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Brandenburg: Baaskes diplomatische Schlitterpartie

SPD-Fraktionschef wollte sich in Finnland bilden, fand ein Stück DDR und verwirrte die Gastgeber

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SPD-Fraktionschef wollte sich in Finnland bilden, fand ein Stück DDR und verwirrte die Gastgeber Von Peter Tiede Helsinki – Ist der Herr, der als Chef der Brandenburger SPD-Delegation eine Tisch-Ansprache in der finnischen Hauptstadt hält, nun Politiker oder ein desillusionierter Bürger? Günter Baaske, Chef der SPD-Landtagsfraktion steht im Hinterzimmer des Restaurants Fishmarket in der Innenstadt von Helsinki und erzählt der Gastgeberin, Finnlands Arbeitsministerin Tarja Katarina Filatov, und dem deutschen Botschafter in Finnland, Hans Schumacher, was sich für Dramen in Deutschland abgespielt haben und es noch immer tun, berichtet von der Unfähigkeit der deutschen Politik. Das Gesundheits- und Familienbetreuungssystem der DDR habe hervorragend funktioniert, sei ein Segen gewesen und sei dann nach der Wende „einfach abgeschafft worden“ – weil es „nach 1990 dann plötzlich angeblich nicht mehr ging“, klagt der einstige Brandenburger Sozialminister. Baaske bemüht sich nicht um Differenzierungen: Zum Entsetzen anwesender Fachleute keine Silbe vom Umgang der DDR mit politisch nicht konformen Familien, von Zwangsadoption und Entmündigung ganz geschwiegen. Stattdessen der unbelegte Einwurf, dass Finnland sich ja Anregungen aus der DDR geholt habe. „Das geht einfach nicht – das war unmöglich“, resümierte ein Delegationsteilnehmer hinterher. Botschafter Schumacher verzieht keine Mine, senkt den Kopf nur zusehends, die Finnen bei Tisch lächeln milde. Doch mit zunehmender Redezeit verlangt Baaske dem Botschafter sichtlich ein Höchstmaß an Selbstbeherrschung ab, denn der Fraktionschef verliert sich im Ausland im Kleinklein der deutschen Innenpolitik und malt ein düsteres Bild von Brandenburg als Dunkeldeutschland: „Hoffnungslosigkeit und Mutlosigkeit machen sich breit und wir wissen nach 15 Jahren nicht mehr, wie wir die Menschen noch einmal motivieren sollen.“ Was eigentlich ein kleiner harmloser Toast auf diplomatischem Parkett werden sollte, wurde der Anfang einer viertägigen diplomatischen Schlitterpartie: Baaske, in Brandenburg für seine Hemdsärmeligkeit bekannt, irritierte die finnischen Gastgeber immer wieder mit seinem Auftreten und seinen Ansprachen. Die Brandenburger SPD war von vergangenem Mittwoch bis zum Samstag auf Bildungsreise in Finnland unterwegs. Baaske, der mitunter als „Macher“ und als potentieller Nachfolger von Ministerpräsident Matthias Platzeck gilt, war nach Helsinki und in die Potsdamer Partnerstadt Jyväskylä gereist, um sich über die Kinder-, Familien- und Gesundheitspolitik zu informieren. Mit dabei hatte er neben externen Fachleuten auch Bildungsminister Holger Rupprecht und Arbeits- und Sozialministerin Dagmar Ziegler (beide SPD). Die Brandenburger sahen, wie ein System staatlicher und kommunaler Mütter- und Familienfürsorge funktionieren kann. Dass es Länder gibt, in denen über Bildungs- und Gesundheitsausgaben nicht gestritten wird, in denen der Lehrerberuf hoch angesehen ist, weil die Lehrer und Erzieher exzellent ausgebildet werden, und dass es nicht ein Frage des Zufalls sein muss, ob die Kinder an einer staatlichen Schule gut ausgebildet werden. Sie haben aber auch gesehen, dass das finnische Modell nicht maßstabsgetreu auf deutsche Verhältnisse übertragbar ist, da es über hohe Steuern und Abgaben finanziert wird und auf starke Kommunen setzt. Bildungsminister Rupprecht resümierte am Ende der Reise, die Fakten seien nicht neu gewesen, es sei aber gut gewesen, das mit eigenen Augen zu sehen und sich das System genau erläutern zu lassen. Aber auch die Finnen haben gelernt: Dass „deutsche Politiker wohl nicht immer die höflichsten sind“, wie ein ranghoher finnischer Beamter bemerkte. Finnische Vertreter fragten hinter den Kulissen immer wieder nach, warum denn die mitgereisten Fachminister nie eine kurze Rede halten, wenn etwa eine finnische Gesundheits- und Sozialstaatssekretärin sie mit einer Ansprache begrüßt und ihnen einen Vortrag über die Arbeit ihres Ressorts informiert. Ansprachen hielt nur Fraktionschef Baaske. Und der war es immer wieder, der verwunderte Blicke auf sich zog, wenn er bei Fachvorträgen Handygespräche annahm und den Raum verliess. Das stieß selbst Teilen seiner Delegation bitter auf: Der Fraktionschef habe sich zwar wohl Notizen in seinem Hightech-Handy gemacht, aber dabei gewirkt, als probiere er gerade die neuesten Handy-Spiele. Bedröppelt blickte auch der stellvertretende Generaldirektor