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Brandenburg: Beschluss um 3 Uhr morgens
Vor 25 Jahren beschloss die DDR-Volkskammer den Beitritt zur Bundesrepublik. Beteiligte erinnerten sich
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Berlin - Lange nicht gesehen und doch wiedererkannt: Es ist fast wie bei einem Klassentreffen, als sich frühere Abgeordnete der letzten DDR-Volkskammer und einstige Mitglieder der Regierung am Sonntag im Herzen Berlins treffen. Mit fröhlicher Plauderei, Schulterklopfen, Umarmungen und vielen großen Worten ist es eine Feierstunde der besonderen Art – noch dazu auf einer Baustelle. Im Rohbau des Berliner Schlosses wird an den historischen Beschluss des ersten frei gewählten DDR-Parlaments vor genau 25 Jahren erinnert. Auch Bundespräsident Joachim Gauck, damals selbst Abgeordneter, nahm teil.
In der Nacht zum 23. August 1990 votierte die Volkskammer nach turbulenter Debatte mehrheitlich für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zum 3. Oktober 1990. Den Palast der Republik, in dem das Parlament tagte und wo der Beitritts-Beschluss fiel, gibt es nicht mehr. Auf dem Areal des abgerissenen Gebäudes entsteht jetzt das Berliner Schloss neu.
Direkt an der Spree, auf der Ausflugsschiffe vorbeifahren, spannt nun in einem hohen Saal mit Betonwänden und offenen Fensteröffnungen der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) den Bogen deutscher Geschichte – vom Ersten Weltkrieg über die „Selbstdemokratisierung“ der Ostdeutschen bis zum veränderten Deutschland. Er sei auch heute dankbar für die Wiedervereinigung. „Der Beitritt war der richtige Weg“, sagt der 75-Jährige im dunklen Anzug fast leise. Damals stand der CDU-Politiker an der Spitze des Drei-Parteien-Bündnisses „Allianz für Deutschland“, das die Volkskammerwahl im März 1990 gewann. Der Rechtsanwalt und Hobby-Musiker erinnert auch an den gestorbenen SPD-Politiker Egon Bahr („mein Freund“) und dessen Politik-Credo im geteilten Deutschland: „Wandel durch Annäherung“.
Die nach dem Mauerfall gewählte Volkskammer, die nur ein halbes Jahr auf der politischen Bühne agierte, war nach Ansicht von de Maizière das fleißigste Parlament der deutschen Geschichte. Mehr als 160 Gesetze und knapp 100 Beschlüsse wurden gefasst, bevor sich die Abgeordneten selbst abschafften.
Das Abstimmungsergebnis gegen 3 Uhr morgens an jenem 23. August war deutlich: 363 Ja-Stimmen gegen 62 Nein-Stimmen bei sieben Enthaltungen. Die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), spricht bei der Feier von einem guten Tag, der seinen Platz in den Geschichtsbüchern behalten werde. „Die Volkskammer war keine Ja-Sager-Maschine.“ Es habe Mut zur offenen Debatte auf offener Bühne gebraucht.
Die Ostdeutsche würdigt auch den Einsatz von Reinhard Höppner, damals Vize-Präsident der Volkskammer und dann langjähriger SPD-Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Er starb im Juni 2014.Für nachdenkliche und lakonische Töne sorgt Jens Reich. Der frühere Bürgerrechtler und oppositionelle Abgeordnete des Neuen Forums in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der damals nicht zustimmte, sieht die Wiedervereinigung dennoch positiv. „Es ist gut ausgegangen für uns.“ Und: „Es war der Endpunkt der gewaltfreien Revolution vom Herbst 89.“ Er sei dagegen gewesen, einen Blanko-Scheck für die Einheit auszustellen. „Der Einigungsvertrag lag nicht mal im Entwurf vor.“ Der Mediziner sagt, die Nachtsitzung sei eine Commedia dell’arte mit burlesken Zügen gewesen. Erst sei der Beitritt der Volkskammer zur Bundesrepublik beschlossen worden, nach einem Einwurf von PDS-Chef Gregor Gysi sei dann korrigiert worden: Beitritt der DDR. „Heute haben wir die Klarheit, dass es ein entscheidender und ernster Tag war.“ Außenpolitisch sei die Wiedervereinigung aber mustergültig vorbereitet worden.
Ein Versprechen gibt es noch. Johannes Wien von der Schloss-Stiftung sagt, nach der Eröffnung des Schlosses als Humboldt-Forum werde auch an den Beitritts-Beschluss erinnert. Das Museum des Ortes solle 2019 eröffnet werden. Jutta Schütz
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