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Brandenburg: Antrag der Fraktionen der CDU, FDP und Grüne/Bündnis 90

Einsetzung einer Enquete-Kommission "Aufarbeitung der Geschichte und Be-wältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokra-tischen Rechtsstaat im Land Brandenburg"

Stand:

Landtag Brandenburg

5. Wahlperiode

Antrag

der Fraktionen der CDU, FDP und Grüne/Bündnis 90

Einsetzung einer Enquete-Kommission "Aufarbeitung der Geschichte und Be-wältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokra-tischen Rechtsstaat im Land Brandenburg"

Der Landtag Brandenburg beschließt:

Der Landtag setzt gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes über Enquete-Kommissionen des Landtages die Enquete-Kommission "Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechts-staat im Land Brandenburg" ein. Der Kommission gehören sieben Mitglieder des Landtages und sieben Sachverständige an.

Die Fraktionen der SPD und Die Linke benennen jeweils zwei Mitglieder und zwei Sachverständige, die Fraktionen der CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen je ein Mitglied und einen Sachverständigen. Für jedes Mitglied des Landtages kann ein Stellvertreter benannt werden.

Zwei Jahrzehnte nach dem Übergang von der SED-Diktatur zum demokratischen Rechtsstaat ist es notwendig, Rückschau zu halten und zu prüfen, ob der Prozess der demokratischen Umbildung in Brandenburg - auch im Vergleich zu anderen Bundesländern - erfolgreich war und ob es Versäumnisse und Fehlentwicklungen gab und gibt, die zu korrigieren sind. Aus diesem Grund wird die Enquete-Kommission beauftragt,

- den Umgang und die Aktivitäten des Landtages und der kommunalen Ebene zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Brandenburg zu erörtern; insbe-sondere, welche Konzepte und Vorstellungen es zur Überprüfung auf MfS-Verstrickungen, Belastungen aus Funktionärstätigkeit oder anderen Handlun-gen gab und wie diese umgesetzt wurden. Es ist insbesondere zu prüfen, ob diese Aktivitäten geeignet waren, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre frei gewählten Abgeordneten zu stärken. Ferner ist zu erörtern, inwie-weit dadurch der Landtag durch sein Handeln als Vorbild für die Politik, die Landesverwaltung und die Kommunen wirkte. Es sind gegebenenfalls Vor-schläge zu entwickeln, wie verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden kann.

- zu untersuchen, welches Geschichtsbild von der SED-Diktatur und ihren insti-tutionellen Trägern, deren wichtigsten Etappen, von den Benachteiligten und Verfolgten, der friedlichen Revolution, der Bildung des Landes und der deut-schen Einheit, in den Medien, bei den Bürgern, in der Politik und in kulturellen Einrichtungen reflektiert bzw. geprägt wird. Im Ergebnis ist zu prüfen, inwie-weit die Politik in diesem Bereich Impulse setzen sollte, um gegenwärtigen und nachfolgenden Generationen den Charakter der SED-Diktatur in seiner ganzen Dimension zu verdeutlichen.

- zu untersuchen, wie im Land Brandenburg mit Benachteiligten und Verfolgten der SED-Diktatur umgegangen wird. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die gegenwärtig vorhandenen Regelungen und Maßnahmen, erfahrenes Unrecht im Nachhinein auszugleichen und das vorhandene Beratungsangebot, ausrei-chend sind und ob die Erfahrungen der Betroffenen angemessen berücksich-tigt und gewürdigt werden. Es sind Vorschläge auszuarbeiten, wie Defizite ge-gebenenfalls so überwunden werden können, dass sich Benachteiligte und Verfolgte der SED-Diktatur angemessen wieder finden.

- zu untersuchen, ob die Personalpolitik der verschiedenen Verwaltungen im Land Brandenburg (etwa bei der Polizei, Justiz, Kommunen) bzw. der im Land Brandenburg angesiedelten Verwaltungen Dritter (Treuhand, Arbeitsämter, usw.) dazu beigetragen hat, demokratische, transparente, rechtsstaatliche, bürgernahe und innovative Verwaltungen zu schaffen und welche Rolle dabei die administrativ-personelle Unterstützung durch die Partnerländer gespielt hat. Insbesondere ist zu prüfen, welche Konzepte und Vorstellungen es zur Überprüfung auf MfS-Verstrickungen, Belastungen aus Funktionärstätigkeit oder anderer Handlungen gab und wie diese umgesetzt wurden bzw. geeignet waren, dass Vertrauen der Bürger in die Verwaltungen zu stärken. Falls die-ses Vertrauen nicht zureichend erworben wurde, sind Vorschläge zu erarbei-ten, um dieses zu verbessern.