des Nationalen Technologiezentrums Finnlands (TEKES), Heikki Kotilainen, am Ende des deutschen Besuchs drein. Er hatte verkraftet, dass Baaske zum Telefonat den Raum zwischenzeitlich verlassen hatte, während er den Brandenburgern erläuterte, dass seine staatliche Behörde, die für Wirtschaftsförderung zuständig ist, nichts direkt fördert was man anfassen kann. Nur Grundlagenforschung und Produktentwicklung werde vom Staat unterstützt – bei Universitäten und in Firmen. Keine Gewerbeansiedlung, kein Gewerbepark. Er hatte erläutert, dass sich finnische Politiker nicht in die Arbeit der Behörde einmischen, dass Provinzfürsten und Parlamentarier nicht versuchen, Einfluss auf die Förderung bestimmter Unternehmen und Universitäten nehmen. Und am Ende seiner Rede hatte Kotilainen berichtet, dass elf Staaten aus der Ostseeregion einen Forschungs- und Technologieverbund bilden wollen. Aus Deutschland sei bislang nur Schleswig-Holstein dabei. Und er hatte das einzige konkrete Kooperationsangebot folgen lassen, dass die Brandenburger offiziell auf ihrem Finnland-Tripp erhielten: Ob denn Brandenburg sich nicht diesem „Cluster“-Verbund von Forschung und Industrie anschließen wolle. Er hatte freudig gestrahlt, das Lächeln aber nur kurz halten können, als er nach einer kurzen Pause keine Reaktion erhielt. Lediglich den Verweis, dass der zuständige Minister nicht mit dabei sei. Man werde sich das überlegen, er werde aus Brandenburg hören, sagte Baaske. Mehr nicht. Kein freudiger Dank für die unerwartete Offerte. Mitgereiste Fachleute beklagten sich immer wieder, sie hätten kaum Zeit gehabt nachzufragen, Fachprobleme zu klären. Baaske, bemängelte ein Reiseteilnehmer, habe bei den Terminen die Gesprächsführung so sehr dominiert, dass bei den knapp bemessenen Gesprächszeiten kaum Möglichkeit zur Vertiefung geblieben sei. So habe sich Baaske bei einem Termin im Sozialministerium lang und breit die Rentenpolitik erklären lassen. Am Ende sei keine Zeit mehr geblieben, Fragen zum eigentlichen Besuchszweck zu stellen: Die Betreuung von Schwangeren, Müttern, Familien und Kleinkindern. Aus dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz waren aber eigens dafür die Geschäftsführer des Klinikums Niederlausitz mitgereist. Sie planen nach dem Vorbild des flächendeckenden finnischen „Neuvola“-Modells ein Pilotprojekt zur Betreuung von Familien, Kleinkindern und allein erziehender Mütter. Und immer wieder tauchte hoch im Norden Europas die untergegangene DDR auf, von der sich die finnischen Pisa-Sieger angeblich hatten inspirieren lassen. Der Höhepunkt der diplomatischen Schlitterpartie fand nach übereinstimmenden Schilderungen von finnischen Teilnehmern 300 Kilometer nördlich von Helsinki statt: Beim Treffen der beiden brandenburger Minister und Baaskes mit dem Bürgermeister der Potsdamer Partnerstadt Jyväskylä in kleinem Kreis. „Der Herr Baaske hat das DDR-Gesundheits-, Mütter- und Familienberatungssystem sehr gelobt und hervorgehoben, dass sich das finnische System an den Grundzügen des in der DDR praktizierten orientiert hat“, berichtete ein finnische Teilnehmer der Runde. Ein hoher Vertreter der Stadt Jyväskylä habe sich schließlich genötigt gesehen, sehr freundlich darauf hinzuweisen, dass die Grundlagen des finnischen Systems bereits Anfang des 20. Jahrhundert gelegt worden seien. Am letzten Abend der Finnlandreise hat der Deutsche Botschafter in seine Residenz geladen Im Garten hält er eine kleine, freundliche Ansprache und erzählt, dass er eine Broschüre der brandenburgischen SPD-Fraktion, wo es um finnische Bildungs- und Betreuungsprojekte geht, an CDU-Leute aus NRW verteilt habe. Baaske antwortet in seiner offiziellen Dankansprache, dass den Christdemokraten bei der SPD-Broschüre „hoffentlich nicht die Hände angefault sind“. Die Dolmetscherin überlegt nur noch kurz, ob sie auch das wörtlich übersetzen soll – sie tut es einfach und wird von der Sozialstaatssekretärin und anderen Persönlichkeiten ungläubig angeguckt. Zuvor hatte sie ihre liebe Mühe, den Finnen eine andere flapsige Bemerkung des Fraktionschefs aus dem fernen Brandenburg zu verdolmetschen: Baaske hatte die in Deutschland unverfängliche Redewendung „durch die Lappen gehen lassen“ gebraucht. Die Minderheit der Samen in Finnland legt jedoch sehr großen Wert darauf, nicht Lappen genannt zu werden. Es wurde höflich gelacht. Spät am Abend, nach dem Essen, beim Kaffee dann die diskrete Nachfrage der Finnen bei deutschen Gästen: „Redet der Herr Fraktionsvorsitzende immer so?“ Antwort: „Oft.“ Äußerst diplomatische Nachfrage: „Er gilt doch dann wohl auch bei ihnen als etwas unkonventionell.“

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