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Brandenburg: Auf Walfang

Stressig ist es eh, und dann brauchen auch noch die Freizeitkapitäne Hilfe: Was ein Schleusenwärter den ganzen Tag so zu tun hat

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Berlin - Langsam schiebt sich ein ziemlich großer Kasten ins Bild. „Die Moby Dick ist wieder pünktlich“, sagt der Schleusenschichtleiter Klaus Raßbach mit einem zufriedenen Lächeln. Er blickt kurz auf die Uhr, greift zum Stift und trägt die Daten ins Protokollbuch ein. Vor zehn Minuten hat sich das schon vor vier Jahrzehnten in Dienst gestellte Schiff per Funk angekündigt. Raßbach stellt die Signale für den großen Pott auf Grün und öffnet die Schleusentore. Das Fahrgastschiff passt geradeso in die 67 Meter lange Schleusenkammer. Für kleine und große Yachten oder Paddler bleibt da kein Platz. Die müssen warten, bis „Moby Dick“ den 51 Zentimeter großen Höhenunterschied geschafft hat.

Es herrscht an diesem Nachmittag reger Betrieb am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal. Auch Güterschiffe zum und vom Westhafen in Berlin-Moabit müssen durch die Schleuse Plötzensee, zwischen Seestraße und Flughafen Tegel gelegen. Dennoch hatte sich Raßbach, der hier arbeitet, auf noch größeren Trubel eingestellt. „Ich dachte, dass viele Sportboote noch rasch vor dem Streik die Schleusen passieren wollen“, sagt der 59-Jährige. „Vielleicht glauben die Kapitäne noch nicht recht daran, dass wir ernst machen wollen.“

Doch den Beschäftigten des Wasser- und Schifffahrtsamtes würden zum Streik keine Alternativen bleiben. Der Bund als Eigentümer habe einen Abbau von einem Drittel der bundesweit 12 000 Arbeitsplätze angekündigt und die finanzielle Absicherung bei einem Wechsel an einen anderen Einsatzort nicht garantiert. Von Donnerstag bis Samstag werden deshalb alle Schleusen, die zum Wasser- und Schifffahrtsamt Berlin gehören, bestreikt. Am Mittwoch kündigte ein Vertreter der Gewerkschaft Verdi an, der Streik werde noch ausgeweitet: Außer den brandenburgischen Schleusen in Kleinmachnow, Woltersdorf, Wernsdorf, Fürstenwalde und Eisenhüttenstadt werden auch die Schleusen Storkow, Neue Mühle und Kummersdorf durchgängig bestreikt.

Ab heute also wird der Arbeitsplatz von Klaus Raßbach stillstehen. Der Raum mutet an wie eine Kommandozentrale in einem Kraftwerk oder großen Verkehrsbetrieb. Sieben Monitore übertragen die Kamerabilder vom Außengelände an den Schreibtisch. Dazu kommen Computerbildschirme für die eigentliche Schleusenkammer und den Kontakt mit benachbarten Schleusen. Immerzu klingelt eines der Telefone. Kapitäne von Binnenschiffen stehen am Tresen, um die Gebühr für die Schleusung zu bezahlen. „Ich kann die Bildschirme kaum einmal unbeaufsichtigt lassen. Deshalb verlasse ich den Raum auch höchstens für einen kurzen Moment“, sagt Raßbach.

Das war 1967, als der gelernte Landschaftsgärtner nur eine Beschäftigung für den Winter suchte, noch ganz anders. Pro Schicht waren mindestens drei Mitarbeiter anwesend. Heute regelt eine Person alles alleine. Bis zur Wende standen alle West-Berliner Schleusen unter DDR-Verwaltung. „Uns ging es damals gut. Erst bei der Übernahme durch den Bund ab 1990 merkten wir, dass wir doch gegenüber unseren Berufskollegen in Westdeutschland etwas weniger verdient hatten“, erinnert sich Raßbach.

Heute hat er so einige Zweifel, ob die Einsparvorschläge des Bundesverkehrsministeriums tatsächlich ausgereift sind. Eine große Zentrale in Grünau, so habe er gehört, solle dann die Berliner Schleusen steuern. „Das widerspricht meinem Sachverstand und meiner Erfahrung“, sagt Raßbach. „Oft muss ich doch schnell aus dem Büro rennen und gerade den unerfahrenen Freizeitkapitänen Hilfestellungen beim Schleusen geben.“ Schon allein deshalb lohne sich der Streik.

Schon kündigt sich per Funk das nächste Fahrgastschiff an. Dessen dreiköpfige Besatzung signalisiert Verständnis für den Ausstand der Schleusenarbeiter. Längst stehen Ausweichfahrpläne fest. Vom Tegeler Hafen geht es ab Donnerstag eben nicht in die Berliner Innenstadt, sondern in den Lehnitzsee bei Oranienburg. Claus-Dieter Steyer

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