- zu untersuchen, ob in der Bildungspolitik des Landes Brandenburg durch per-sonelle Kontinuität und Erneuerung, Fortbildungen, Lehrpläne und Unter-richtsmaterialien wie auch durch die Rahmenbedingungen dazu beigetragen wurde und wird, Wissen über den Charakter der SED-Diktatur, die Bedeutung der friedlichen Revolution und die deutsche Einheit zu vermitteln und zugleich Zivilcourage, Toleranz und demokratische Einstellungen und Verhaltenswei-sen zu fördern. Es ist zu untersuchen, ob zu diesem Zwecke die außerschuli-schen Angebote wie Heimatmuseen, Gedenkstätten etc. geeignet sind, diese Ziele zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist auch der Wandel des Sports und dessen Vorbildwirkung zu erörtern. Ferner ist zu untersuchen, in-wieweit es gelungen ist, dass Individuum als Träger des freien Willens in den Mittelpunkt der Bildungsarbeit zu stellen. Es sind, soweit erforderlich, Verbes-serungsvorschläge auszuarbeiten.

- zivilrechtliche Fragen zu diskutieren, die sich aus dem Versuch, die Eingriffe der SED-Diktatur in die Eigentumsformen zu heilen ergeben haben. Dies ist insbesondere am Beispiel der kollektivierten Landwirtschaft zu untersuchen und zu erörtern, ob Ansprüche von Landeigentümern und landlosen Bauern bei der Vermögensauseinandersetzung und -zuordnung ausreichend berück-sichtigt worden sind. Darauf aufbauend sollen die landwirtschaftlichen Struktu-ren nach den Kriterien Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplatzsicherung, Land-schaftspflege, Ökologie und Eigentumsstreuung überprüft werden. Es sind Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, wie gegebenenfalls erkannte Defi-zite im Rahmen der noch zur Privatisierung anstehenden Flächen behoben werden können.

- den Zustand der demokratischen Kultur im Land Brandenburg zu analysieren, insbesondere, inwieweit sich die Bevölkerung mit dem Rechtsstaat identifiziert bzw. welchen Stellenwert Extremismus, politische Gleichgültigkeit und Seil-schaften haben. Inwieweit ist es im Zuge der Aufarbeitung und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur gelungen, Vorurteilen oder möglichen Vorbehal-ten (z. B. Ost-West, zu polnischen Bürgern) entgegenzutreten? Es ist zu un-tersuchen, welche Rolle hierbei die Medienlandschaft im Land Brandenburg einnimmt und ob durch Erneuerung und Vielfältigkeit genügend Vorausset-zungen für eine plurale und differenzierende Meinungsbildung gegeben sind. Erfolgten bei den politischen Organisationen und Parteien Brüche und Erneue-rungen, um ein angemessenes Angebot für demokratische Beteiligung zu bie-ten und welche Vorschläge haben sie hierzu entwickelt? Reichen die Integra-tionsangebote für Schichten und Gruppierungen, die der demokratischen Ent-wicklung, skeptisch, abwartend oder feindlich gegenüberstehen? Es sind, so-weit erforderlich, Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten.

Begründung

Vor zwei Jahrzehnten nahmen die Bürgerinnen und Bürger auch in den Bezirken des heutigen Landes Brandenburg mit der friedlichen Revolution die Geschicke in ihre Hände und erkämpften den demokratischen Rechtsstaat. Es hat sich seitdem ein gesellschaftlicher Konsens herausgebildet, die SED-Diktatur nicht zu verklären, son-dern deren Geschichte und Folgen aufzuarbeiten und entsprechende Schlussfolge-rungen zu ziehen. Respekt und Zuwendung hat insbesondere denen zu gelten, die von der SED-Diktatur benachteiligt und verfolgt wurden. Die Erinnerung an erlittene Repressalien ist wach zu halten. Diese Grundsätze sollen im Land Brandenburg lei-tend sein.

