste Vorfall in der Sitzung des Rechtsausschusses am 31. Oktober auf die Tagesordnung komme, sagte Ausschuss-Chef Andreas Gram (CDU). Die Umstände der Flucht seien ein „Unding“.
In den vergangenen zwölf Jahren flohen 34 Häftlinge aus Berliner Gefängnissen. Darüber hinaus gab es Fluchten aus Gerichtsgebäuden. Auch Arztbesuche nutzten Gefangene mehrmals zur Flucht. Fälle, bei denen sie mit einem Täuschungsmanöver flohen, gab es laut Justizverwaltung in den vergangenen 17 Jahren zweimal. Beide Male gaben sich ähnlich aussehende Besucher als die Insassen aus.
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