Diskussionen in der jüngeren Zeit haben die Frage aufgeworfen, ob es bei diesem Prozess nicht Versäumnisse gegeben hat. Der Übergang von der SED-Diktatur zum demokratischen Rechtsstaat, die deutsche Einheit und die Bildung der neuen Länder sind ein Vorgang ohne Vorbild. Zwei Jahrzehnte nach Beginn dieses Prozesses ist es notwendig, Rückschau zu halten und zu prüfen, ob der Prozess der demokrati-schen Umbildung in Brandenburg - auch im Vergleich zu den anderen neuen Län-dern - erfolgreich war, und ob es Versäumnisse und Fehlentwicklungen gab, die zu korrigieren sind.

Aus diesen Gründen soll die Enquete-Kommission in einem Zeitraum von etwa zwei Jahren eine politisch-historische Erörterung des Neuanfanges im Land Brandenburg leisten, den Aufarbeitungsprozess fördern und Vorschläge unterbreiten, welche Ak-zente zukünftig für die weitere Entwicklung des Landes und die Aufarbeitung der Ge-schichte und von Folgen der SED-Diktatur im Land Brandenburg zu setzen sind. Dies kann nur in ausgewählten Bereichen geschehen, denn die Enquete-Kommission kann und soll die historische Erforschung der Geschichte Brandenburgs während der SED-Diktatur nicht ersetzen. Wo es zum Verständnis jedoch erforder-lich ist, ist den historisch gelegten Wurzeln nachzugehen.

Die Enquete-Kommission kann helfen, Verständnis für die Menschen mit ihren Bio-graphien zu wecken, aber auch die Wahrnehmung ihrer Unterschiedlichkeit zu schär-fen. Auch wenn die Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur im Mittelpunkt steht, ist die Lebensleistung der Menschen in der DDR, während der Zeit des Umbruchs und des Neuanfangs, auch jener im öffentlichen Dienst, zu würdigen.

Die Enquete-Kommission soll zur Festigung des demokratischen Selbstbewusst-seins, des freiheitlichen Rechtsempfindens und des antitotalitären Konsenses im Land Brandenburg beitragen.

Die persönliche Würde derjenigen, die in der DDR benachteiligt und verfolgt wurden, verdient besondere Aufmerksamkeit. Soweit irgend möglich, sollte ihnen nachträglich Gerechtigkeit widerfahren. Gegenstand der Enquete-Kommission ist es zu prüfen, inwiefern heute aus Sicht der Betroffenen Defizite bestehen, und wie dem durch die Gesetzgebung abgeholfen werden kann.

Die Enquete-Kommission bedient sich bei ihrer Arbeit Anfragen und entsprechender Vorlagen der Verwaltungen, Expertisen, Vorträgen sowie Anhörungen von Sachver-ständigen, Interessensvertretern und Zeitzeugen. Der Landtag Brandenburg erwar-tet, dass das Landtagspräsidium die Arbeit der Enquete-Kommission ermöglicht, be-gleitet und unterstützt.

Die Enquete-Kommission erstellt einen Bericht und der Landtag wird dafür Sorge tragen, dass die Materialien der Kommission wie etwa der Bericht, Expertisen und Anhörungsprotokolle in angemessener Form einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Beate Blechinger, Frank Bommert, Steeven Bretz, Ludwig Burkardt, Dieter Dombrowski, Danny Eichelbaum, Rainer Genilke, Anja Heinrich, Gordon Hoffmann, Dierk Homeyer, Dr. Saskia Ludwig, Sven Petke, Barbara Richstein, Roswitha Schier,Prof. Dr. Michael Schierack, Monika Schulz, Ingo Senftleben, Prof. Dr. Johanna Wanka, Henryk Wichmann

Gregor Beyer, Andreas Büttner, Hans-Peter Goetz, Jens Lipsdorf, Linda Teuteberg, Raimund Tomczak, Marion Vogdt

Marie Luise von Halem, Michael Jungclaus, Sabine Niels, Ursula Nonnemacher, Axel Vogel

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